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Holocaust-Gedenken
Digitale Zeitzeugnisse oder Geister?

Eva Umlauf bei der Präsentation ihrer "virtuellen Realität"-Aufzeichnung. | Foto: Foto: epd-bild/Susanne Schröder
  • Eva Umlauf bei der Präsentation ihrer "virtuellen Realität"-Aufzeichnung.
  • Foto: Foto: epd-bild/Susanne Schröder
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Es ist eindeutig Ernst Grube, der da auf den verlassenen, nächtlichen Gleisen steht und einem jungen Mann mit seiner ruhigen, eindringlichen Stimme und knappen Gesten aus seinem Leben berichtet. Allerdings prangt ein riesengroßer, hellglänzender Stern mit der verschnörkelten Aufschrift «Jude» am Nachthimmel – denn tatsächlich spielt sich dieses Gespräch in einem VR-Erlebnis mit dem Titel «Ernst Grube – Mein Vermächtnis» ab.

Von Susanne Schröder

Wer sich die futuristische Brille für die «Virtuelle Realität» (VR) überstreift, begleitet den wirklichkeitsgetreuen Avatar des Holocaust-Überlebenden wie ein Zaungast in einer Art begehbarem Film durch verschiedene Stationen seiner Biografie – von der elterlichen Wohnung in München bis ins Ghetto Theresienstadt.

Das VR-Erlebnis mit Ernst Grube ist nur eines von vier digitalen Zeitzeugnissen in deutscher Sprache. Es wurde 2019 in einem UFA-Studio in Potsdam-Babelsberg mithilfe von 16 Kamerapaaren aufgezeichnet. Die Technik haben Wissenschaftler des Fraunhofer Heinrich Hertz Instituts in Berlin entwickelt. In drei anderen virtuellen Zeitzeugen-Gesprächen begegnet man den Holocaust-Überlebenden Abba Naor und Eva Umlauf sowie der mittlerweile verstorbenen Sintezza Zilly Schmidt. Sämtliche Projekte entstanden auf Initiative der Forschungsgruppe «Lernen mit digitalen Zeugnissen» (LediZ) an der Ludwig-Maximilians-Universität München.

Die neue Form stößt nicht überall auf Begeisterung. «Kritiker warnen vor einer digitalen Konservierung und einem Aufbereiten der Lebensgeschichten in nutzergerechte Häppchen», berichtete Anja Ballis, Professorin für Didaktik der deutschen Sprache. Ihr LediZ-Kollege Markus Gloe, Professor für Politische Bildung, ergänzt: «Manche fürchten dabei die Erschaffung digitaler Geister.» Der Wissenschaftler betonte, dass VR-Erlebnisse kein Ersatz für Zeitzeugengespräche seien: «Sie können jedoch auf andere Weise Erinnerung wachhalten.»

Und was sagen die, um die es geht? «Ich bin eigentlich zu alt für dieses digitale Zeug», sagte die 80-jährige Eva Umlauf, die das KZ Auschwitz als Kleinkind überlebte. Doch weil sie drei Söhne habe, wisse sie, dass jüngere Menschen als sie an digitalen Formaten großes Interesse hätten. Als sie das Ergebnis der Aufnahmen gesehen habe, sei sie positiv überrascht gewesen: «Das ist eine neue Welt!»

Ähnlich sieht es Charlotte Knobloch, Präsidentin der Israelitischen Kultusgemeinde München. Sie sei mit Blick auf VR-Erlebnisse skeptisch, «aber wenn wir die Jungen auf diesem Weg erreichen können, dann wäre diese Art für mich in Ordnung», sagte die 90-Jährige. Ob sie sich selbst für ein solches Video filmen lassen würde, habe sie noch nicht entschieden: «Aber ich bin grundsätzlich sehr offen.»

Ernst Grube schreibt den Forschenden noch einen Auftrag ins Pflichtenheft. Den Film könne man bislang mithilfe der VR-Brille nur alleine anschauen, «da fehlt die Gruppe», kritisierte der 90-Jährige. Er würde es begrüßen, wenn es künftig technisch möglich sei, das VR-Dokument als Klasse gemeinsam zu erleben. Schließlich genüge es nicht, nur seine Erzählung zu hören, wenn danach kein Austausch, kein reges Gespräch stattfinde.

Bei der Zielgruppe kommen die digitalen Zeugnisse gut an. «Eine persönliche Begegnung mit Zeitzeugen wird in 15 Jahren niemandem mehr möglich sein», sagte Anton Schiefer, Lehramtsstudent für Sozialkunde. Viel drängender als die Frage nach Für und Wider sei ohnehin der Faktor Zeit. «Die läuft uns nämlich weg», sagte Oliver Schreer, der das Forschungsteam am Berliner Heinrich Hertz Institut leitet. Jetzt, wo die technischen Möglichkeiten vorhanden seien, bräuchte es «Entscheider, die Geld in die Hand nehmen, um noch mehr digitale Zeugnisse zu finanzieren». Denn das ist derzeit die Crux der Erinnerungsarbeit: Dass die Zeitzeugenschaft an ihr Ende kommt, während die Technik für virtuelle Begegnungen gerade am Anfang steht.

(epd)

Autor:

Online-Redaktion

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