Wählen im Heim
Zu mühsam oder nutzlos?

Foto:  epd-bild/Nancy Heusel

Schätzungen zufolge nehmen höchstens 20 Prozent der Heimbewohner an Wahlen teil. Dabei wäre es wichtig, dass Pflegebedürftige mit ihrem Stimmrecht ausdrücken, welche Politik sie haben wollen, meint Klaus Uhl, der in einem Heim in Würzburg lebt.

Von Pat Christ (epd)

Manchmal denkt Klaus Uhl mit Wehmut an jene Zeit zurück, als er noch gesund war. Der gebürtige Unterfranke kam nach einer Herztransplantation mit 62 Jahren ins Marie-Juchacz-Heim der Arbeiterwohlfahrt (AWO) in Würzburg. Ein Politikwechsel und Reformen in der Pflege wären ihm ein Herzensanliegen, sagte er. Doch viele Politiker wollten nur ihre Macht zementieren. Darum weiß auch er noch nicht, ob und wen er am 23. Februar wählt.

Wie informieren sich Menschen mit Behinderung?

Jeder zehnte Mensch in Deutschland ist schwerbehindert. Für Menschen mit Behinderung ist es oft sehr herausfordernd, ihr Kreuzchen zu machen: Nicht immer sind Wahllokale barrierefrei, die Wahlkampagnen selten in einfacher oder Gebärdensprache, nicht jeder kennt jemanden, der als Wahlassistenz unterstützen kann.

Wählen zu können, ist jedoch für jeden Menschen die Grundvoraussetzung für Selbstbestimmtheit und Teilhabe am politischen und gesellschaftlichen Leben. Wie erleben Menschen mit Behinderung den Wahlkampf? Welche Erwartungen haben sie an die Bundesregierung? Wie entscheiden sie, welche Partei oder welche Person sie wählen möchten?

«Ich habe eigentlich eine gute Rente, doch die geht komplett für den Pflegeplatz drauf», berichtet der Heimbeiratsvorsitzende. Der Eigenanteil übersteige sogar seine Rente: Nach 37 Jahren im Job als Maler und Gerüstbauer lebt der Senior heute von Sozialhilfe. Wie viele seiner Mitbewohner, von denen laut Uhl viele wünschten, dass die Politik das endlich ändert. Wählen gingen sie jedoch meistens nicht. Viele seiner eingeschränkten Mitbewohner hätten keinerlei Interesse mehr an der Stimmabgabe.

Dabei wäre es im AWO-Heim einfach, die Stimme abzugeben. Es gibt Hilfe bei den Anträgen auf Briefwahl: «Die ausgefüllten Unterlagen gibt man einfach in der Verwaltung ab», sagt Uhl. Desinteresse, aber auch Desillusionierung verhinderten jedoch das Wählen. «Wie oft hat man in seinem Leben schon gewählt, wie oft wurde man enttäuscht?», fragt Uhl.

Dass Heime die Wahlen aktiv unterstützen können, zeigt eine Initiative der drei der größten privaten Pflegeheimbetreiber compassio, Alloheim und Victor's Group. Über 50.000 Wahlberechtigte in deren 500 Pflegeeinrichtungen erhalten Hilfe bei der Briefwahl. Zum Teil werden barrierefreie Wahllokale eingerichtet oder Shuttleservices zum örtlichen Wahllokal organisiert. «Wer nicht wählt, wählt extrem. Wir sehen es als unsere staatsbürgerliche Verantwortung, die Teilhabe unserer Bewohnerinnen und Bewohner am demokratischen Prozess zu fördern», sagte Christopher Nolde, CEO der compassio Gruppe.

Politische Partizipation im Alter ist auch ein Thema, das das Kuratorium Deutsche Altershilfe (KDA) umtreibt. Vorständin Alexia Zurkuhlen appelliert an alle Heimbewohner, zu wählen. Einfach sei die Wahlentscheidung jedoch nicht, sagt sie. Welcher Partei sei zuzutrauen, dass sie nach der Wahl die Versorgungsangebote verbessert und eine Pflege realisiert, «die Heimbewohner nicht in Armut stürzt?» Eine lobenswerte Wahlhilfe sei dem KDA bekannt: In Wilhelmshaven würden mobile Wahlteams in Seniorenheime kommen, um bei der Briefwahl zu helfen.

Die vorgezogene Bundestagswahl ist für Heime ein Problem, sagt David Kröll von der Bonner Bundesinteressenvertretung für alte und pflegebetroffene Menschen (BIVA). Sie hätten zu wenig
Vorbereitungszeit: «Wir wissen von einer Einrichtung, die sonst regelmäßig ein Wahllokal einrichtet, dass sie das in diesem Jahr verpasst hat.» Insgesamt werde nicht genug getan, um Pflegeheimbewohnern das Wählen zu erleichtern. Die Verantwortung werde oft auf die Angehörigen oder die Bewohner selbst abgeschoben, so Kröll.

Hilfe beim Beantragen von Briefwahlunterlagen, neutrale Assistenz beim Ausfüllen und die Weiterleitung der Unterlagen gehören in den unterfränkischen Caritas-Pflegeeinrichtungen zum Standard, versichert Sonja Schwab vom Caritasverband für die Diözese Würzburg. Für politische Information werde durch Leseecken gesorgt. Etwa ein Fünftel der Heimbewohner, schätzt Georg Sperrle, Geschäftsführer der Würzburger Caritas-Einrichtungen gGmbH, verfolgt eigenständig die Tagespolitik. In Betreuungsrunden werde das Tagesgeschehen gemeinsam diskutiert. Ehrenamtliche läsen bei Bedarf auch aus der Zeitung vor.

Auch Karin Sporrer von der AWO in München sagt, in ihren Einrichtungen werde die Tagespolitik gemeinsam verfolgt und besprochen. Die Wahlbeteiligung schätzt sie dennoch auf lediglich 15 bis 20 Prozent. Als Gründe nennt sie bei sehr betagten Bewohnern kognitive Einschränkungen. Bei den Jüngeren stünden oft körperliche Handicaps im Wege.

Die Deutsche Alzheimer Gesellschaft verweist auf die Rechtslage: Seit Juli 2019 haben Heimbewohner laut Bundeswahlgesetz Anspruch auf Assistenz bei der Wahl. Tatsächlich gehe jedoch nach wie vor kaum ein dementer Heimbewohner zur Wahlurne.

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Online-Redaktion

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