Die gute Nachricht
In der "Nummer 4" hat Heimweh keine Chance
Er gehört der Eritreisch-Orthodoxen Tewahedo-Kirche an. Zuletzt hat er in seiner Gemeinde als Diakon gewirkt.
Von Klaus-Dieter Simmen
Zeray Kesetes Leben lief in geordneten Bahnen. Bis die Angst kam, die begründete Angst vor dem militärischen Zwangsdienst. Der heute 30-Jährige entschloss sich, seine Heimat Eritrea zu verlassen. Sein Vater sei heute Mitte Siebzig und immer noch gezwungen, das Gewehr zu tragen, sagt er.
Dass die Flucht Richtung Europa nicht ungefährlich ist, war dem jungen Mann schon bewusst. Wie gefährlich der Weg wirklich sein kann, erlebte er in der syrischen Wüste. „Die Strapazen waren für einige aus unserer Gruppe zu viel. Sie starben.“ Fast die Hälfte der rund 60 Flüchtlinge, mit denen er unterwegs war, kam ums Leben, als das Boot auf dem Mittelmeer kenterte. „Ich hatte unglaubliches Glück und wurde von einem Rettungsschiff aufgenommen“, sagt er und, wenn er davon erzählt, stockt seine Stimme, auch heute noch, sieben Jahre nach seiner Flucht.
Von Italien aus ging Zeray Kesete nach Deutschland. Sobald es ihm möglich war, nahm er eine Arbeit auf. Seit fünf Jahren verdient er sein Geld als Lagerist. Zuerst wohnte er in Erfurt, später zog er um nach Gotha. Kurz bevor der Corona-Lockdown das öffentliche Leben auch in Thüringen lahmlegte, pachtete der junge Mann in seiner Wahlheimat eine kleines Lokal. Auf die Frage, warum er zusätzlich zu seiner Arbeit sich noch diese Verantwortung aufhalste, überlegt er nicht lange. „Das“, sagt er, „verändert mein Leben, macht es reicher.“
Und er hat einen Platz geschaffen, an dem sich Landsleute und andere, die aus ihrer Heimat fliehen mussten, treffen können. Das aber ist Zeray Kesete nicht genug: In der Kneipe mit dem Namen "Nummer 4" begegnen sich Kulturen, wird miteinander geredet und so manches Vorurteil erweist sich bald schon als haltlos. Auf diese Weise wolle er dem Land, das ihn aufgenommen hat, etwas zurückgeben, sagt er. Dem Staat auf der Tasche liegen, das ist für den Christen aus Eritrea unvorstellbar.
"Das verändert mein Leben, macht es reicher"
Trost hat er in den schwierigen Monaten nach seiner Ankunft in seinem Glauben gefunden. Mittlerweile gibt es auch in Gotha eine kleine Gemeinde Eritreisch-Orthodoxer Christen. In der katholischen Kirche der Residenzstadt treffen sie sich sonntags nach dem Gottesdienst zum Beten. „Das ist wichtig für uns“, sagt der junge Mann. Es helfe gegen das Heimweh. So erfüllt sein Leben auch ist, steckt Zeray voller Trauer. Seit Jahren schon harrt seine Frau in Addis Abeba aus und wartet auf die Papiere, die ihr ermöglichen, nach Deutschland zu kommen. „Ich habe alle rechtlichen Voraussetzungen geschaffen, trotzdem warte ich vergeblich“, erklärt er und fasst doch stets neuen Mut. Immer wieder sucht er Behörden auf, fragt nach und erinnert an seine Situation. „Mann und Frau gehören doch zusammen“, sagt er.
Nach dem Lockdown fehlen in der Gastronomie Arbeitskräfte. Das ist auch bei Zeray Kesete nicht anders. Zwar sucht er nach Mitstreitern, sie zu finden ist jedoch nicht einfach. Gegenwärtig würde bedeuten, wenn er Spätschicht hat, müsste die "Nummer 4" geschlossen bleiben. Dass es nicht so ist, ist unter anderem auch Stammgästen wie Horst Gröner zu danken, die dann einfach vom Platz vor dem Tresen auf den dahinter wechseln, falls es ihre Zeit zulässt. Solange zumindest, bis der 30-jährige Wirt jemanden einstellen kann. Stammgäste helfen auch anderweitig, begleiten ihn beispielsweise bei Behördengängen. „In einer Zeit, da viele Gastronomen das Handtuch schmeißen müssen, muss man solche mutigen, jungen Menschen doch unterstützen“, sagt Gröner.
Für immer will Zeray nicht in Deutschland bleiben. Sobald sich die Verhältnisse ändern, wird er zurückkehren. Bis dahin aber will er so viel wie möglich lernen.
Autor:Online-Redaktion |
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