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Praxistest
Gib dem, der dich bittet

Foto: pixabay.com/garten-gg

Auf die große Poststelle in Weimar gehe ich selten. Sie ist mir immer zu voll. Dafür gehe ich gern in die
Heinrich-Heine-Straße. Da muss man in der Regel nicht lange warten. Aber denkste! Da war auch mächtig was
los. Als ich die Reihe der Wartenden durchsah, fiel mir ein junger Mann auf: groß, markantes Gesicht, volle
dunkle Haare, mit einem hellen Übergangsmantel (Wer trägt heutzutage einen Übergangsmantel!?). Als er an der Reihe war, fingerte er ohne Erfolg in Mantel- und Hosentaschen herum, schaute auf die Reihe der Anste-
henden, tippte auf seinem Handy, redete mit der Verkäuferin, was ich nicht verstehend konnte, und fragte
schließlich laut und vernehmlich: "Hat denn einer mal drei Euro für mich!?" Die Gruppe schwieg. Ich auch.
Ich dachte: Wenn einer zur Post geht, um eine Päckchen oder was aufzugeben, dann muss er sich vorher ver-gewissern. dass er auch Geld dabei hat. Wie komme ich dazu, ihm drei Euro zu schenken? Später dachte ich:
Du hättest sagen können. "Einen Euro bekommen sie von mir. Vielleicht gibt es ja zwei Personen, die ihnen auch
einen Euro schenken?" Aber das war später. Zuletzt sagte er in vorwurfsvollem Ton: "Dann muss ich eben noch einmal wieder kommen!" Und schon war er weg.

Am nächsten Tag hatten wir Bibelstunde im Herder-Zentrum. Da besprechen wir einmal im Monat mit Pfarrer S.K.  in einer Runde von 10-13 Personen den Predigttext des kommenden Sonntags. In diesem Fall war das Matthäus 5, 38-48. Der Kenner weiß, das da die sogenannte "Bergpredigt" steht, die Jesus zugeschrieben wird, und wo sehr markante Texte stehen: "Ihr habt gehört, dass... Ich aber sage euch..." In unserem Predigttext:
"Ihr habt gehört...: Auge um Auge, Zahn um Zahn. Ich aber sage euch, dass ihr nicht widerstreben sollt dem Bösen..." Und da kommt dann auch der Satz: "Gib dem, der dich bittet, und wende dich nicht ab von dem, der
dir abborgen will."  

Ein Stück weit, war ich beschämt. Auf die drei Euro hätte ich lässig verzichten können. Das wäre die leichteste der Übungen gewesen. Denn zum Schluss (V. 48) heißt es: "Darum sollt ihr vollkommen sein, gleichwie euer Vater im Himmel vollkommen ist." Du meine Güte! Wer könnte diese Forderung auch nur annähernd erfüllen!?

Autor:

Martin Steiger

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