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Flak statt Schulbuch
Sie waren jung - und mitten im Zweiten Weltkrieg. Vor 80 Jahren wurden Schüler einberufen, um Flugzeuge der Alliierten abzuschießen. Was in Deutschland 1945 ein Ende hatte, gibt es in anderen Teilen der Welt noch heute.
Von Leticia Witte (kna)
Sich selbst kennenlernen und ausprobieren, die Nerven der Eltern strapazieren, vielleicht der erste Kuss: So
oder ähnlich sieht das Leben vieler Jugendlicher heutzutage in Deutschland aus. Vor 80 Jahren dagegen donnerten Flugzeuge über die Köpfe junger Menschen hinweg, gingen Bomben nieder, starben sie selbst, Verwandte und Freunde. Nazi-Deutschland hatte 1939 den Zweiten Weltkrieg entfesselt und trieb Millionen Menschen in Kämpfe und an die Front - oder auf die Flucht, vor Erschießungskommandos und in
Vernichtungslager. Tod und (Lebens-)Trümmer waren allgegenwärtig.
Der Beginn des Jahres 1943 stand im Zeichen der deutschen Niederlage von Stalingrad, wo etwa 150.000 Soldaten ums Leben gekommen waren, auf sowjetischer Seite waren es vermutlich über 400.000 Männer. In dieser Zeit einer sich verändernden Kriegssituation gerieten Jugendliche in die Maschinerie: Am 15. Februar 1943 wurden Schüler im Alter von 15 und 16 Jahren als Luftwaenhelfer einberufen. Das bedeutete vor allem, an Flugabwehrkanonen, kurz Flak, eingesetzt zu werden, um Flugzeuge der Alliierten vom Himmel zu schießen.
"Am Montag, den 15.2. rückten wir nicht mit Schulmappen, sondern mit Koffern und Rucksäcken in der Schule an". So zitierte einmal die Frankfurter Allgemeine Zeitung aus einem Kriegstagebuch eines damals 15 Jahre alten Flakhelfers. Welche Zeiten dann anbrachen, verkündete demnach ein Schild an der Klassentür: "Wegen Einberufung geschlossen! Wiedereröffnung nach Friedensausbruch!". Dieser ließ bekanntlich noch über zwei Jahre auf sich warten. Wer tauglich war, wurde meist kaserniert, hin und wieder gab es noch Schulunterricht. "Heute würde ich sagen, das war ein Missbrauch von Kindern", wurde einmal ein weiterer Zeitzeuge von der Berliner Morgenpost zitiert, der Flakhelfer in Berlin war. Damals habe er das allerdings nicht so gesehen, zumindest am Anfang seines Einsatzes.
Ähnlich dürfte es auch anderen Schülern gegangen sein. Angst, Druck, Lärm und körperliche Arbeit waren ständig da. Schätzungen zufolge wurden bis zu 200.000 Jungen der entsprechenden Jahrgänge als Helfer bis Kriegsende 1945 eingesetzt. Einer von ihnen brachte es später bis zum Papst: Der kürzlich gestorbene Joseph Ratzinger, der spätere Papst Benedikt XVI., wurde kurz vor Kriegsende als Minderjähriger zum Flakhelfer eingezogen - und desertierte. Wie viele der Jugendlichen starben, ist nicht bekannt. Klar ist jedoch, dass ihr Einsatz - drei Tage vor der Berliner Sportpalastrede von Propagandaminister Joseph Goebbels über den totalen Krieg - die Alliierten und ihre Flugzeuge nicht nennenswert abwehrte.
Heute braucht kein Jugendlicher in Deutschland mehr in den Krieg zu ziehen. In anderen Teilen der Welt sieht das anders aus, und in manchen Staaten sind selbst Kinder betroen. Jedes Jahr macht der internationale Tag gegen den Einsatz von Kindersoldaten auf ihr Schicksal aufmerksam.
Schätzungen gehen von rund 250.000 Jungen und Mädchen aus, die in bewaneten Konikten eingesetzt sind. Dabei werden nicht nur junge Menschen gezählt, die aktiv kämpfen, sondern auch solche, die andere Dienste für militärische Gruppen verrichten müssen - etwa Mädchen, die als Kinderfrauen festgehalten werden.
Dabei gibt es ein Zusatzprotokoll der UN-Kinderrechtskonvention: Darin haben sich bislang über 170
UN-Mitgliedsstaaten verpichtet, niemanden unter 18 Jahren zum Dienst an der Waffe zu rekrutieren. Oft geschieht das dort, wo Armut und Hunger herrschen, es Probleme mit der Sicherheit oder erst gar keinen funktionierenden Staat mehr gibt: etwa in Somalia, Südsudan, Jemen, der Demokratischen Republik Kongo, Syrien, Myanmar, Afghanistan und Kolumbien.
Autor:Katja Schmidtke |
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