Angela Merkel wird 70
Der Weg zur Raute
"Wenn sie im Fernsehen ist, fragen manche Leute: Habt ihr nur schwarz-weiß oder ist das etwa die Merkel? Als grau und farblos wurde sie karikiert, bis der Kanzler zu ihr sprach: Bitte folgen Sie mir unauffällig. Und das hat sie getan". Was Friedrich Küppersbusch seinerzeit im WDR-Politmagazin "ZAK" Anfang der 1990er über Angela Merkel ironisch über "Kohls Mädchen" formulierte, hat sie beiden später gezeigt. Fast so lange wie Helmut Kohl war sie Kanzlerin. Doch wer war oder ist Angela Merkel, die am 17. Juli 70 wird?
Von Steffen Grimberg und Birgit Wilke (kna)
Tim Evers hat sich für die ARD auf den Weg gemacht. Herausgekommen ist "Angela Merkel - Schicksalsjahre einer Kanzlerin". Die arg pathetisch klingende Spurensuche von RBB, MDR und SWR gibt es gleich zweimal - ab sofort als Fünfteiler in der Mediathek und als 90-minütige Doku am Montag von 22.30 bis 0.00 Uhr im Ersten.
"Sie kennen mich", hat Merkel oft gesagt und sagt es in den unterschiedlichsten Varianten auch oft in den "Schicksalsjahren". Bloß dass kaum jemand - da sind sich alle angefragten Beobachter einig - sie kannte. Sie sei halt die "unideologische Kanzlerin" gewesen, nennt das Kolumnistin Samira El Ouassil, in die jede und jeder eine ganz eigene, persönliche Merkel hinein projizieren konnte.
Die Verwaltungskanzlerin
Zu Wort kommen neben El Ouassil auch der Journalist Tilo Jung, die deutsch-ukrainische Politikerin Marina Weisband und der Youtuber LeFloid: Die "Schicksalsjahre" wollen sich vor allem an ein junges Publikum wenden, das unter Merkel aufgewachsen ist. Oder es zumindest nicht gleich vergraulen. Merkel selbst war auch angefragt, wollte an der Dokumentation aber nicht mitwirken. Als weitere "Beobachter" gibt es noch Ex-Innenminister Thomas de Maiziere, die irische Journalistin Judy Demsey sowie die langjährige Hauptstadt-Chefin der "Süddeutschen" Evelyn Roll und "Zeit"-Journalist Christoph Diekmann.
Ihr Fazit - vor allem das der jüngeren Generation: Merkel hat eher verwaltet als gestaltet, El Ouassil nennt sie einmal ganz ausdrücklich "Verwaltungskanzlerin". Wie bei Barack Obama sei das Bild von ihr im Ausland besser als im Inland gewesen. Zahlreiche Krisen habe Merkel "draußengehalten", um in Deutschland Ruhe und Ordnung zu simulieren. Recht offen meint de Maiziere dazu, zur Modernisierung - etwa beim Klimaschutz - habe wegen vieler anderer Krisen die Kraft nicht gereicht.
Für den Westen war Merkel zu sehr Ossi, für den Osten zu sehr Wessi, so eine weitere These der "Schicksalsjahre". Anpassung habe sie nicht unbedingt als negativ angesehen, sondern als pragmatische Reaktion auf Veränderung.
Die Quoten-Ossifrau
Hat die Physikerin mit Machtinstinkt also durch ihre "alternativlose Politik" der Mitte die politischen Randzonen gestärkt und die AfD erst zum Leben erweckt, wie eine andere These lautet? Interessante Frage. Ihre Rede zum Tag der Deutschen Einheit am 3. Oktober 2021, als sie eindringlich vor den Gefahren für die Demokratie warnte, kam möglicherweise zu spät.
Die "Schicksalsjahre" bringen hier auch kein besonders helles Licht ins Merkel'sche Dunkel. Ja, sie war die "Außenseiterin" - früher in der DDR als Pastorentochter, die aber trotzdem in der FDJ war und in der Partei - dann als vom Normalbetrieb etwas abgekoppelte Physikerin - und dann als Quoten-Ossifrau im ersten wiedervereinigten Kabinett Kohl. Dass es ihr bitter aufstieß, als "angelernte Bundesbürgerin" bezeichnet zu werden, deutete sie ebenfalls in jener Rede am 3. Oktober an.
Doch wer Merkel darauf beschränkt, springt zu kurz. Wie aus der eher unangepassten und nach heutigen Vorstellungen auch manchmal unpassend gekleideten Neu-Politikerin Merkel ab 1990 dann die Frau mit der Raute wurde, können auch die "Schicksalsjahre" nur nachzeichnen, aber nicht ergründen.
Die Klimakanzlerin
Aus den West-und Ostanstalten also nichts Neues? Natürlich, es gibt die altbekannten Bilder: Elefantenrunde mit Schröder, Merkel als Klimakanzlerin im roten Anorak inmitten von Eisbergen, Flüchtlings-Selfie und die Ansage "Wir schaffen das". Es geht um das Aufkommen der AfD, ihr Verhältnis zu Putin, das Zittern am Ende der Kanzlerschaft. Und die stille Botschaft bleibt: Am Anfang wurde sie von (fast) allen unterschätzt. War es am Ende etwa umgekehrt?
Auch wenn das vielleicht mit einem unbefriedigenden Gefühl zurücklässt, sind die "Schicksalsjahre" vor allem in der manchmal rasant-spielerisch geschnittenen Mediathek-Version lohnend anzuschauen. Das Gesamtpaket steht für modernes öffentlich-rechtliches Programm.
Tipp
ARD Mediathek
Autor:Online-Redaktion |
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