LOBE DEN HERRN UND VERGISS NICHT
75 Jahre Posaunenchor Gebesee nach der Gründung
Liebe Bläserinnen und Bläser! Liebe Gemeinde!
Der fromme Jude hat am Eingang seines Hauses einen kleinen Speckstein, der auf der Rückseite eine
Aussparung hat. In diese gibt er eine Zettel, auf den er einen ihm wichtigen Bibelspruch geschrieben hat,
an den er sich täglich erinnern will. Seit wir, meine Frau und ich, 1993 mit Kindern und Freunden in Israel waren, haben wir einen solchen Erinnerungsstein am Eingang unseres Hauses. Der Stein heißt "Mesusa", und auf dem Zettel steht der Spruch aus Psalm 103,2: Lobe den Herrn, meine Seele, und vergiss nicht, was er dir Gutes getan hat!" Auf meiner Hit-Liste für die Mesusa finden sich noch zwei weitere Sprüche. 1. Fürchte dich nicht, denn ich habe dich erlöst, ich habe dich bei deinem Namen gerufen: Du bist mein!" Der steht Jesaja 43,1 und Johann Sebastian Bach hat eine wunderbare Motette dazu geschrieben. Und 2. (Römer 8,39): "Nichts kann uns schei-den von der Liebe Gottes, die in Christus Jesus ist, unserem Herrn!" Doch für ein solches Wort muss man sich entscheiden, und so habe ich Psalm 103,2 gewählt und schon oft darüber gepredigt.
Wenn ich darüber nachdenke, was Gott mir Gutes getan hat, dann fällt mir eine Menge ein: Vater und Mutter, Partner und Kinder, Geschwister und Freunde und auf jeden Fall auch Bläserinnen und Bläser. Die Mutter hat
uns zuerst geprägt, denn sie sang und betete mit uns (Vater war sechs Jahre im Krieg!) Bruder Friedemann hat folgende Episode festgehalten: Mutter kommt ins Kinderzimmer wie jeden Abend. Bevor wir singen und beten, will Martin nicht seine Hände falten. Mutter sagt: Beim Beten falten man die Hände. Ich falte meine Hände, Friedemann faltet seiner Hände, und Martin faltet auch seine Hände. Der will aber gerade nicht. Wer weiß, was vorher war? Das ging so ein paarmal, bis Martin leise vor sich hin spricht: Blöde Mutti, blöder Friedemann"! Und laut: "Amen!"
Unser Vater war ein großer Erzähler. Eines seiner Lieblingsbücher war (neben Wilhelm Busch) Jörnjakob Swehn, Der Amerikafahrer. Es ist mir vor einigen Wochen in die Hände gefallen, und ich hatte meine Freude daran, es erneut zu lesen. Geschrieben hat es ein Johannes Gillhoff, der von 1861-193o gelebt hat . Es handelt von einem fiktiven Mecklenburger (Jörnjakob Swehn), der 1868 aus der Nähe von Ludwigslust nach Iowa/USA auswandert, durch großen Fleiß und Geschick zu Landbesitz und Ansehen kommt, seinem lutherischen Glauben treu bleibt und im Winter lange Briefe an seinen alten Lehrer in der Heimat schreibt. Ein sehr bewegendes Kapitel ist das, wo er vom Tod seiner Mutter berichtet. Das ist geradezu große Literatur. Aber das muss man vorlesen, und das ist mir heute zu nah! Erzählen will ich die Geschichte von den "Ottern und Schlangen", die mir besten sin Erinnerung ist: Nachdem die Farmer eines Dorfes drei Jahre lang Miss-Ernten hatten, beschließen die Ältesten mit großer Mehrheit, die Kosten für den Pfarrer zu sparen. Sie wollen es selber machen und die Predigt durch eine kräftige Ermahnung ersetzen. Der Sonntag kommt heran. Die Kirche ist übervoll. Der Kandidat schwitzt aus allen Poren und lässt lange Lieder singen. Aber dann muss er doch beginnen mit seiner Vermahnung. Er liest Matthäus 23, wo Jesus die Pharisäer hart angreift: "O ihr Schlangen und Ottergezücht, wie wollt ihr der himmlischen Verdammnis entrinnen!?" Aber dann ist er plötzlich völlig von der Rolle. Er kommt nicht los von den Ottern und Schlangen. Er wiederholt sich. Er verspricht sich. Aus den Ottern und Schlangen werden Schlottern und Zangen, und auch das anschließende Gebet wird zur absoluten Katastrophe. Keiner der anderen Ältesten will nach dieser Pleite den nächsten Gottesdienst übernehmen, und so predigt am nächsten Sonntag wieder der alte Pfarrer. Er hatte sich schon so etwas gedacht und war in der Nähe geblieben.
