Die Opfer endlich entschädigen
Ein Verstoß gegen die Menschenwürde
Die sachsen-anhaltische Beauftragte für die Aufarbeitung der SED-Diktatur, Birgit Neumann-Becker, hat ihre Forderung bekräftigt, Opfer von Zwangsaussiedlungen vor 70 Jahren an der innerdeutschen Grenze finanziell zu entschädigen.
Von Angela Stoye
„Zwangsaussiedlungen verstießen gegen die Menschenwürde“, so Neumann-Becker in einem Vortrag, den ihre Referentin am 18. Juni bei einer Tagung zu „Zwangsaussiedlungen in der DDR“ im altmärkischen Diesdorf vortrug.
„Oftmals verursachten die Aussiedlungen schwerwiegende Eingriffe in den Lebens- und Berufsalltag der Betroffenen und ihrer Familien, die vielfach über Jahre anhielten“, so Neumann-Becker. Viele von ihnen seien auch nach der Zwangsaussiedlung von der Staatssicherheit beobachtet und verfolgt worden. Der Verlust der Heimat wirke bei vielen schwer und nachhaltig fort. Deshalb sollten die Opfer von Zwangsaussiedlungen „mit einer Leistung in einer Weise berücksichtigt werden, die deren spezifischem Verfolgungsschicksal und den damit verbundenen Schwierigkeiten, einen angemessenen Ausgleich für das erlittene Unrecht zu erhalten, gerecht wird und den Verlust der Heimat symbolisch würdigt“. Damit unterstützt die Beauftragte die Forderung der Union der Opferverbände Kommunistischer Gewaltherrschaft (UOKG). Deren Vorsitzender Dieter Dombrowski hatte Ende April in Magdeburg bei einer Tagung zur „Aktion Ungeziefer“ gesagt: "Das eigentliche an den Zwangsausgesiedelten begangene Unrecht, die Vertreibung, ist mit einer zeitlich begrenzten Haft zu vergleichen.“ Das sei bis heute nicht durch eine pauschale Entschädigungssumme in Form einer Einmalzahlung gewürdigt worden. Die Politik verweigere den Zwangsausgesiedelten die Wiederherstellung ihrer Würde.
Betroffene Menschen hatten keine Spielräume
Am 26. Mai 1952 verordnete die DDR-Regierung die hermetische Abriegelung der innerdeutschen Grenze. Zudem begann die zwangsweise Aussiedlung von Menschen aus dem Grenzgebiet. Im Zuge der „Aktion Ungeziefer“ betraf das innerhalb eines Monats etwa 8500 Menschen. Etwa 2000 weitere entzogen sich der Zwangsaussiedlung durch Flucht in den Westen. Im Grenzabschnitt des heutigen Sachsen-Anhalt hat die Gedenkstätte Deutsche Teilung Marienborn für 1952 genau 2148 Ausgesiedelte ermittelt, im Zuge der „Aktion Festigung“ im Oktober 1961 weitere 372. Betroffene, teilweise sogar geschleifte Orte waren Böckwitz, Grabenstedt, Hötensleben, Hanum, Jahrsau und Stresow. Jedoch seien auch Einzelschicksale aus späterer Zeit bekannt. So bekam Birgit Neumann-Becker Post von einem Lehrer, der in der Nähe von Halberstadt unterrichtete. Er sei in den 1970er-Jahren in einer Nacht- und Nebelaktion der Schule verwiesen und ins Landesinnere umgesiedelt worden. Er habe zudem in der DDR nie mehr als Lehrer arbeiten dürfen, fand später Arbeit bei der Kirche.
Die Lebensgeschichten machten deutlich, so Neumann-Becker, wie konkrete politische Entscheidungen in Familien hineinwirkten, sie bestimmten und den betroffenen Menschen keine Spielräume ließen. Unabhängig von finanzieller Entschädigung sei es wichtig, sorgsam und respektvoll mit den betroffenen Menschen und mit diesem Teil unserer Geschichte umzugehen. Dies sei ein konsequenter Gegenentwurf zur menschenrechtsverachtenden kommunistischen Diktatur.
Autor:Angela Stoye |
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