Bedford-Strohm
Ernüchterung bei US-Bürgern

Foto:  epd-bild/Heike Lyding

Neustrelitz (epd). Fast 100 Tage dauert die zweite Amtszeit von US-Präsident Donald Trump. Der ehemalige Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland, Heinrich Bedford-Strohm, ist seit 40 Jahren mit einer Amerikanerin verheiratet, ein Teil seiner Familie lebt in den USA. Mit Nicole Kiesewetter sprach der Theologe über die aus seiner Sicht beängstigende Entwicklung, die die Vereinigten Staaten in dieser kurzen Zeit genommen haben.

Herr Bedford-Strohm, Sie haben sich bereits vor Monaten besorgt über eine mögliche Wahl von Donald Trump zum US-Präsidenten geäußert. Nun ist Trump fast 100 Tage im Amt. Wie sieht Ihre Bilanz aus?
Heinrich Bedford-Strohm:
Das Ausmaß an Zerstörung, das diese 100 Tage für die USA selbst, aber auch für alle anderen Teile der Welt angerichtet haben, hat meine Befürchtungen sogar noch übertroffen.
Die brutale Eliminierung der amerikanischen Entwicklungsorganisation USAID etwa richtet überall auf der Welt vielfaches Leid an, und zwar gerade unter den Schwächsten.

Mich erreichen Berichte aus dem Lutherischen Weltbund, aber auch von vielen unserer Mitgliedskirchen im Weltkirchenrat, die sehr konkret beschreiben, wie gerade verletzlichen Menschen jetzt die Lebensgrundlage entzogen wird. Das stürzt sie ins Elend. Es kostet Menschenleben. Wie desaströs sich die ebenso rücksichtslose wie konfuse Zollpolitik auswirkt, kann man jeden Tag in der Zeitung lesen.

Wachen die Menschen gerade auf?
Bedford-Strohm:
Ja, die Menschen erfahren jetzt, was eigentlich auf der Hand lag, aber durch die mediale Gehirnwäsche der Trump-Medien einfach vernebelt wurde: Wer keine Billigware aus Ländern mit niedrigen Löhnen importieren will, muss Preise bezahlen, die auf amerikanischen Löhnen beruhen. Und diese Preise sind natürlich erheblich höher.

Es gibt gerade für viele Amerikaner beim Einkaufen ein bitteres Erwachen. Von den außenpolitischen Amokläufen der ersten 100 Tage will ich jetzt gar nicht reden. Ich spüre gerade viel Ernüchterung in der amerikanischen Bevölkerung. Das zeigen auch die sinkenden Popularitätswerte von Trump.

Sie haben eine amerikanische Ehefrau, ein Teil Ihrer Familie lebt in den USA - ist eine Reise dorthin anders als vor ein paar Jahren?
Bedford-Strohm:
Ich habe keinerlei Unterschied gespürt. Man darf jetzt auch nicht hysterisch werden und seine USA-Urlaube absagen, weil irgendwann einer von Hunderttausenden von Touristen bei der Passkontrolle Probleme bekommen hat. Das sind Einzelfälle, die aber medial so durchschlagen, dass sie den Leuten Angst machen. Die Menschen in den USA erlebe ich zunächst mal so, wie ich sie immer erlebt habe: als offene, gastfreundliche und sehr liebevolle Menschen, mit denen ich gerne zusammen bin. Und das hängt nicht davon ab, ob sie Trump oder Kamala Harris gewählt haben.

Wie solch liebevolle Menschen einen Mann zum Präsidenten wählen können, der das genaue Gegenteil von Liebe und Empathie ausstrahlt, gehört zu den Dingen, die ich noch besser verstehen muss. Da klaffen die Werte in den persönlichen Beziehungen und die politischen Werte einfach auseinander. Ich glaube, dass es gerade jetzt wichtig ist, transatlantische Brücken der Zivilgesellschaft zu bauen, die stärker sind als die mit dem Trump-Kurs verbundenen politischen Verwerfungen zwischen den USA und Europa.

Wie ist Trumps Haltung in der Flüchtlingsfrage zu beurteilen?
Bedford-Strohm:
Das Schlimme am Umgang der Trump-Administration mit der Flüchtlingsfrage ist nicht der Versuch, bessere Regelungen zur Steuerung der Migrationsbewegungen zu finden. Das ist legitim.
Das Schlimme ist der menschenverachtende Ton, der in dieser Debatte in die Gesellschaft eingezogen ist. Wenn der jetzige Präsident sich dazu hinreißen lässt, Flüchtlinge als Tiere zu bezeichnen, wenn in seinem Umfeld Gerüchte in die Welt gesetzt werden, dass Flüchtlinge aus Haiti die Katzen der Nachbarn in der Stadt essen, dann ist etwas ins Wanken geraten.

Grundlegende Werte, die für ein gutes Zusammenleben zentral sind, werden über Bord geworfen. Die menschliche Kälte, die darin zum Ausdruck kommt, hat nichts mehr zu tun mit der biblischen Überzeugung, dass jeder Mensch geschaffen ist zum Bilde Gottes. Ob hier oder in den USA - solchen Menschenlästerungen, die am Ende Gotteslästerungen sind, muss entschieden entgegengetreten werden.

Nutzt Trump Religion für seine Zwecke?
Bedford-Strohm:
Er nutzt sie so unverfroren, wie wir das selten zuvor erlebt haben. Auch viele Trumpwähler halten ihn nicht für einen wirklich religiösen Menschen. Sie haben ihn trotz seiner Persönlichkeit gewählt, weil sie sich einen Wirtschaftsaufschwung versprochen haben. Seine Persönlichkeit haben sie eher hingenommen.
Es ist traurig, wenn Religionsvertreter sich dafür hergeben, Trumps Verletzung grundlegender Maßstäbe nicht nur kritiklos hinzunehmen, sondern ihn geradezu als Messias zu verklären.

Ein abschließender Ausblick: Sind die USA auf dem Weg zu einer Autokratie oder ist es nur eine Epoche, die mit dem Ende von Trumps Präsidentschaft auch ein Ende haben wird?
Bedford-Strohm:
Das ist noch nicht entschieden. Klar ist, dass Trump in den ersten 100 Tagen den Weg in die Autokratie eingeschlagen hat. Das zeigen alle seine Aktionen, die sich um eine Rechtsgrundlage schlicht nicht scheren. Es zeigen auch Trumps Reden über nicht mehr nötige Wahlen oder über eine dritte Amtsperiode, die die Verfassung ja verbietet. Die Gegenwehr des Justizsystems hat jetzt begonnen.
Dass Trump nun selbst den Obersten Gerichtshof beleidigt, inklusive Richter, die er selbst ernannt hat, weil der Gerichtshof anordnet, bestimmte Deportationen rückgängig zu machen, zeigt, dass es hier um einen Kampf um die Demokratie überhaupt geht. In vielen gesellschaftlichen Bereichen wie Medien und Universitäten unternimmt die Trump-Regierung massive Einschüchterungsversuche. In den beiden Wochen, die ich seit Trumps Amtsübernahme in den USA verbracht habe, habe ich viele Gespräche geführt. Ich habe viel Schockstarre wahrgenommen, aber auch, wie sich die Schockstarre allmählich löst.
Viele Menschen beginnen, vor Ort für die Demokratie einzustehen. Ich wünsche mir, dass in unseren Medien nicht immer nur die politischen Amokläufer der Trump-Regierung gezeigt werden, sondern viel mehr auch das andere Amerika, das sich nach meiner Prognose als stärker erweisen wird, als wir das gegenwärtig erwarten.

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