Verteidigen oder auswandern?
Was junge Leute über den Krieg denken

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Zerfetzte Körper, bei der Flucht erfrorene Menschen im Straßengraben, das von einer Bombe zerstörte Elternhaus - wer heute unter 80 Jahre alt und in Deutschland aufgewachsen ist, kennt solche Kriegserlebnisse meist nur aus Erzählungen. Die Schrecken des Krieges schienen weit entfernt vom eigenen Erleben - wären da nicht der Ukraine-Krieg, die Kehrtwende in der US-Politik und das jüngste milliardenschwere Paket der Bundesregierung für die Verteidigung. Viele, ob jung oder alt, haben das Gefühl, dass ihnen ein Krieg näher kommt.
Von Angelika Prauß (KNA)
Der 18-jährige Constantin aus Leipzig findet es seltsam, dass das Thema Krieg vielen erst jetzt wieder präsenter wird, wenn es um Aufrüstung und eine mögliche Wehrpflicht geht. Auch nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs habe es in anderen Teilen der Welt immer wieder Kriege gegeben. "Bei jungen Leuten ist das Thema nicht erst seit der Ukraine im Bewusstsein", sagt Constantin.
Sorge vor Drittem Weltkrieg
Die Möglichkeit, selbst in einen Krieg verwickelt zu werden und das eigene Land gegen äußere Bedrohung verteidigen zu müssen, scheint realer zu werden. Laut einer aktuellen Umfrage des Meinungsforschungsinstituts YouGov in Kooperation mit dem Sinus Institut sorgen sich rund 59 Prozent der Befragten, dass bald ein Dritter Weltkrieg ausbrechen könnte. Der Option, Deutschland selbst als Soldat oder Soldatin zu verteidigen, stimmten aber nur 20 Prozent zu - ablehnend zeigten sich dagegen 64 Prozent.
Die Bundeswehr kommt zu einer anderen Einschätzung. Das Zentrum für Militärgeschichte und Sozialwissenschaften der Bundeswehr (ZMSBw) in Potsdam erforscht in regelmäßigen Abständen, wie es um die Verteidigungsbereitschaft der Bevölkerung steht. Während sich im Jahr 2021 noch 31 Prozent der Befragten zwischen 16 und 29 Jahren bereit zeigten, "Deutschland im Falle eines militärischen Angriffs mit der Waffe zu verteidigen", seien es 2024 bereits 41 Prozent gewesen, erklärt Timo Graf vom ZMSBw. Die Bundeswehr geht damit von Millionen "wehrbereiten jungen Menschen aus", zitiert Graf aus der Erhebung. Unter ihnen sei die Verteidigungsbereitschaft gewachsen, ebenso bei älteren Befragten.
Lernen fürs Leben bei der Bundeswehr
Auch Constantin kann sich grundsätzlich vorstellen, zur Bundeswehr zu gehen: "Weil man da gute Sachen fürs Leben lernt", sagt der Abiturient. Er räumt ein, eher antiautoritär eingestellt zu sein - etwas mehr Disziplin und Akzeptanz von Hierarchien im positiven Sinn könnten ihm vielleicht nicht schaden, räumt er selbstkritisch ein. Gut findet er auch, "dass man Strukturen in sein Leben bekommt und körperliche Fitness".
Was ihn dennoch abschreckt, ist, "dass man immer rekrutiert werden kann". Er stellt klar: "Ich möchte nicht in den Krieg ziehen". Dabei könnte es seinen Geburtsjahrgang - 2007 - durch die aktuellen Überlegungen zur Wiedereinführung der Wehrpflicht vielleicht noch treffen.
Laut Bundeswehr-Erhebung fühlt sich die Hälfte der jungen Befragten durch die Spannungen zwischen Russland und dem Westen "in ihrer persönlichen Sicherheit bedroht" - mehr noch als durch den Klimawandel, den 46 Prozent als große Gefahr ansehen. Vor Russlands Angriff auf die Ukraine 2022 seien sicherheitspolitische Risiken kein Thema gewesen; der Klimawandel habe das Bedrohungsempfinden junger Menschen dominiert - "das ist jetzt anders".
Größere Angst vor Klimakatastrophe
Constantin teilt diese Einschätzung nicht. Er habe weniger Angst vor einem Krieg als vor der sich anbahnenden Klimakatastrophe, die Menschen in aller Welt auf lange Sicht viel mehr träfe. Junge Leute hätten bei Initiativen wie Fridays for Future große Solidarität und Engagement für das Gemeinwohl gezeigt, sagt der junge Mann.
Zwar engagierten sich junge Menschen auch im zivilen Katastrophenschutz wie der Feuerwehr, die auch bei Überschwemmungen helfe. "Aber viel wichtiger wäre es doch, statt gegen die Symptome des Klimawandels wie Starkregen anzukämpfen, gleich die Ursache der Klimaerwärmung anzupacken." Schließlich sei damit zu rechnen, dass Einzelkatastrophen durch den Klimawandel in Zukunft zunähmen.
Viele junge Leute fühlten sich "nicht so an Deutschland gebunden", beobachtet Constantin. In seinem Freundeskreis werde schon mal diskutiert, "wo man bei Krieg und Klimakrise hinziehen kann". Der globalen Klimakatastrophe könne man jedoch durch Auswandern nicht entkommen, gibt der Schüler zu bedenken. Anders bei einem möglichen Krieg. Da habe sich ein Land herauskristallisiert, das kein Militär und keinen militärischen Nutzen habe: Island.
Autor:Online-Redaktion |
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