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Passionspiel in Oberammergau
Ausnahmezustand alle zehn Jahre

Ein Dorf auf der Bühne: Etwa 2 300 von 5 200 Oberammergauern werden auch im Jahr 2022 wieder an den Passionsspielen beteiligt sein. | Foto: Passionsspiele Oberammergau
  • Ein Dorf auf der Bühne: Etwa 2 300 von 5 200 Oberammergauern werden auch im Jahr 2022 wieder an den Passionsspielen beteiligt sein.
  • Foto: Passionsspiele Oberammergau
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Das weltweit erfolgreichste Laienspiel geht zurück auf ein Pest-Gelübde aus dem Jahr 1633. Erstmals spielt im Jahr 2022 ein Oberammergauer muslimischer Herkunft eine Hauptrolle.

Von Markus Springer

Ein strahlender Herbsttag im Gebirge vergangenes Jahr (2018): Gerade haben die Oberammergauer in einem ökumenischen Gottesdienst ihr Gelübde erneuert: Sie werden auch 2020 wieder das Passionsspiel vom »Leiden, Sterben und Auferstehen unseres Herrn Jesus Christus« auf die Bühne stellen. Danach gab Spielleiter Christian Stückl die mit Spannung erwartete Besetzung der 21 Hauptrollen bekannt – nach und nach unter erwartenden Blicken notiert auf einer schwarzen Schiefertafel.
Als zuerst ein »C« und dann ein »e« hinter den Rollennamen Judas geschrieben wurde, brandete Jubel auf. Hinten in der Menge, dort, wo die Dorfjugend steht, wussten sie bereits: Es kann kein anderer sein als der 18-jährige Cengiz Görür. Der erste Oberammergauer türkisch-muslimischer Herkunft in einer Hauptrolle bei den Passionsspielen. Vorne in der ersten Reihe murrte einer, aber nur leise: Das sei eine »Provokation«. Sein Ärger habe nichts damit zu tun, dass Cengiz Muslim sei. Die Familie sei einfach noch nicht lange genug am Ort ansässig, so der ältere Herr, der selbst Zugezogener ist.
Nur, dass die Familie Görür schon seit 1971 und in der dritten Generation in Oberammergau lebt, länger als seine eigene Familie, gibt später Carsten Lück zu bedenken. 1990, bei Stückls erstem Passion (in Oberammergau heißt es nicht »die«, sondern »der Passion«) war es Lück, der den Judas spielte. Als erster Protestant in einer Hauptrolle.
2020 wird Lück einen der beiden »Pilatusse« spielen. Jede Rolle wird doppelt besetzt, weil keiner die 109 Aufführungen allein stemmen kann, die von Mai bis Oktober 2020 zu bestreiten sind. Wer bei der Premiere auf die Bühne darf, entscheidet das Los. Der ausdrucksstarken Judas-Rolle trauert Lück etwas hinterher. Aber wenigstens dürfe er, sagt er lachend, sich diesmal rasieren und die Haare schneiden, er ist jetzt ja Römer.
Schon seit Aschermittwoch diesen Jahres ist wieder »Barterlass«: Bis zu den Passionsspielen lassen sich dann alle Mitwirkenden die Haare und die Männer auch die Bärte wachsen. Und das sind nicht wenige: Etwa 2 300 von 5 200 Oberammergauern werden an den Passionsspielen beteiligt sein. Die haarige Tradition ist der Grund, warum sich auf die Rollen der Römer überdurchschnittlich viele Oberammergauer bewerben.
Als damals der evangelische Carsten Lück erstmals mit einer Hauptrolle bedacht wurde, habe der katholische Ortspfarrer noch den Weltuntergang prophezeit, erinnert sich Christian Stückl. Den Vorwurf, mit der Judas-Besetzung provozieren zu wollen, weist er entschieden von sich: »Alle, die mitspielen, sind Oberammergauer«, betont er, »wir fragen auch nicht, ob einer aus der Kirche ausgetreten ist.«
Stückl, inzwischen 56, ist ein Glücksfall für Oberammergau. Das müssen sogar seine Kritiker zugeben. Alte Zöpfe hat er abgeschnitten. Auch vermeintliche Tabubrüche hat er nicht gescheut. Vor 30 Jahren spielte unter seiner Leitung erstmals eine verheiratete Frau die Maria. Und vor drei Jahren stellte er Abdullah Kenan Karaca als zweiten Spielleiter vor, auch er ein Oberammergauer türkisch-muslimischer Herkunft. Er spielt 2020 den Nikodemus.
Wichtig ist Stückl, »dass wir immer wieder junge Leute reinbringen«, damit keine Generation für die Passionsspieltradition des Orts verloren geht. Damit das funktioniert, hat Stückl das lüftlbemalte Gebirgsdorf zu einer Theater-Talentschmiede weiterentwickelt, deren Ausstrahlung weit über Oberammergau hinausreicht.
»Wir arbeiten immer wieder neu am Passionsspiel«, sagt Stückl über seine Aufgabe. War ihm vor 30 Jahren noch die rebellische Seite des Galiläers besonders wichtig, so soll diesmal die Botschaft Jesu eine »viel größere Rolle« spielen, also Jesu Leben und weniger sein Leiden, Sterben und Auferstehen.
»Das Fürchterlichste aber ist die Sprache (…). Man bekommt Kopfschmerzen über diese Prosa, die Seekrankheit über diesen Versen und begreift, warum das Vorspiel gleich im zweiten Vers die Hörer als ›ein von Gottes Fluch gebeugtes Geschlecht‹ anspricht«, ätzte der Schriftsteller Lion Feuchtwanger, nachdem er 1910 das Passionsspiel gesehen hatte. Am historischen Text haben Stückl und der langjährige zweite Spielleiter Otto Huber deshalb schon immer gefeilt und gearbeitet, versucht, dessen judenfeindlichen Zungenschlag zu entsorgen. Der Prologsprecher Otto Huber ist nicht mehr dabei. Stückl wird nun die Prologe ganz streichen. Er findet, »dass irgendwelche frommen Sprüche aufzusagen nicht mehr zeitgemäß ist«. Das hatte einen empörten, aber am Ende vergeblichen Gemeinderatsantrag der Freien Wähler zur Folge.
Judasdarsteller Cengiz Görür findet indes, das Wichtigste am Passionsspiel sei der Zusammenhalt als Oberammergauer, da wolle er dazugehören, und da gehöre er dazu. Sein Vater Erol Görür hätte als junger Mann schon gerne mitgespielt. »Aber das ging nicht, da war ich der Muslim«, sagt er. "Diesmal soll die Botschaft Jesu, sein Leben, eine viel größere Rolle spielen."

HIER finden Sie Informationen zu unserer Leserreise nach Oberammergau

Einmal im Leben - Passionsspiel in Oberammergau

Autor:

Online-Redaktion

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