Erzählung
Die etwas andere Auferstehung
Das war schon Heiligabend klar: Stehen christliche Hochfeste vor der Tür, benehmen die Leute sich einfach seltsam. Warum also sollte es zu Ostern anders sein? Eine Auferstehungserzählung mit Benno, Helene & Co.
Von Kerstin Hohlfeld
Benno und Lena haben gesagt, ich soll dich fragen, ob du so ein Bowle-Dingsbums hast«, sagte die 18-jährige Helene, nachdem sie bei ihrer deutlich älteren Namensvetterin angeklopft und die ihre Tür geöffnet hatte. »Auch wenn ich nicht so wirklich weiß, was das ist.«
»Komm erstmal rein! Was ein Bowle-Dingsbums ist, weiß ich zwar auch nicht, aber ich habe da so eine Ahnung«, erwi-derte Helene senior nachsichtig lächelnd.
Seit die vier am Heiligabend zu einer kleinen Schicksalsgemeinschaft zusammengewürfelt worden waren, verbrachten sie hin und wieder Zeit zusammen. Heute am Ostersonntag war gemeinsames Angrillen auf Bennos großer Terrasse angesagt. Der April meinte es gut. Es war überraschend warm und sonnig.
»Geh mal ins Wohnzimmer und mach den großen Schrank auf«, sagte Helene, »da ist unten so ein hohes Glasgefäß mit einer Kelle drin und sechs kleine Gläser, das meinen die beiden. Du kannst es gern hochbringen. Ich helfe dir gleich, muss nur rasch die Kartoffeln für unseren Salat schneiden.«
Die junge Helene nickte und verschwand.
Das gute Meißner
»Boah, ist das schön«, klang wenig später ihre gedämpfte Stimme aus dem Wohnzimmer. »Sowas Schönes hab ich ja noch nie gesehen.«
»Das Bowleservice?«, fragte die Alte stirnrunzelnd und begann zu lachen, als sie das Mädchen auf dem Boden knieend in dem wuchtigen Schrank fast verschwinden sah. »Hast du da drinnen einen Schatz gefunden?«
»Aber echt jetzt«, die junge Helene kroch aus dem Gehäuse und hielt strahlend zwei zierliche mit Streublümchen und Goldrand verzierte Tassen in die Höhe. Sie nieste. »Ganz hinten drin. Nur voll verstaubt alles.«
»Das ist das gute Meißner Porzellan.«
»Das hab ich noch nie bei dir auf dem Tisch gesehen.«
»Das ist ja auch für gut.«
Die junge Helene runzelte nachdenklich die Stirn. »Was bedeutet das?«
»Na, dass es nur für besondere Gelegenheiten ist.«
»Und derweil verstaubt es im Schrank?«
Die Alte lächelte milde. »Das haben mein Emil und ich 1955 zur Hochzeit bekommen«, erklärte sie. »Stell dir vor, da war ich so alt wie du heute. Und sowas Kostbares, das war eben nur für gut, ganz bestimmt nicht für jeden Tag. Dafür war es viel zu schade.«
»Ich glaub, jetzt kapiere ich es«, die junge Helene starrte die Tassen in ihren Händen an. Zwischen ihren Brauen bildete sich eine steile Falte. »Mama sagt sowas immer. Besonders wenn sie Ärger mit einem ihrer Typen hat.«
»Jetzt kann ich dir nicht folgen. Reden wir noch von Geschirr?«
»Sie sagt, dass das Leben meistens Mist ist.«
»Du lieber Himmel«, rief die ältere Helene und bekreuzigte sich. »Also, weil mein gutes Geschirr im Schrank steht, soll mein Leben schlecht sein? Jetzt hast du mir aber das Wort im Mund rumgedreht.«
»Aber es ist doch voll sinnlos, sowas Schönes im Schrank zu verstecken, bis es verstaubt.« Helene junior wollte nicht nachgeben. »Wie oft ist denn dieses ›für gut‹? Einmal in zehn Jahren? Dann hätte Mama ja doch recht.«
Im Sonntagskleid
Die alte Helene schaute nachdenklich drein und setzte zu einer Antwort an, als es erneut an ihrer Tür klopfte. Bennos Freundin Lena stand davor. »Ich wollte nur mal gucken, ob ich was helfen kann.«
»Kannst du der Kleinen erklären, was es bedeutet, etwas für gut aufzuheben?«, fragte Helene und rang die Hände.
Lena lachte, als sie das Mädchen, inmitten von unzähligen Tassen, Tellern und Schüsseln auf dem Fußboden sitzen sah. »Ah, das gute Geschirr! Also, ich hatte als Kleine ein Sonntagskleid«, erzählte sie. »Das war über und über mit goldenen Blümchen bestickt. Ich wollte es am liebsten jeden Tag tragen, aber ich durfte nicht. Und meine Oma, die hatte sogar noch eine gute Stube.«
»Lass mich raten, die war verschlossen!«
»Ich glaube, das war jetzt Öl ins Feuer«, sagte Helene senior schmunzelnd.
