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Abraham-Geiger-Kolleg
Debatte um Rabbinerausbildung

Foto: epd-bild/Rolf Zöllner

Im August vor 25 Jahren wurde das Potsdamer Rabbinerseminar Abraham-Geiger-Kolleg gegründet, inzwischen wurden fast 50 Absolventen zu jüdischen Geistlichen ordiniert. Das Jubiläum wird vom Konflikt über die Trägerschaft überschattet, über öffentliche Fördermittel wird vor Gericht gestritten. Der rabbinische Leiter Andreas Nachama fordert einen runden Tisch zur Lösung der Probleme. Die liberale Ausbildungsstätte müsse erhalten werden, sagte er im Gespräch mit Yvonne Jennerjahn.

Wie geht es dem Kolleg im Jubiläumsjahr?
Andreas Nachama:
Intern geht es uns gut. Wir lernen und lehren. Ich finde auch, dass die Studierenden des liberalen Abraham-Geiger-Kollegs und des konservativen Zacharias-Frankel-College in Potsdam untereinander einen sehr guten Draht haben. Wir feiern gemeinsam Gottesdienste. Insofern bin ich sehr optimistisch. Nach den Diskussionen über öffentliche Vorwürfe zu möglichem Machtmissbrauch auf der Leitungsebene vor meiner Amtsübernahme haben wir dafür gesorgt, dass es seit diesem Januar ein Ombudsbüro gibt, eine angesehene Berliner Anwaltskanzlei. Da können sich Studierende jetzt hinwenden, falls es Probleme geben sollte. Das ist für alle Seiten entlastend.

Die Rabbinerausbildung ist durch anhaltende Konflikte über die Trägerschaft belastet. Der Zentralrat der Juden will eine Stiftung etablieren, die derzeitige Trägerin, die Jüdische Gemeinde zu Berlin, will das nicht. Worum geht es da?
Nachama:
Der Zentralrat will einfach ein neues Rabbinatsstudium einrichten und weder die alten Mitarbeiter noch die alten Strukturen übernehmen. Bisher konnten die Absolventen des Abraham-Geiger-Kollegs praktisch auf der ganzen Welt arbeiten, nicht nur in Deutschland. Der Zentralrat bezweifelt aber, dass die Akkreditierung des Kollegs bei dem weltweit führenden Verband Central Conference of American Rabbis und damit die Anerkennung der Ordinationen durch den Verband notwendig ist. Es geht am Ende darum, dass der Zentralrat das alleinige Sagen hat und eine Aufsicht durch internationale Gremien und die Mitsprache von Fachleuten scheut. Das würde dann aber zu einer Provinzialisierung des Rabbinatsstudiums führen und dazu, dass Absolventen nur noch in Deutschland tätig sein könnten. Es geht darum, das Bestehende kaputtzumachen.
Das finde ich, sagen wir mal, etwas merkwürdig und sehr bedauerlich. Die Studierenden haben gesagt, sie sehen das als feindliche Übernahme. Und das fühlt sich auch ein Stück so an. Der Zentralrat möchte alleiniger Sprecher für Jüdisches in Deutschland sein. Jüdisches Leben lässt sich aber in aller Regel nicht auf eine Meinung reduzieren, es ist immer sehr unterschiedlich.

Aber wäre eine Stiftung als Trägerin der Potsdamer Rabbinatsausbildung nicht durchaus sinnvoll?
Nachama:
Die Form der Trägerschaft und die Rechtsform sind nicht so wichtig. Es geht darum, wer dort das Sagen hat, wer die Aufsicht hat.
Dass der heutige Zentralratsvorsitzende Josef Schuster eine liberale Person ist, steht ja außer Frage. Aber wer kommt danach? Die Dinge müssen schon so aufgestellt sein, dass sie der Vielschichtigkeit jüdischen Lebens Rechnung tragen und nicht in die Situation geraten dürfen, dass irgendwer mit irgendeiner Idee durchregieren kann. Die orthodoxe Rabbinerausbildung als unabhängiger eingetragener Verein würde sich eine solche Mitsprache des Zentralrats auch verbitten.

Seit gut anderthalb Jahren ist die Berliner jüdische Gemeinde Trägerin des Abraham-Geiger-Kollegs. Ist das nicht ungewöhnlich, dass eine Gemeinde für eine solche Ausbildungseinrichtung verantwortlich ist?
Nachama:
Die Jüdische Gemeinde zu Berlin ist eine Körperschaft des öffentlichen Rechts. Das war wichtig bei der Übernahme der Trägerschaft für die gemeinnützige GmbH des Kollegs.