Warum hatte unserem Vater diese Geschichte so gefallen? Doch wohl, weil sie klar macht, dass es mit dem Predigen so einfach nicht ist. Und diese Erfahrung macht schon einmal einer, der bloß eine Lesepredig zu halten hat. Nicht umsonst sagt die Confessio Augustana, dass einer, der predigt (und die Sakramente zu verwalten hat) "rite vocatus" sein muss, also ordentlich berufen. Und Vater lebte ja in einer Zeit, in der die DDR-Ideologen massiv gegen Kirche vorgingen und damit sein Amt und seine Existenz in Frage stellten. Ja, Mutter und Vater will ich zuerst nennen, wenn ich darüber nachdenke, wofür ich Gott zu danken habe.
An einem Posaunenchor-Jubiläum will ich aber auch an euch denken, liebe Bläserinnen und Bläser: für eure Treue und Einsatzbereitschaft, für hunderte von Gottesdiensten, Ständchen, Proben und Konzerten, und für die Gemeinschaft bei regionalen und überregionalen Posaunentagen. So ein Posaunenchor ist schon eine besondere Gruppe! Männer und Frauen, Kinder, Jugendliche und Erwachsene sind vereint im Lob Gottes!
Aber ich möchte auch den Zusammenhang unseres Psalm-Wortes (103,2) zum Psalm insgesamt herstellen und lese einmal eine längere Passage von Psalm 103: (Lobe den Herrn, meine Seele, und was in mir ist seinen heiligen Namen. Lobe den Herrn, meine Seele, und vergiss nicht, was es dir Gutes getan hat.)
Der dir alle deine Sünden vergibt und heilet alle deine Gebrechen;
der dein Leben vom Verderben erlöst;
der dich krönet mit Gnade und Barmherzigkeit;
der deinen Mund fröhlich macht und du wieder jung wirst wie ein Adler.
Und weiter: Ein Mensch ist in seinem Leben wie Gras; er blüht wie eine Blume auf dem Feld; wenn der Wind darüber geht, so ist sie nicht mehr da, und ihre Stätte kennt keiner mehr. Die Gnade des Herrn aber währt von Ewigkeit zu Ewigkeit über denen, die ihn fürchten.
Der Psalm hat zwei Imperative: "lobe" und "vergiss nicht". Jeder Choral ist ein Lob Gottes. Und jedes Gebet sollte vor der Bitte Gottes Lob formulieren. Wir Menschen tun uns schwer mit dem Loben. Wir warten doch alle darauf, dass wir selbst gelobt werden und Anerkennung finden, -dass einer sagt: "Das hast du gut gemacht!"
Deshalb vollzieht der Beter eine wichtige Bewegung: er blickt von sich selbst weg und blickt hin zu Gott: er fordert sich und uns dazu auf, das Lob Gottes nicht zu vergessen; und er erinnert sich und uns daran, was Gott Gutes getan hat: der dir alle deine Sünden vergibt und heilet alle deine Gebrechen, -der deine Leben vom Verderben erlöst usw. (siehe oben).
Vergebung, - Heilung, - Erlösung, - Krönung, - Freude und ewige Jugend. Was würden wir uns aussuchen, wenn wir die Wahl hätten? Wieder jung sein, und das ewig? ("Ich möchte nochmal 20 sein und so vierliebt wie damals
. . .) Manchmal fällt es uns schwer, das auszuhalten, was das Alter uns zumutet. Und manche von Euch Bläse-
rinnen und mancher von Euch Bläsern wird mir das bestätigen. Aber wir brauchen nichts auszuwählen. Wir bekommen alles, - das ganze Paket: Vergebung, Heilung, Erlösung, Krönung, Freude und Leben! "Aber wir müssen sterben!", wird einer sagen. Ja, das müssen wir. Wir sind wie Gras; wir wachsen heran, wir blühen auf, wir leben eine Zeit, und dann geht unser Leben auf sein Ende zu. Doch das soll uns nicht unser Leben verdunkeln und uns in die Tiefe ziehen. Denn: die Gnade des Herren bleibt! Und da heißt für mich: auch wir bleiben, und unsere Kirche bleibt. Blasen ist Erinnerung an Gottes Tun: durch die Geschichte, durch unser Leben und in alle Ewigkeit. Einen Satz hat mir meine Frau zuletzt wieder in Erinnerung gebracht. Er stammt von dem katholischen Theologen Romano Guardino, und mit dem will ich schließen: "Geborgenheit im Letzten gibt Gelassenheit im Vorletzten!" Amen. (Gebesee, d. 17.09.2011)
Autor:Martin Steiger |
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