»Danke für den Versuch, aber sorry, Leute, ich kann dieses ›für-gut-und-für-Sonntag-Zeugs‹ immer weniger leiden«, maulte die junge Helene prompt. »Geschirr, das im Schrank staubt. Klamotten, die keiner anziehen darf.« Plötzlich hob sie ihren Kopf und strahlte. »Helene?«
»Jaaaa?«
»Wo ist eigentlich dein Kleiderschrank?«
Ist das die Krönung?
»Ich wollte gerade die Würst … Donnerwetter, wie seht ihr denn aus?« Benno, lässig in Jeans und T-Shirt, ein Geschirr-tuch über der Schulter und die Grillzange in der Hand, blieb der Mund offenstehen, als er seine Tür öffnete. »Wollt ihr nach London zur Krönung? Ich dachte wir grillen?«
»Das sind Helenes ›für-gut-Klamotten‹«, sagte das Mädchen und drehte sich in einem weinroten bodenlangen Taftkleid mit einem Volant aus tuffigem Tüll kokett vor Benno. Auf ihrem Kopf saß ein Hütchen mit wippendem Federpuschel.
Lena balancierte vorsichtig ein Tablett mit dem Bowleservice an ihr vorbei.
»Du bist doch in Jeans runtergegangen«, sagte Benno lachend und musterte seine, nun in eine grüne Robe aus Samt gewandete, Freundin. Ein goldener Gürtel um die Taille kaschierte gekonnt, dass das Kleid für sie etwas zu groß ausfiel.
»Aber das hier ist besser«, antwortete sie lachend.
»Wo ist denn Helene?«, fragte Benno. »Schnippelt sie ihren Kartoffelsalat auch im Prinzessinnenkleid?«
»Ich kann dich hören«, drang die Stimme der Alten durchs Treppenhaus.
Die Junge hüpfte fröhlich auf und ab. »Das ist so toll. Warte nur, wie großartig sie aussieht.«
Benno pfiff durch die Zähne, als Helene in einem eleganten, schwarzen Spitzenkleid die Treppe heraufkam, ein mehr-reihiges Perlencollier lag um ihren Hals. Nur die Schüssel mit dem Kartoffelsalat in ihren Händen wollte nicht so recht ins Bild passen.
»Okay, die Ladys. Ich bitte Platz zu nehmen«, flötete Benno. »Bevor euer ergebenster Diener, die Würstchen auf den Grill legt: Könnt ihr mir mal erklären, ob ihr euch im Tag geirrt habt? Die Krönung von King Charles ist doch erst im Mai, heute ist doch bloß Ostern.«
»Wieso bloß?«, fragte die ältere Helene. »Das ist das Fest der Auferstehung Jesu.«
Eigenwillige Interpretation
»Wir feiern die Auferstehung von den Sachen in Helenes Schränken«, jubelte das Mädchen und wirbelte noch eine Runde um die eigene Achse.
»Ziemlich eigenwillige Interpretation des Osterfestes«, sagte Benno lachend.
»Eigentlich nicht«, gab Lena zu bedenken, während sie frische Erdbeeren in das große Bowlegefäß füllte und mit Sekt aufgoss. »Helene hat uns davon überzeugt, dass es schlau ist, unsere schönen Sachen aus dem Schrank zu holen und jeden Tag zu einem kleinen Fest zu machen.«
»Sonst ist es nämlich wie glauben, dass das Leben meistens doof ist und vielleicht irgendwann mal gut wird«, sagte das Mädchen.
»Mein Geschirr hat dich vielleicht auf Ideen gebracht.«
»Du bist ja eine richtige Philosophin«, staunte Benno.
Alle lachten.
»Nee, ich hab bloß zugehört, was du mir vorhin über Ostern erzählt hast. Dass es uns Mut machen soll und dass nach schweren Zeiten wieder gute kommen, und nach dem Winter der Frühling. Dass das alles zusammen richtig Sinn ergibt und es total wichtig ist, immer an das Leben und seine vielen Wunder zu glauben.«
Die alte Helene nickte. »Schön erklärt, Benno! Versprich mir was!«, sagte sie an die junge Helene gewandt.
»Was denn?«
»Wenn deine Mutter wieder sowas, naja, sowas übers Leben sagt, dann überzeug sie vom Gegenteil. Das kannst du doch so gut.« Sie zwinkerte.
»Dann versprich du mir bitte auch was«, sagte das Mädchen. »Kein für-gut-Geschirr mehr! Biiiiitttee, all deine schönen Sachen, die sind viel zu schade für gut.«
»Einverstanden, wenn du das nächste Mal bei mir Eierkuchen isst.«
»Du meinst Pancakes?«
»Genau die. Dann essen wir die vom Meißner Porzellan.«
Benno nickte und lächelte. »Bevor ich die Würstchen auf den Grill lege, schlüpf’ ich noch rasch in meinen Smoking. Heute ist doch ein guter Tag, findet ihr nicht?«
Die Autorin ist studierte Theologin und Verfasserin mehrerer Romane.
Autor:Online-Redaktion |
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