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Luther-Dekade trifft Dada-Dekade

Die Wärmflaschen-Ente von Reinhard von Gigantikow ist im Lügenmuseum Radebeul ausgestellt. | Foto: Amac Garbe

Sie ist in gewisser Weise ein ironischer Kommentar zur Luther-Dekade, die seit 2008 mit Themenjahren das 500. Reformationsjubiläum vorbereitet: die Weimarer Dada-Dekade 2012–2022.

Von Michael von Hintzenstern

Auch hier gibt es einen historischen Anknüpfungspunkt: den »Internationalen Kongress der Dadaisten und Konstruktivisten«, der vom 25. bis 27. September 1922 in Weimar und Jena veranstaltet wurde. Weil dieses einzigartige Treffen damals in der Klassikerstadt keine Beachtung fand, soll durch die Proklamation der Dekade sein 100. Jahrestag ins öffentliche Bewusstsein gerückt werden.
Zu den weit gereisten Teilnehmern gehörten aus dem Westen der dadaistische Freundeskreis um Hans Arp, Kurt Schwitters und Tristan Tzara und aus dem Osten die Suprematisten und Konstruktivisten um El Lissitzky und László Moholy-Nagy. Die Organisation lag in den Händen des Holländers Theo van Doesburg (1883–1931), der 1921 und 1922 Kurse im Umfeld des Weimarer Bauhauses hielt, zu den Mitbegründern der abstrakten Malerei gehörte und sich zeitweilig dem Dadaismus anschloss. Er schrieb unter dem Namen I. K. Bonset dadaistische Gedichte und veröffentlichte diese in seiner Zeitschrift »Mecano«.
Mit der »Dada-Dekade 2012–2022« geht es den Veranstaltern – der Galerie Markt 21 und dem Verein »Klang Projekte Weimar« – nicht um kollektive Denkmalpflege, sondern um eine Mobilisierung der schöpferischen Kräfte, die heute in der »freien Szene« existieren. Bei der Vorbereitung des 100. Kongress-Jubiläums setzen sie deshalb auch auf Themenjahre, die historische und lokale Querverbindungen herstellen, wie z. B. »Jena – Japan – Jenseits« (2013) oder »Hoch – Höher – HÖCH. Dada mit HANNAH aus Gotha« (2014), wobei die vor 125 Jahren in Gotha geborene erste Dadaistin und Wegbereiterin von Collage und Fotomontage im Mittelpunkt stand. Während 2015 unter dem Motto »Grachten – Kräche – Kreationen« ein 1923 durchgeführter »Dada-Feldzug« in die Niederlande mit einer Wohnwagen-Tour nach Amsterdam nachgestellt wurde, war es 2016 der 100. Geburtstag von Dada, der unter der Überschrift »Zürich – Züklon –
Züankaly« auch am Gründungsort, dem »Cabaret Voltaire«, in der Schweizer Metropole begangen wurde.
Unter dem Titel »Reformation, Revolution, Reklamation« treffen in diesem Jahr beide Dekaden aufeinander. Dabei stehen jene geschichtlichen Ereignisse im Mittelpunkt, die vor 500 bzw. 100 Jahren für Furore sorgten: Luthers Thesenanschlag und die Große Sozialistische Oktoberrevolution. Darüber hinaus reagieren die Initiatoren auf brisante gesellschaftspolitische Entwicklungen. Die Performance »Neujahrsempfang« zur Eröffnung des sechsten Themenjahres wird deshalb mit einer Ausstellung des »Ideenmillionärs« Richard von Gigantikow verknüpft, den »Die Zeit« als »letzten Dadaisten des wilden Ostens« bezeichnete.
Der gebürtige Erfurter, der bereits in den 1980er-Jahren mit spektakulären Kunst-Aktionen in der Ostberliner Szene am Prenzlauer Berg gegen die offizielle Kulturpolitik auftrat, ist bis heute unbequem geblieben. So intervenierte er im Juni 2016 mit der »WuKaMenta« vor der Frauenkirche in Dresden und lud 33 internationale Künstler ein. Die Idee einer Ausstellung von »Wunderkammern zeitgenössischer Kunst im öffentlichen Raum« wird in diesem Jahr fortgesetzt und der Frage nachgehen: »Anders leben, aber wie?« Außerdem sind »Montags-Messen« auf dem Neumarkt geplant.
Richard von Gigantikows »Lügenmuseum«, seit 2012 in Radebeul beheimatet, zeigt »Reliquien einer traumatisch eingestürzten Inneneinrichtung namens DDR«. Aus seinem reichen Fundus sind in Weimar unter dem Titel »RiRaRutsch« Collagen, Installationen, Licht- und Klanginszenierungen zu sehen, wie z. B. »Die Kathedrale des Sozialismus«. Sie zeigt die Lüge der im rosa Licht erscheinenden Geschichte. »Nicht für jeden war die DDR ein Gefangenenlager mit Wachtürmen und Stacheldraht. Für viele Verweigerer, Bürgerrechtler und Künstler schon«, betont der Ausstellungsmacher. Ihre Wut und ihr erlebtes Unrecht hätten sie deshalb mit ihren Kunstwerken zum Ausdruck gebracht. »Dada ist antikünstlerische Geste, raumfüllende Ausstellungsästhetik und aufwühlende Geisteshaltung mit Biss, die in der Weimarer Galerie den befruchtenden Rahmen findet«, ist der Künstler überzeugt.

Der Autor ist Initiator der Dada-Dekade 2012–2022

13. Januar bis 22. Februar, Galerie Markt 21, Weimar, täglich 18 bis 24 Uhr, Eintritt frei; Eröffnung: Freitag, 13. 1., 21 Uhr, mit Uraufführung eines neuen Werkes durch den »Absurden Chor Weimar«
www.dadamenta.eu

Autor:

Kirchenzeitungsredaktion EKM Süd

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