Wort zur Woche
Im Sommerloch nicht verzagen
Das geknickte Rohr wird er nicht zerbrechen, und den glimmenden Docht wird er nicht auslöschen.
Jesaja 42, Vers 3a
Da stehe ich vor der ganzen anwesenden Gemeinde. Ziemlich verlassen komme ich mir vor, in der riesigen Kirche.
Von Johanna Bernstengel
„Im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes“ beginne ich den Gottesdienst. Meine Stimme hallt unter der riesigen Decke. Die paar Menschen antworten: „Amen!“
Es ist mitten in den Sommerferien. Fast alle aus der Gemeinde sind weggefahren oder haben Besuch von der Familie. In der Kirche können theoretisch über 700 Menschen sitzen und noch viel mehr Menschen stehen. Immerhin, 13 sitzen heute in den Bankreihen. Sie sind gekommen und sie freuen sich auf die nächste Stunde.
Die 13 sind singfest. Auch wenn das riesige Kirchengebäude die ganze Stunde über viel zu groß und der laute Hall bei den wenigen Menschen irgendwie schräg wirkt, wird es ein schöner Gottesdienst. An einer Stelle lachen sogar ein paar. Bei den Abkündigungen am Ende des Gottesdienstes verlese ich den Wochenspruch aus dem Jesaja-Buch.
Der Mann, der in der zweiten Reihe sitzt und sehr viel Abstand zu den anderen Menschen in der Kirche halten kann, dreht sich weit um, um die anderen anzusehen. Dann lächelt er. Er freut sich. Am Ausgang schüttelt er mir, allen Hinweisen zum Trotz, die Hand und sagt: „Wir sind doch ein schöner glimmender Docht! Er wird uns nicht auslöschen.“ Fast kommt es mir so vor, als wolle er mich aufbauen.
Und siehe da: Ein paar Wochen später komme ich wieder sonntags in diese große Kirche. Viele Leute sind da. Einige weinen; einige lachen und alle sind gekommen, um ihre Gefühle vor Gott zu bringen und vielleicht auch, um ihm Lieder zu singen, denn der Klang in dieser Kirche ist beeindruckend, erst recht, wenn viele singen.
Am Ausgang kommt der Mann wieder. Und wieder schüttelt er mir die Hand und sagt: „Ich hab es Ihnen doch gesagt! In den Sommerferien sind wir ein kleiner glimmender Docht, und jetzt fangen wir wieder an zu leuchten.“
Die Autorin ist Pfarrerin im Pfarrbereich Gatersleben .
Autor:Online-Redaktion |
1 Kommentar
Sie möchten kommentieren?
Sie möchten zur Diskussion beitragen? Melden Sie sich an, um Kommentare zu verfassen.