Fernfahrer
Weihnachten in der Fahrerkabine
Nicht alle Fernfahrer können über die Feiertage nach Hause. Der Alltag auf der Straße werde immer härter, sagt Ireneusz aus Polen.
Von Florian Riesterer
«Schade, dass ich so selten zu Hause bin», sagt Ireneusz, der wie alle Fernfahrer an diesem Wintertag an der A 61 seinen Nachnamen nicht nennen will. Der 45-Jährige lebt im polnischen Torun, 200 Kilometer südöstlich von Warschau. Die meiste Zeit aber ist er quer durch Europa unterwegs. Und so steht sein 22-Tonner jetzt 1.000 Kilometer entfernt von seiner Familie auf dem Rastplatz Wonnegau West bei Worms. Morgen wird es weitergehen nach Italien. Seit 15 Jahren spult Ireneusz so seine Kilometer auf Autobahnen ab. 15 Jahre, in denen nichts besser geworden sei, dafür aber vieles schlechter, sagt er. «Immer mehr Verkehr, immer weniger Platz auf und neben der Straße.»
Was an Heiligabend unter dem Baum liegt oder das Haus über die Feiertage schmückt, ist den Dezember über im Laster unterwegs. Zwar holen viele Speditionen ihre Fahrer an Heiligabend nach Hause. Für die anderen aber wird es doppelt einsam. Der Verein Fernfahrer Nothilfe aus Weißwasser in der Oberlausitz versucht, dann einzuspringen: «Wir sind viel unterwegs über die Feiertage, die ganze A13 und A4 rauf und runter in Sachsen und Brandenburg», erzählt Gunter Treffkorn, der selbst 25 Jahre lang Lastwagen über Autobahnen steuerte.
«Wenn wir sehen, die müssten auf dem Rastplatz stehen über die Weihnachtsfeiertage, dann übernehmen wir auch schon mal die Kosten für eine Pension.» Weihnachten sei ein Fest der Familie, sagt der 67-Jährige. Und so wird die Fernfahrer-Nothilfe, die aus einer Aktion der Heilsarmee heraus entstanden ist, für einige zur Ersatzfamilie über Weihnachten - mit Kaffee, kleinen Geschenken, auch mal einem Gebet oder einem Lied.
Doch auch an den anderen Wochenenden im Jahr ist die Gruppe um Treffert im Einsatz. «Wir holen die Fahrer auf dem Rastplatz ab und fahren sie am Sonntagabend wieder hin», berichtet er. Die Fernfahrer-Nothilfe stehe mit rund 70 Pensionen in Deutschland in Kontakt, die Preisnachlässe für Fernfahrer gewährten.
Länger als 45 Stunden am Stück sollen die Fahrer nach EU-Plänen nicht auf Rastplätzen stehen, statt dessen für die Wochenendruhezeit runter von der Straße. Doch Betten in Pensionen sind teilweise zu teuer für Fernfahrer aus Osteuropa. «Der permanente Druck führt außerdem dazu, dass die Lenkzeiten nicht immer eingehalten werden», sagt Sigurd Holler, ver.di Gewerkschaftssekretär Fachbereich Postdienste, Speditionen und Logistik.
Insgesamt 3,7 Milliarden Tonnen Güter transportierten Fernfahrer laut dem Bundesamt für Güterverkehr im Jahr 2018 über die Straßen - rund drei Viertel aller beförderten Waren. Dass diese Zahl weiter zugenommen habe, liege am Online-Handel, erklärte jüngst der Bundesverband Güterkraftverkehr Logistik und Entsorgung (BGL) in Frankfurt. 35.000 bis 40.000 Parkplätze für die Pausenzeiten der Fahrer fehlten an den Autobahnen. Fernfahrer müssten lange suchen oder parkten riskant auf Beschleunigungsstreifen.
Für die Fernfahrer-Nothilfe ist das kein Zustand. Treffkorn findet es auch schade, dass sich die großen Kirchen nicht stärker für die Brummifahrer engagierten. «Auf Ebene der Evangelischen Kirche in Deutschland gibt es keine zusammengefasste oder koordinierte Fernfahrerseelsorge», sagt EKD-Sprecherin Annika Lukas auf Anfrage. Auf katholischer Seite haben sich sechs Betriebsseelsorger aus sechs Bistümern in der Arbeitsgemeinschaft Fernfahrerseelsorge zusammengeschlossen.
Pastoralreferent Hans Gilg aus dem Bistum Augsburg, der auch schon Heiligabend auf Rastplätzen an der A8 und A96 unterwegs war, bekommt bei seiner Arbeit oft Fotos gezeigt: etwa von den Kindern, die die Fahrer seit Wochen nicht mehr gesehen hätten. «Das führt dann oft zu Stress in der Beziehung.» Er könne niemandem einen Vorwurf machen, wenn er angesichts voller Supermärkte nicht dran denke, wie die Waren dort hinkämen, sagt Gilg. Doch er appelliert: «Vergesst die Unsichtbaren in den Fahrerkabinen nicht.»
Das sind Fahrer wie Woldemar aus der Ukraine, der in einer polnischen Firma arbeitet und immer zwei Monate am Stück unterwegs ist. Oder Waleri aus Weißrussland, der vier Wochen arbeitet und dann zwei Wochen zu Hause ist. Er wird an Heiligabend seine dreijährige Tochter und seinen 22-jährigen Sohn wiedersehen, wie er erzählt. Marek aus Katowice in Polen ist heute Morgen in Euskirchen losgefahren. «Ich will eigentlich über München nach Brescia, aber jetzt habe ich gerade gehört, dass meine Strecke in Österreich gesperrt ist.» Er wisse nicht, wie seine Tour weitergehe, an Heiligabend wird er aber zu Hause in Polen sein.
Es wird Abend, auf der Rastanlage Wonnegau West bei Worms sind mittlerweile alle Parkplätze belegt. In den Trucks werden die ersten Vorhänge der Fahrerkabinen zugezogen, Filme flimmern durch die Windschutzscheiben. Ganz ähnlich wird er den Heiligabend verbringen, erzählt Igor: «Ich habe ja den Fernseher.» Er ist heute in Köln seine Fracht losgeworden und will noch ein wenig auf der A61 weiterfahren, bevor er seine vom Gesetz verordnete Pause einlegt.
Der 43-jährige Ukrainer ist seit Anfang November auf Achse. Und er wird nicht nur über die kommenden Weihnachtsfeiertag, sondern auch am russisch orthodoxen Weihnachtsfest am 6. Januar nicht zu Hause sein. Er sei das mittlerweile gewohnt, sagt er. Und immerhin könne er am 10. Januar seine Familie wiedersehen - pünktlich zum Geburtstag seines Sohns.
(epd)
Autor:Online-Redaktion |
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