Oberammergau
Mensch statt Dogma
Die Passionsspiele in Oberammergau erleben gerade einen Wandel, der so stark ist, dass das einst antisemitische Stück nun einen jüdischen Preis erhält.
Von Paul-Philipp Braun
Rindsbraten und Knödel, Brezn und Weißbier: Der Empfang in der Landesvertretung des Freistaats Bayern in Berlin fällt opulent aus. Mehrere Hundert Gäste stehen für das Buffet an, viele kommen aus Bayern, mehr noch aus den hohen Häusern und Behörden der Bundeshauptstadt. Kurz zuvor noch hörten sie eine Podiumsdiskussion, in der die schwierige Geschichte der Festspiele beleuchtet wurde. Ein filmischer Anriss hatte zuvor in das "Gefühl Oberammergau" eingeführt, Darstellende und Familien in der oberbayerischen Heimat gezeigt.
Mitten im Geschehen ein hochgewachsener Mann mit kleiner, runder Brille und Kippa. Er spricht einen ganz klar süddeutschen Dialekt und prostet seinem Gegenüber mit den Worten "Von Niederbayern nach Oberbayern" zu. Dieser Mann ist Walter Homolka. Gebürtiger Landauer, liberaler Jude, Rabbiner. Homolka ist Rektor des Potsdamer Abraham-Geiger-Kollegs, dem ersten Rabbinerseminar, das nach den Taten der Shoa auf deutschem Boden entstand.
Es ist kein Zufall, dass ausgerechnet er bei dieser Veranstaltung anlässlich der diesjährigen Passionsspiele zugegen ist. Schließlich erhält der Oberammergauer Spielleiter Christian Stückl im Mai den renommierten Abraham-Geiger-Preis. Mit 10 000 Euro dotiert, würdigt die Auszeichnung die "Verdienste um das Judentum in seiner Vielfalt" und ging bereits an Persönlichkeiten wie Amos Oz oder Angela Merkel.
Doch dass ausgerechnet ein Oberammergauer den Preis für seine Inszenierung erhält, ist mehr als eine Würdigung. Es ist eine große Geste. Schließlich reicht die unrühmliche Geschichte des Antisemitismus der Oberammergauer Passionsspiele bis weit über die Nazi-Zeit und Hitlers Begeisterung für das Stück hinaus. So bezeichnet der bayerische Antisemitismus-Beauftragte Ludwig Spaenle an diesem Abend in der Landesvertretung die Festspiele als ein "Lexikon des christliches Judenhasses" und erklärt, dass die 2 000 Jahre dieses Hasses weitestgehend christlich geprägt seien.
Wie tief der Antisemitismus mit der Festspielgeschichte verknüpft ist, das erläutern die Ausführungen des Spielleiters, der seit 1990 in Oberammergau Regie führt. "Als ich anfing, gab es wirklich Stimmen, die meinten: Wir lassen uns von den Juden nicht unser Evangelium zusammenstreichen!" Doch statt den historischen Text zusammenzustreichen, überarbeiteten Christian Stückl und sein Team ihn. Und nicht nur das, auch die Szenen stellten sich im Laufe der vergangenen drei Inszenierungen immer etwas anders dar, als es zuvor der Fall gewesen war. So verbannte Stückl beispielsweise den siebenarmigen Leuchter aus dem Anklagesaal der Hohepriester und stellte ihn auf den Abendmahlstisch Jesu. Auch das Kostüm des Verräters Judas, einst in leuchtendem Gelb gehalten, änderte sich in Stückls Inszenierung. Für ihn sei klar, sagt er bei der Podiumsdiskussion an diesem Abend: "Jesus war vom ersten bis zum letzten Tag Jude."
Klar ist das auch für Frederik Mayet. Zum zweiten Mal spielt der Oberammergauer in diesem Jahr den Jesus. Eine Rolle, die es auszufüllen gilt und die für Mayet vor allem mit der Beschäftigung mit dem Messias einhergeht. Teil dieser Vorbereitung ist auch die Reise nach Israel. Sie ist seit Stückls Antritt als Spielleiter vor 30 Jahren integraler Bestandteil der Vorbereitung der Laiendarstellenden auf das einen Sommer lang andauernde Spektakel. "Wir haben uns mit dem jüdischen Leben in Israel auseinandergesetzt und dort mit Menschen über Jesus aus der jüdischen Perspektive gesprochen", berichtet Frederik Mayet.
Er hat seinen Platz am Rand der Podiumsdiskussion. Zwei neben Eva-Maria Reiser, die in diesem Jahr die Maria darstellt und hauptberuflich als Flugbegleiterin arbeitet und die aufmerksam neben Rabbi Homolka sitzt. Dieser lobt immer wieder die Bemühungen Stückls, die einst so antisemitischen Festspiele zu öffnen. "Das Spannende ist, dass man aus einem dogmatischen Jesus einen Menschen macht", sagt Homolka über die diesjährige Aufführung und meint, dass das Stück dadurch auch für Nichtchristen besonders relevant und interessant werde. Auch Studierende seines Kollegs würden zu dem Spektakel, an dem rund 1 800 erwachsene Laien und 450 Kinder beteiligt sind, in diesem Jahr kommen. Schließlich seien die "innerjüdischen Konflikte von vor 2 000 Jahren auch heute noch riesig spannend." Und dass in Stückls Inszenierung offen sei, wer am Ende der Passion "Recht" habe, auch das sei ein Anlass, das Passionsspiel zu besuchen.
Wie sehr sich die Veranstaltenden jedoch mit dem Judentum auseinandergesetzt haben und wie tief diese Beschäftigung ging, das ist an diesem Abend – vorausgesetzt es war bewusst – auch noch an anderer Stelle abzulesen. Denn obgleich Haxen und Schweinswürstel ja eigentlich zu Bayern gehören wie Lederhose und Defiliermarsch, auf dem Buffet sucht man sie vergebens.
Judenhass und Passion
Der Antisemitismus ist eng mit der Passion verknüpft. Vor allem im Mittelalter wurden die Hohepriester, die ein Urteil über Jesus fällten, oft als "Gottesmörder" benannt und dargestellt. Auch die 1634 entstandenen Oberammergauer Passionsspiele greifen das Thema auf. Sie bedienen viele Jahre herrschende antisemitische Klischees und erreichen diesbezüglich 1934 ihren Höhepunkt, als Adolf Hitler sich wegen des "jüdischen Geschmeißes und Gewimmels" erfreut. Seit 1990 spielt der Judenhass in dem Stück keine Rolle mehr.
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