Das Schweigen der Männer
Fastenzeit: Einfach mal die Klappe halten. Diese Gelegenheit gibt es bei Schweigetagen. Bodenlos langweilig? Von wegen! Ein Selbstversuch:
Von Willi Wild
Sprechen Sie noch?«, will Schwester Samuela vor dem Abendessen wissen. »Ja, gerade noch«, antworte ich. Zwei Stunden später hätte ich nur noch mit einem stummen Kopfschütteln geantwortet. Schwester Samuela kommt aus Polen und lebt zusammen mit ihren Mitschwestern Michalina und Boguslawa von der Ordensgemeinschaft der heiligen Maria Magdalena von der Buße im Priesterseminar in Erfurt. Dort ist sie für die Gästebetreuung verantwortlich. Und damit an diesem Wochenende auch für mich und meine vier Mitschweiger.
Nikolaus hat die Exerzitien organisiert. Im normalen Leben ist der gelernte Schreiner Energieberater. Seit einigen Jahren schweigt er regelmäßig mit anderen an unterschiedlichen Orten. Mal in Klöstern, oder in Tagungshäusern. Einmal im Jahr geht es mit Isomatte, Schlafsack und Zelt zur stillen Meditation in einen Steinbruch in Ostthüringen.
Ankündigung macht neugierig
Als mir der Veranstaltungshinweis in die Hände fiel, hatte mich die Einleitung neugierig gemacht. »Eine ganze Zerstreuungsindustrie und ein Dauerfeuer an Informationen mühen sich redlich, uns von unserer Mitte an die Oberfläche abzulenken«, hieß es da. Stille garantiere keinen Erfolg, geht der Text weiter. Wenn das, was man hier mache, Meditation sei, dann in dem Sinne, dass man sich dem Magnetfeld Gottes aussetze. Dass man ihm zutraue, unter seinem Blick heil zu werden. Der Appetitanreger endet mit der Frage, was wohl Jesus vierzig Tage lang in der Wüste gemacht habe. Ich beiße an.
Da sitze ich nun in einer Runde mit Sabine, Edgar, Peter und Nikolaus. In der kurzen Vorstellungsrunde erfahre ich, dass Sabine im sozialen Bereich tätig ist und schon einige Schweigeerfahrung mitbringt. Wie Edgar, der – obwohl Rentner – schweigende Auszeiten im Ruhestand braucht. Bio-Landwirt Peter und ich sind die Neulinge. Wobei er im Gegensatz zu mir Yoga-Erfahrung mitbringt. Das kann wohl helfen. Ich bin vollkommen unvorbereitet und gespannt, was mich im Raum der Stille erwartet.
Ab jetzt wird geschwiegen. Nur Nikolaus gibt zu Beginn der Meditationseinheiten einen kleinen Impuls. Mal einen Satz, mal zwei. Zunächst richten wir uns ein. Normalerweise sitzt man auf einem Holzbänkchen, die Beine abgewinkelt, den Rücken gerade. Nikolaus meint noch, dass eine halbe Stunde in dieser Position ziemlich lange werden kann. »Ach was«, denke ich. Im Büro sitze ich mehrere Stunden. Hätte ich nur den Rat meiner Frau beherzigt und eine bequeme Hose eingepackt.
Schon bei der ersten Sitzung schlafen mir die Beine ein. Aber ich halte durch. Allein die Vorstellung, was der Herr am Kreuz gelitten haben muss, lässt mich still aushalten. Wir sitzen auf unseren Schemeln im Halbkreis. In der Mitte ein Kreuz und eine Kerze. Nikolaus hat eine Meditationsuhr dabei. Eine Glocke läutet zu Beginn, in der Halbzeit nach 15 Minuten und am Ende der halben Stunde.
»Lass dein Angesicht leuchten« heißt der erste Impuls. Krampfhaft versuche ich, darüber zu meditieren und andere Gedanken wegzudrücken. Es gelingt mir nur in Ansätzen. Quälend lange dauert es, bis der Halbzeitgong ertönt. Und jetzt, noch einmal so lang. Die Schmerzen im Spann dominieren die zweite Halbzeit. Aber vielleicht gehört das ja dazu. Leider kann ich niemand fragen. Und so lasse ich meine Gedanken mit sich sprechen. Als dann der erlösende Glockenschlag ertönt, verharre ich erst mal in einer bequemeren Haltung auf einer Decke, die ich mitgebracht habe. Ein Geschenk meiner Mutter.
