Siebenbürgen
Jede Kirche eine Burg
Zum Schutz vor Feinden waren im 12. Jahrhundert die Menschen in Siebenbürgen verpflichtet, ihre Vorräte im Kirchturm der Kirchenburg zu lagern. Diese Gotteshäuser sind Sinnbild für den Glauben und die Gottesfurcht der Menschen dort.
Von Johannes Killyen
Maria Mărăşescu sieht stolz in den Turm hinauf. Über ihr hängen an einem Balken Würste von unter-schiedlicher Länge und Farbe. Am nächsten Balken die eingesalzenen Speckseiten, dazwischen Bündel von Knoblauch und Zwiebeln. Auf der Holztheke darunter hat Maria weitere Köstlichkeiten Siebenbürgens aufgereiht: Gläser mit Marmeladen, dazu Kirschlikör und der berühmte Pflaumenschnaps, rumänisch Ţuică. „Selbst gebrannt natürlich“, betont die umtriebige Rentnerin und gute Seele der Kirchengemeinde. Besucherinnen und Besucher der Kirchenburg in Großau, rumänisch Cristian, wissen diesen Raum sehr zu schätzen. Zumal Maria ihm gewissermaßen seine historische Funktion wiedergegeben hat.
Im 12. Jahrhundert hatte der ungarische König Geza II. deutsche Siedler nach Siebenbürgen, heute ein Teil Rumäniens, gerufen, um das wenig besiedelte Gebiet gegen einfallende Völkerschaften zu sichern. Die „Sachsen“, wie sie bald bezeichnet wurden, erwiesen sich als stand- und wehrhaft. Sie errichteten Städte mit Wehranlagen und umgaben ihre Kirchen auf dem Lande mit Schutzmauern, hinter die sich im Angriffsfalle das ganze Dorf zurückziehen konnte. Und damit man drinnen auch etwas zu essen hatte, während draußen die Horden der Mongolen oder Türken tobten, wurden alle Dorfbewohner verpflichtet, ihre Vorräte im Speckturm der Kirchenburg zu lagern – auch in Großau.
160 Kirchenburgen gibt es in Siebenbürgen, ein einmaliges Ensemble, von dem fünf Burgen zum Unesco-Welterbe gehören. Sie sind ein Sinnbild auch für den festen Glauben und die Gottesfurcht der Siebenbürger Sachsen, die ihre deutsche Sprache, Kultur und Identität über 800 Jahre hinweg bewahrt haben – auch als Siebenbürgen 1918 ein Teil Rumäniens wurde und selbst in der dunklen kommunistischen Zeit unter dem Diktator Nicolae Ceauşescu.
Die Reformation hatte in Siebenbürgen früh Einzug gehalten. Männer wie der Kronstädter Humanist Johannes Honterus (1498-1549) gingen nach Wittenberg und brachten den neuen Glauben mit. Anfang der 1540er Jahre wurden die Siebenbürger Sachsen von den Städten ausgehend evangelisch. Von der ehemals stattlichen Zahl von 300.000 Gemeindegliedern im Jahr 1930 sind heute freilich nur gut 10.000 übriggeblieben. Ab dem Ende des Zweiten Weltkriegs und auch nach dem Sturz der Diktatur 1990 hatten die Deutschen in Massen das Land ihrer Väter und Mütter verlassen.
Ortswechsel, 20 Autominuten von Großau entfernt befindet sich in Hermannstadt, rumänisch Sibiu, am Rande des Großen Rings, also des Hauptmarktes, das Bischofspalais. Hier hat das Konsistorium der Evangelischen Kirche Augsburgischen Bekenntnisses (A. B.) in Rumänien seinen Sitz und auch seinen leitenden Geistlichen: Bischof Reinhard Guib - groß gewachsen, ruhig, freundlich und selbstbewusst.
Rund 200 Kirchengemeinden in ganz Rumänien gehören zu seiner Kirche. Darunter sind große Stadtgemein-den, aber auch Landgemeinden, deren kleinste nur noch 1 bis 5 Mitglieder haben. In manchen Dörfern stehen nur noch Kirchenburgen, die Gemeindeglieder sind ausgewandert oder gestorben.
Doch Resignation sucht man bei Guib vergebens. „Wir haben gelernt, mit der Situation umzugehen und bündeln unsere Angebote, setzen Schwerpunkte.“ Das kann in manchen Orten ein diakonisches Profil sein, in anderen gibt es besondere Angebote für Kinder und Jugendliche. Der Tourismus wird immer wichtiger. „Wir machen das niemals nur für uns selbst“, betont Guib, „sondern erreichen damit auch viele Menschen, die gar nicht unsere Kirchenmitglieder sind“.
Immer häufiger werden Gottesdienste auch auf Rumänisch angeboten. Die evangelische Kirche A. B. bemüht sich um einen Dialog zwischen den Konfessionen und Ethnien in Rumänien und schlägt Brücken nach Deutschland, wo viele ausgewanderte Siebenbürgen Sachsen sich ihren früheren Heimatorten immer noch eng verbunden fühlen und den Erhalt von Kultur und Kirche unterstützen.
Eine besondere Rolle spielte in Siebenbürgen immer schon die Musik. In Kronstadt (Braşov) koordiniert Kantor Steffen Schlandt ein blühendes Kirchenmusikleben – nicht nur in der Schwarzen Kirche, der größten gotischen Hallenkirche Südosteuropas, sondern bis in die Dörfer hinein mit ihren Kirchen und Orgeln. Letztere haben es auch Jürg Leutert und seiner Frau Brita Falch Leutert angetan.
Er ist Schweizer und Musikwart der Landeskirche, also Landeskirchenmusikdirektor, sie Norwegerin und Kantorin an der Stadtpfarrkirche zu Hermannstadt. Reiseerfahrungen und eine Ausschreibung der Stellen haben sie 2015 hierhergebracht. Nun setzen sie sich mit voller Kraft für das Musikleben in Siebenbürgen ein und für den Erhalt der zahlreichen Orgeln – zum Beispiel in der Kirche zu Großau.
Dort haben Ende Oktober Orgelbauer aus der Werkstatt Honigberg, Hărman, die restaurierte Orgel wieder eingebaut. Maria Mărăşescu freut sich, nur an die neue Farbe des Orgelprospekts muss sie sich etwas gewöhnen. Die jungen Herren hat sie im alten Pfarrhaus untergebracht. Auch Touristen können hier kostengünstig übernachten, das Ambiente ist gratis. Und wer dazu nicht noch etwas Schnaps kauft, ist selbst schuld.
Autor:Online-Redaktion |
Kommentare
Sie möchten kommentieren?
Sie möchten zur Diskussion beitragen? Melden Sie sich an, um Kommentare zu verfassen.