Kirche und Qualitätssicherung
Dienstleister in der Krise
Die Kirchen haben in der Corona-Krise viele Chancen – längst nicht überall werden sie genutzt. Eine kritische Betrachtung.
Von Benjamin Lassiwe
Das Abendmahl gibt es im Gottesdienst schon lange nicht mehr. Und das Singen in der Kirche ist weiter untersagt. Wer in Corona-Zeiten in den Gottesdienst geht, findet vieles, was ihm so noch vor einigen Monaten ganz sicher fremd gewesen wäre: Menschen mit Maske und Abstand, weiträumig verstreut auf den Kirchenbänken sitzend. Scheue, fast ängstliche Blicke in den Augen. Und ein Erschrecken, wenn plötzlich jemand hustet.
Und doch: Gottesdienste, auch Präsenzgottesdienste, finden weiter statt. Die Gemeinden versammeln sich, hören auf Gottes Wort. Denn die Kirchen haben es in der Corona-Krise frühzeitig geschafft, tragfähige Hygienekonzepte zu entwickeln. In den Gotteshäusern der EKM, der Landeskirche Anhalts und der sächsischen Landeskirche gab es keinen Corona-Ausbruch, keinen sogenannten Hotspot. Doch die Gemeinden sind bisher höchst unterschiedlich durch die Corona-Zeit gekommen.
Da waren die engagierten, internet-affinen Pfarrerinnen und Pfarrer, die schon lange neue Wege für ihre Arbeit ausprobieren wollten. Gottesdienste per Zoom-Schalte oder Andachten per Telefonkonferenz, das Abendmahl zum Selberfeiern für zu Hause, Übertragungen auf Facebook oder Youtube. Der mobile Ostergottesdienst auf dem Anhänger eines Treckers.
Kreativität gab und gibt es, und das jede Menge. Wo eine engagierte Gemeinde und eine aktive Pfarrerin zusammenkamen, hat die Kirche im letzten Jahr nicht nur funktioniert. Sie hat gezeigt, was sie in einer Krisenzeit zu leisten in der Lage ist: den Menschen Trost und Hoffnung zu spenden, Gesprächspartner zu sein für Einsame und Verängstigte.
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"Kein Berufsstand redet so ungern über die Qualität der eigenen Arbeit wie die Pastorinnen und Pastoren"
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Doch das war und ist nicht überall so. Denn in den Landeskirchen gab und gibt es nicht nur die Engagierten. Es gab und gibt auch die anderen: Pfarrerinnen und Pfarrer, die ihren Dienst bestenfalls nach Vorschrift absolvieren. Gemeinden, die in der ersten Phase der Pandemie Schwierigkeiten hatten, ihre Kirchengebäude auch nur für das stille Gebet zu öffnen. Pfarrer, die aus Angst vor dem vermeintlich bösen Datenschutz Videoübertragungen aus ihren Gemeinden ablehnen. Gemeindekirchenräte, die lieber ein paar Monate gar nichts tun, als irgendetwas falsch zu machen. Gemeinden, die die Chancen, welche die Corona-Krise der Kirche bot, mit Pauken und Trompeten, aber frohen Mutes verpassten.
Beispiele dafür gibt es zur Genüge. Sie sollen hier nicht namentlich genannt werden, sind aber der Redaktion bekannt. Denn es geht in diesem Text nicht um das Bloßstellen einzelner Pfarrer oder Gemeinden. Es geht um ein Problem, das die Kirche als Ganzes hat: Über gute Beispiele spricht sie gern – und das ist auch richtig, schließlich heißt es schon in der Bibel, dass man sein Licht nicht unter den Scheffel stellen soll.
Aber mit den schlechten Beispielen ist das anders: Kein Berufsstand in Deutschland redet so ungern über die Qualität der eigenen Arbeit wie die evangelischen Pastorinnen und Pastoren. Wer es wagt, die Arbeit in den Gemeinden an der Basis kritisch zu hinterfragen, hat im Nu große Teile der Kirche gegen sich.
Zumal, wenn es gegen die besondere berufliche Stellung der Seelsorger geht. Weil die Kirchen Körperschaften des öffentlichen Rechts sind, sind Pfarrerinnen und Pfarrer in einem öffentlich-rechtlichen Dienstverhältnis angestellt – also als Beamte. Das schützt sie vor den Erwartungen ihrer Gemeinden: Geistliche müssen nicht befürchten, bei unangenehmen oder kritischen Predigten fristlos entlassen zu werden. Sie können sich mit voller Kraft der Gemeindearbeit und der Seelsorge widmen. Positiv gesprochen, haben sie eine Freiheit zur Ausübung ihres Dienstes, wie man sie in kaum einem anderen Berufsstand findet.
Doch das eigentlich Positive kann sich schnell ins Gegenteil verwandeln: Wenn ein Pfarrer keine Lust mehr hat oder einfach nur unfähig ist – dann zeigen sich die negativen Seiten des Kirchenbeamtentums. Denn kündigen kann die Kirche ihren Pfarrern so gut wie gar nicht. Neben den vielen guten, gemeindenahen und strahlenden Pastoren gibt es deswegen in jedem Kirchenkreis auch einige weniger fähige Exemplare: die Sumpfblüten auf der bunten Blumenwiese Gottes. Im Normalbetrieb stören sie kaum. In der Krise aber sind sie ein Problem.
Denn in Corona-Zeiten, in denen die Menschen Ängste haben, und sich die Blicke der Öffentlichkeit viel stärker als bisher auch auf die Kirche richten, fällt es den Menschen auf, wenn in einer Gemeinde scheinbar nichts passiert. Selbst treue Kirchenmitglieder denken dann über den Kirchenaustritt nach. Jede Sumpfblüte steht deswegen nicht nur für eine, sondern für tausende verpasste Chancen. Ein Berufsleben geht ja nicht nur über einen Sommer.
"So-da-Gemeinden"
Und auch nach Corona werden diese Geistlichen, werden diese Gemeinden für die Kirche zum Problem. Denn unabhängig von der Pandemie müssen sich die beiden großen Kirchen einer Zukunft stellen, in der immer weniger Kirchenmitglieder mit ihren Kirchensteuern die Gemeinden am Leben halten. Die vom früheren Berliner Konsistorialpräsidenten Ulrich Seelemann einst als „So-da-Gemeinden“ bezeichneten – also Kirchengemeinden, die eher auf dem Papier als im Leben vor Ort existieren – kann sich die Kirche mittelfristig nicht mehr leisten.
Mehr noch: Gemeinden, in denen eine kleine Gruppe Menschen gemeinsam alt geworden ist, und die deswegen weder etwas am Status quo ändern noch auf Außenstehende zugehen wollen, schaden dem großen Ganzen. Wo das Verhalten von Gemeinden und Pastoren dazu führt, dass sich Menschen enttäuscht von der Kirche abwenden, müssen die Landeskirchen eingreifen – und das künftig bitte stärker als bisher.
Autor:Online-Redaktion |
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