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Regierungsbildung Thüringen
"Das ist reine Mathematik"

Christine Lieberknecht, Ministerpräsidentin a.D.  | Foto: Beatrix Heinrichs
  • Christine Lieberknecht, Ministerpräsidentin a.D.
  • Foto: Beatrix Heinrichs
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Die Christdemokraten in Thüringen stehen vor einer schwierigen Aufgabe. Ohne BSW geht es nicht, aber mit dem Bündnis Sahra Wagenknecht werden ein Teil der konservativen Wähler und CDU-Mitglieder vor den Kopf gestoßen. Christine Lieberknecht, CDU-Ministerpräsidentin a.D., ist da ganz pragmatisch, wie Willi Wild im Gespräch mit der Pfarrerin erfuhr. 

Wie überrascht waren Sie vom Wahlergebnis?
Christine Lieberknecht:
Das Wahlergebnis lag im Rahmen des leider Erwartbaren. Aber es ist möglich, aus der Mitte des Landtags heraus eine Regierung zu bilden. Das wird auch geschehen.

„Aus der Mitte des Landtags“ – damit kann ja nicht das Bündnis Sahra Wagenknecht (BSW) gemeint sein.
Damit meine ich, dass die CDU mit Mario Voigt den zweiten Platz belegt hat und damit der Regierungsauftrag bei der CDU liegt, jenseits der AfD eine Regierung zu bilden. Das wird möglich sein mit dem BSW und der SPD. Dann bräuchte man die Linke für eine Tolerierung. Das hat jetzt nichts mit Parteivorlieben zu tun, sondern das ist reine Mathematik.
Eines ist unbestreitbar: Es muss eine Regierung gebildet werden. Die Thüringer Landesverfassung ist darauf angelegt, dass dafür alles getan werden muss. Die Landesverfassung steht über den Parteien, und sie wiegt schwerer als Parteitagsbeschlüsse. Da muss man auch über Hürden springen.
Allerdings kann und darf mit einer erwiesenen rechtsextremen Partei keine Regierung gebildet werden. Zwei Drittel der Thüringerinnen und Thüringer haben bewusst nicht die AfD gewählt, weil sie nicht von Rechtsextremisten regiert werden wollen.

In der CDU sehen es längst nicht alle so, dass es nur eine Frage der Mathematik ist. Die Vorstellung, auf Wagenknechts Gnaden angewiesen zu sein, stößt da auf Unverständnis.
Zur DNA der CDU gehört, keine gemeinsame Sache mit Extremisten zu machen. Andererseits aber auch die Übernahme von Verantwortung. Mit Verlaub, der Thüringer Landesverband des BSW mit Katja Wolf an der Spitze sollte zunächst einmal das Verhältnis zu Sahra Wagenknecht klären. Frau Wolf hat ausdrücklich gesagt, dass es jetzt um Thüringen geht und pragmatische Lösungen zu finden seien. Da sollte man sie beim Wort nehmen. Wenn man sich die Thüringer Repräsentanten des BSW ansieht, dann ist da einiges zum Wohle des Landes möglich.

Kommen Sie als Vorstandsmitglied der Bundesstiftung zur Aufarbeitung der SED-Diktatur in Gewissenskonflikte, dass die Thüringer CDU mit der „stalinistischen Kaderpartei“ gemeinsame Sache machen will?
Es ist natürlich eine Gradwanderung. Aber gerade weil ich mich intensiv mit der Aufarbeitung der DDR-Geschichte befasse und als junge Frau den Marxismus-Leninismus umfangreich studiert habe, mache ich mir überhaupt keine Illusionen, was Sahra Wagenknecht vorhat. Die sogenannte Partei eines neuen Typus ist ganz klar eine kommunistische Partei. Aber angesichts der Situation ist es notwendig, diese Sachen vor die Klammer zu ziehen und dann zu schauen, was wir pragmatisch für das Land tun können.
Eines geht nicht, die Thüringer so lange wählen zu lassen, bis man ein akzeptables Ergebnis bekommt.

SPD und Linke wurden geradezu pulverisiert. Könnte das nicht auch der CDU drohen, wenn sie mit dem kommunistischen Bündnis gemeinsame Sache macht?
Am meisten würde sich die CDU pulverisieren, wenn es eine absolute Handlungsunfähigkeit gäbe. Man kann sich nicht einmauern lassen, wo BSW und AfD alleine die Mehrheit hätten. Wo soll das denn hinführen. Die CDU muss zeigen, dass sie, um des Wohles des Landes willen, klar differenziert. Wir müssen uns gegen den Extremismus nach links und rechts wehren. Trotzdem gilt es, eine pragmatische Lösung für das Land zu finden.

"Es gibt sowohl beim BSW als auch bei der Linken Politiker, die ich in der Mitte verorten würde"

Der frühere CDU-Landrat Werner Henning hat die Linke als „Partei der Mitte“ bezeichnet. Wie ernst ist es noch mit der Abgrenzung der CDU nach links?
Aus meiner persönlichen Kenntnis gibt es sowohl beim BSW als auch bei der Linken Politiker, die ich in der Mitte verorten würde. Aber es gibt in beiden auch Mitglieder, die eindeutig dem extremistischen Lager zuzuordnen sind. Davor darf man die Augen nicht verschließen. Und dann muss man sehen, was man mit den Pragmatikern machen kann.

So ähnlich sieht das die CDU-Landrätin und Neu-Abgeordnete Martina Schweinsburg im Umgang mit der AfD. Wenn zwei das Gleiche tun, ist das nicht dasselbe?
Der Unterschied ist, dass die AfD als erwiesen rechtsextrem eingestuft wird und dafür eindeutige Indizien vorliegen. Rechtsextremisten können und dürfen in diesem Land keine Verantwortung übernehmen. Frau Schweinsburgs Vorstoß ist keine Mehrheitsmeinung in der CDU.
Man wird im Landtagsalltag nach Geschäftsordnung natürlich mit der stärksten Fraktion umgehen müssen. Man kann sie nicht von allem ausschließen, was ihr zusteht. Das hat jetzt eine andere Qualität als bisher, wenn es beispielsweise um Ausschussbesetzungen geht. Da empfehle ich, strikt nach Geschäftsordnung vorzugehen.

Wahlempfehlung der Kirchen nicht relevant 

Wie hilfreich haben Sie das Agieren der Kirchen im Wahlkampf wahrgenommen, die sich mit ihren Wahlempfehlungen gegen die AfD positionierten?
Wir wissen alle, wie stark der Bedeutungsverlust ist, den die Kirchen erlitten haben. Die Wahlempfehlung ist nicht wirklich relevant für die Wählerinnen und Wähler rübergekommen.

Sie stehen auch für die Initiative „Weltoffenes Thüringen“. Hat dieses Bündnis mit der Wahl ausgedient?
Ich kann nur empfehlen, weiterhin Initiative für die Vielfalt im Land zu ergreifen. Jetzt erst recht. Bei allen Befürchtungen und Klischees über Thüringen gilt es zu zeigen, dass es eine stabile demokratische Mitte aus allen Gesellschaftsschichten gibt. Wir können das Land nicht einem allgemeinen Mehltau von Resignation und Unzufriedenheit überlassen.

Wie wird der nächste Ministerpräsident heißen?
Ich bin mir sehr sicher, dass er Mario Voigt heißen wird. Aber wir brauchen etwas Geduld.

Autor:

Willi Wild

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