Kirchentage in der DDR
Mehr als ein Erinnerungsbuch
Von Christian Dietrich
Der ehemalige Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), Wolfgang Huber, kritisierte nach dem diesjährigen Wittenberger Kirchentag die Nähe von Kirchentag und Kirchenleitung. Vor über einem halben Jahrhundert waren Kirchentage Manifestationen der Laien in der evangelischen Kirche.
Doch in der DDR ließ die SED kaum Raum für eine Laienbewegung. Kirchentage waren in der DDR zugleich Brennpunkte der Auseinandersetzung mit der Diktatur. 1983 – im Lutherjahr – fanden sieben Kirchentage statt. Wenige Jahre zuvor noch unvorstellbar, konnten die Kirchen öffentliche Masseninstitutionen werden.
Für die Konzeption und Durchführung des Wittenberger Kirchentags 1983 trug Lothar Tautz als Kirchentagssekretär Verantwortung. Zusammen mit Annette Hildebrandt hat er einen Erinnerungs- und Dokumentationsband in der Schriftenreihe der Landesbeauftragten zur Aufarbeitung der SED-Diktatur in Sachsen-Anhalt herausgegeben. Fast 100 Seiten Dokumente geben davon Zeugnis, wie konträr die Ziele der Kirchenvertreter und des Staates waren.
Symbolisch zugespitzt wurde dies in der Umsetzung des Prophetenwortes »Sie werden ihre Schwerter zu Pflugscharen machen«. Eine Vielzahl von Trägern dieses Symbols der kirchlichen Friedensbewegung waren kurz zuvor festgenommen oder von der Schule verwiesen worden.
Im September 1983 schmiedete der selbstständige Wittenberger Handwerker Stefan Nau eine Pflugschar aus einem Schwert und prägte damit den Kirchentag nachhaltig. Eines der Fotos ist auch Titelbild des Bands. Während die Herausgeber zu dem Ergebnis kommen, dass die SED keinen substantiellen Einfluss auf den Verlauf des Kirchentags nehmen konnte, stellen sie fest, dass dies für das Leben von Stefan Nau nicht gilt. Er musste seine Schmiede aufgeben. Wenig später stellte er einen Ausreiseantrag.
Die SED behandelte Ausreisewillige als Staatsfeinde, denen man »keine Träne nachweinen« sollte. Doch auch in den Kirchengemeinden wurden sie oft »aufgegeben« und gar als Verräter behandelt. Dieses Verhalten problematisieren die Herausgeber und rücken so die bis heute wirkenden Schmerzen und Dissonanzen ins Blickfeld. In diesem Sinn ist das Buch mehr als ein Erinnerungsbuch.
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