Wenn das Seepferdchen warten muss
Corona-Folgen: Nach langer Pause starten wieder Schwimmkurse für Kinder. Die DLRG warnt, dass nur noch 41 Prozent der Zehnjährigen sichere Schwimmer sind.
Von Michael Ruffert
Auf die Plätze, fertig, los.» Auf das Kommando von Schwimmlehrer Sergej Pjatakow stoßen sich vier Jungen und ein Mädchen gleichzeitig vom Beckenrand ab. Mit Schwimmgürteln und wilden Zügen streben sie rasch auf die andere Seite zu. Die siebenjährige Carla liefert sich ein Kopf-an-Kopf Rennen mit dem sechsjährigen Jan und das Mädchen gewinnt: «Ich bin oft Erste», sagt sie mit einem Lachen. Nach langer Pause haben die Kinder wieder Spaß im Wasser.
Im November musste ihr Seepferdchenkurs wegen des Lockdowns unterbrochen werden. Anfang Mai hatte das Klutensee-Bad in Lüdinghausen in der nordrhein-westfälischen Modellregion Kreis Coesfeld als erstes Hallenbad bundesweit unter Auflagen wieder geöffnet: Die Kinder können wieder schwimmen lernen.
Dass Menschen lange nicht in Bädern schwimmen durften, verschärft nach Ansicht der Deutschen Lebensrettungsgesellschaft (DLRG) ein Problem. «Durch Corona und seine Folgen haben wir signifikant mehr Nichtschwimmer in Deutschland», betont DLRG-Präsident Achim Haag. Dadurch steige das Risiko, dass mehr Menschen in Deutschland ertrinken. Im vergangenen Jahr waren es 378 Menschen, darunter 23 Kinder.
Ertrinken gilt als zweithäufigste unfallbedingte Todesursache bei Kindern. Laut DLRG sind 59 Prozent der Zehnjährigen keine sicheren Schwimmer. Durch den Lockdown wurde vielen Jungen und Mädchen die Chance genommen, unter professioneller Anleitung schwimmen zu lernen. «Wir sprechen mittlerweile von mindestens einem, wenn nicht sogar zwei verlorenen Jahrgängen in der Schwimmausbildung», sagt Haag.
Das «Seepferchen» konnten 2020 bei der DLRG rund 14 600 Jungen und Mädchen ablegen, ein Rückgang um 70 Prozent. Darüber hinaus nahmen die Ausbilder etwa 23 500 weitergehende Schwimmprüfungen ab – auch das sind 75 Prozent weniger als im Vorjahr. Ein Grund dafür liegt laut Haag neben dem Lockdown darin, dass immer mehr Kommunen Hallen- und Freibäder aus Kostengründen schließen. Das führe dazu, dass fast 25 Prozent der Grundschulen keinen Schwimmunterricht mehr anbieten, weil ihnen kein Bad zur Verfügung steht.
Es dauert bis zu zwölf Schwimmstunden, bis die Jungen und Mädchen das «Seepferdchen» erwerben können: Dafür müssen sie vom Beckenrad springen, 25 Meter schwimmen und einen Ring beim Tauchen aus schultertiefem Wasser holen. «Wir nähern uns dem sehr spielerisch, ohne Druck», sagt Schwimmlehrer Pjatakow.
Anne Kortenbusch, die Mutter von Carla, ist sehr froh, dass ihr Kind bald schwimmen kann. «Man macht sich schon Sorgen, wenn man hört wie viele Kinder ertrinken», sagt sie. Denn die Gefahr für die Kleinen ist groß: Sie haben einen anderen Körperschwerpunkt als Erwachsene und sinken, wenn sie keine Kraft mehr haben nach unten, ohne nochmal für einen kurzen Moment aufzutauchen.
(epd)
Autor:Online-Redaktion |
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