Augen, die nicht weinen können
Ganz persönlich: Mein Rückblick auf den Kirchentag
Von Pfarrer Sebastian Baer-Henney
Ich sitze in irgendeinem hippen Lokal in Berlin, trinke Radler in der Sonne – und möchte heulen. Ich möchte heulen, weil mich der Kirchentag nicht erbaut hat. Ich möchte heulen, weil ich nicht der Einzige bin, dem es so geht. Ich möchte heulen, weil ich in Momenten wie diesen den Glauben an die Zukunft der Kirche verliere, der Kirche, die Kirchentage feiert und für die ich arbeite. Ich möchte heulen, weil so viele den Glauben daran schon verloren haben.
Was ich erlebt habe, war Binnenkirche. Es waren viele Menschen unterwegs, die sich flotte Ideen für ihre Kirche angesehen haben – dabei aber in ihrer Welt dermaßen gefangen sind, dass sie nicht wahrnehmen, dass die Menschen von außen das Allermeiste davon nicht interessiert.
Nun mag man einwenden: Es ist doch gut, dass sich etwas bewegt. Es ist doch gut, dass die Menschen Ideen sammeln, in ihrem Glauben bestärkt werden, sich zusammentun. Man mag einwenden: Es ist wichtig, dass theologisch tiefer gegraben wird, dass Gott auf neuen Wegen gesucht wird. Viele dieser Wege sind aber nicht meine Wege. Und das an sich wäre ja noch kein Problem, weil ich mich nicht als Maß aller Dinge sehe. Aber die allermeisten Menschen, die ich kenne, können mit dieser Kirche nichts anfangen. Es sind die Menschen da draußen, es sind die Menschen in meinem Alter, es sind meine Verwandten, es sind meine früheren Mitschüler, es ist meine Frisörin, mein Postbote, meine Kassiererin. Es ist die Mehrheit.
Was ich gesehen habe, ist durchaus gut. Es ist gut für die Menschen, die noch kirchlich sind. Es ist gut für die Menschen, die kirchlich sozialisiert wurden. Ich zweifle nicht an, dass der Kirchentag für viele Menschen gut ist, und sicher möchte ich nicht diese Form von Kirche abschaffen. Aber, blicke ich mich hier um, wo ich gerade sitze, unter Linden zwischen Menschen mit Laptops und Asiasuppen, eisgekühlten Kaffees und Tattoos, dann sehe ich kaum jemanden, für den diese Kirche irgendeine Relevanz hat.
Diese Art von Kirche nimmt so viel Raum ein. Hunderttausend Menschen zelebrieren sie und sehen dabei gar nicht, wie viele andere sie damit ausschließen. Es ist ein Missverhältnis, dass diese Binnenkirchlichkeit uns so unverhältnismäßig viel beschäftigt. Unsere theologisch korrekten Antworten, unsere politisch korrekten Aussagen – all das ist richtig. Aber all das erstickt uns. Betäubt von dem Glauben, dass die, die nicht kommen, ein Problem haben, dass doch alles so gut und makellos ist, was wir machen, fehlt uns der Zugang zu denen da draußen. Wir rudern und rudern, wollen uns nicht angreifbar machen, gelähmt von der Angst, politisch inkorrekt oder oberflächlich zu werden. Und ertrinken in einem Strom binnenkirchlicher Leitkultur.
Es gibt viel zu wenige nichtkirchlich sozialisierte Menschen in der Kirche, die wissen, wie die Welt außerhalb der Kirchenblase aussieht. Stattdessen begegnet ihnen eine Kirche, die so oft visionslos erscheint, die sich noch einmal im Lichte Luthers sonnt, der den meisten Menschen in meinem Alter übrigens herzlich egal ist. Wollen wir die Kirche der kleinen emsigen Schlümpfe sein, von der die »taz« schreibt, eine Kirche, die mit fröhlichen Kulleraugen in die Welt blickt, die nicht weinen können? Soll es das gewesen sein?
Ich selber weiß keinen Ausweg bei diesem Problem. Und wo ist Gott in diesem Artikel? Ich weiß auch das nicht. Irgendwo auf dem Kirchentag war er. Sicher. Immer mal wieder blitzte er auf, zeigte seine Schönheit und seinen tröstenden Arm. Wenn Fulbert Steffensky von Gottes Umarmung sprach. Wenn im Abendgebet alle »Der Mond ist aufgegangen« sangen. Bei Straßenexerzitien, beim Gespräch mit Freunden, in Segnungsgottesdiensten, an so vielen Orten. Irgendwie war er dabei. Aber nicht auf den lustigen Bannern – seine Augen können nämlich weinen.
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