Bei der Ankündigung der Stiftung Ende Februar haben der Zentralrat und die öffentlichen Zuwendungsgeber von einem Vertrauensverlust in die derzeitige Trägerstruktur gesprochen. Muss man solchen Vorbehalten nicht auch Rechnung tragen?
Nachama:
Da müsste man mal fragen, worin dieser Vertrauensverlust besteht. Man kann immer sagen, etwas kann besser werden. Aber dann muss man auch sagen, was besser werden soll. Die Jüdische Gemeinde zu Berlin ist eine der größten in der Bundesrepublik, sie hat zehn Synagogen. Sie hat eine große Zahl von Angestellten, hat Schulen, Kindergärten und andere Einrichtungen, die allesamt geräuschlos funktionieren. Man muss auch mal den Hut davor ziehen, dass in so einer schwierigen Zeit all diese Dinge so reibungslos laufen. Und das ist beim Abraham-Geiger-Kolleg in der Trägerschaft der jüdischen Gemeinde auch so, obwohl seit Frühsommer 2023 keine Fördermittel der Zuwendungsgeber mehr fließen. Wir tun alle unser Möglichstes, um trotz schwieriger Bedingungen den Lehrbetrieb aufrechtzuerhalten.

Wie sollte denn aus Ihrer Sicht sichergestellt werden, dass das Kolleg ein liberales Rabbinerseminar mit weltweiter Ausrichtung bleibt?
Nachama:
Wir sind gerade dabei, ein Aufsichtsgremium zu bilden. Dazu sind unter anderem die weltweit größte jüdische Organisation, die World Union for Progressive Judaism, und die European Union for Progressive Judaism eingeladen. Dieser große liberale Weltverband ist so demokratisch und vielschichtig aufgestellt, dass ein Durchregieren nicht möglich ist. Im Augenblick befindet sich dieses Aufsichtsgremium in der konstituierenden Phase. Am Ende kann es auch auf eine Stiftung als Trägerin hinauslaufen. Aber die muss dann unabhängig sein und nicht Organ des Zentralrats der Juden in Deutschland.

Wie könnte der aktuelle Konflikt gelöst werden?
Nachama:
Wir brauchen jetzt einen runden Tisch, an dem sich alle Beteiligten zusammensetzen und nach guten Lösungen suchen. Die jetzige sehr erfolgreiche liberale Rabbinerausbildung darf nicht einfach mit der vom Zentralrat geplanten Stiftung ausgelöscht werden.
Am Abraham-Geiger-Kolleg sind diejenigen ausgebildet worden, die jetzt in Tschechien und anderen Ländern jüdische Gemeinden aufbauen.
Dass in Deutschland wieder Rabbiner für die Welt ausgebildet werden, ist eine Erfolgsgeschichte. Ich verstehe nicht, wie man sowas infrage stellen kann und beenden will.

Wer sollte sich an diesem runden Tisch beteiligen?
Nachama:
Alle staatlichen Zuwendungsgeber, also das Bundesinnenministerium, die Kultusministerkonferenz und das brandenburgische Kulturministerium; der Zentralrat, die Berliner jüdische Gemeinde, das Abraham-Geiger- und das Zacharias-Frankel-Kolleg, die internationalen Partner. Das kann ruhig ein großer runder Tisch sein. Je mehr Menschen da sitzen, umso mehr Kreativität wird dabei sein. Ich bin ganz sicher, dass wir eine tragfähige Lösung finden werden, wenn der Wille dazu da ist.

Was passiert denn, wenn kein Konsens gefunden wird?
Nachama:
Ich glaube, es ist genügend Raum für Kompromisse und für ein vernünftiges Vorgehen da. Außerdem gibt es ja eigentlich eine institutionelle Förderung mit öffentlichen Mitteln für das Abraham-Geiger-Kolleg. Und die wird man nicht einfach über Nacht abschalten können, auch wenn seit einiger Zeit keine Mittel mehr fließen. So einfach ist das in einem Rechtsstaat nicht. Damit befasst sich jetzt das Verwaltungsgericht.

Wie sollte die Zukunft des Abraham-Geiger-Kollegs aussehen?
Nachama:
Ich kann mir sehr gut vorstellen, dass die öffentlichen Geldgeber einen Weg finden, direkt und ohne Umweg über den Zentralrat die Rabbinerausbildung zu bezuschussen. Alles Weitere bedarf dann der kritischen Begleitung. Sollte sich an irgendeiner Stelle zeigen, dass etwas verbessert werden sollte, dann sollte man das unbedingt tun. Was wir jetzt brauchen, ist Planungssicherheit. Wir müssen aus dem absurden Bangen um die staatlichen Zuwendungen rauskommen.

(epd)

Autor:

Online-Redaktion

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