Die Decke wird zum Symbol für meine Herkunftsfamilie. Und mir wird klar: Ausblenden ist nicht. Ich nehme meine Lebensdecke auch und vielleicht gerade in die Stille mit. Nach den Einheiten ist Zeit zum Lesen oder Spazieren gehen. Nikolaus empfiehlt, möglichst nicht zu lesen. Auch das könne wieder Gedankenlärm sein. Leuchtet ein. Also gehe ich spazieren und suche mir im Garten des Priesterseminars jeweils einen Punkt, den ich mit einem Meditationsimpuls verbinde. Am Ende sind es sieben Stationen.
Herausforderung: Schweigend artikulieren
Zweimal gehe ich auf den Domberg und schweige eine Weile in der Marienkapelle von St. Severi. Glücklicherweise spricht mich niemand an. Ich wüsste nicht, wie ich schweigend antworten sollte. Freundliche Priester wünschen mir einen guten Tag. Ich nicke freundlich, aber stumm zurück. Als eine Herausforderung stellen sich die gemeinsamen Mahlzeiten dar. Sabine flutscht ein »Guten Morgen« über die Lippen. Ich nicke. Schweigend essen ist komisch. Blickkontakt wird vermieden. Ich konzentriere mich auf die Begleitgeräusche, die im Laufe des Essens zuzunehmen scheinen. Klapperndes Geschirr und das Kauen der knusprigen Brötchen sind unsere Tafelmusik.
Das Schweigen fällt mir leicht. Im Gegensatz dazu ist das Hören, vor allem auf die Gedanken, fast schon lästig. Zwischenzeitlich denke ich über Abbruch nach. Beim Meditieren kommt mir in den Sinn, dass ich hier nur rumsitze und zu Hause die Arbeit wartet. Soll ich es Sabine gleichtun, die wegen familiärer Verpflichtungen schon am Sonnabend abreist? Während ich so darüber nachdenke, wird mir bewusst, wie lange es her ist, dass ich fernab der Alltagshektik die Stille gesucht habe. Nein, das sind ganz einfach Entzugserscheinungen. Stille will ausgehalten werden und strengt an. Nikolaus schreibt uns als Hinweis auf eine Tafel: »Schlafe, wer müde ist. Es gibt keine Tätigkeitsprämie.« Am zweiten Abend nehme ich mir dann doch ein Büchlein mit aufs Zimmer. »Der Weg des Schweigens« ist eine Schrift mit den Erkenntnissen eines unbekannten Mystikers aus dem 14. Jahrhundert. Die Lektüre wirkt fast befreiend. Lasse den Kampf der Gedanken nicht zu, heißt es da. Gott hat eh schon alles gedacht. Komme zu ihm, wie du bist. Ich soll mit einer Art Mantra die Gedanken verdrängen und mich ganz der Gegenwart Gottes aussetzen. Leichter gedacht als getan.
Schweigen verbindet
Hätte ich diese Anregung schon am Anfang gehabt, wer weiß, wie das Wochenende verlaufen wäre. Sonntagmorgen, letzte Einheit. Dafür schlinge ich meine Beine noch einmal um den Gebetsschemel. Wenn schon, denn schon. Danach, die ersten Worte. Wir verbliebenen vier Männer sprechen miteinander, als ob wir uns schon ewig kennen würden. Dabei wissen wir nahezu nichts voneinander. Gemeinsam schweigen verbindet. Ich habe gar nicht den Eindruck, ein Wochenende lang geschwiegen zu haben. Vermutlich, weil es in mir doch ganz schön hin und her ging. Die Sprache ohne Worte hat sich voll entfaltet. Grübeln oder Langeweile sind etwas anderes.
Den Abschluss des Wochenendes markiert ein Wortgottesdienst in der Kapelle des Priesterseminars. Ohne diese Feierstunde hätte mir vermutlich etwas gefehlt. Ich weiß nicht genau warum. Um mich der Gegenwart Gottes zu versichern? Kann sein. Sicher erlebt man Gott auch in der Stille. Und ich glaube, das göttliche Licht durch den Nebel der Geräusche kurz aufscheinen gesehen zu haben.
Trotzdem ist mir deutlich geworden, wie wichtig mir die Gemeinschaft im gemeinsamen Gebet, Gesang und im Abendmahl ist. Ich konnte meine Antennen wieder neu ausrichten auf das, was meinen Glauben ausmacht. Es stimmt eben doch: Reden ist Silber, Schweigen ist Gold.
Autor:Online-Redaktion |
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