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Ephraim Kishon
Satire für das Land der Täter

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Der vor 100 Jahren geborene Holocaust-Überlebende Ephraim Kishon ist einer der erfolgreichsten Satiriker des 20. Jahrhunderts im deutschsprachigen Raum. Kishon habe seinen Erfolg als Glück und Zufall gewertet, sagte die Kishon-Biografin Silja Behre im Gespräch mit Stephan Cezanne. Sein Verlag habe ihn seit den 1960er Jahren allerdings auch mit einer ausgeklügelten Marketingstrategie gefördert. Der israelische Schriftsteller, Theater- und Filmregisseur Kishon wurde als Ferenc Hoffmann am 23. August 1924 in Budapest in eine jüdische Familie hineingeboren. Er starb am 29. Januar 2005 in der Schweiz.

Wie wurde ein Überlebender der Schoah zum zeitweise beliebtesten Autor der Deutschen?
Silja Behre:
In den Nachrufen auf Kishon oder in Erklärungen zu seinem Erfolg wird oft gesagt, die Deutschen konnten sich im Lachen von ihrer Schuld erleichtern und man konnte wieder mit Juden und über Juden lachen. Man konnte sich zudem mit den Leuten identifizieren, über die er schrieb.

Stimmt das?
Behre:
Ich habe mich als Historikerin nicht damit zufriedengegeben, denn mir fehlen dazu die Quellen. Das ist eine Deutung, die man schwer prüfen kann. Aber gerade das hat mich neugierig gemacht.

Hintergrund

Silja Behre studierte Geschichte in Bielefeld und Paris. Es folgten akademische Stationen an der Hebrew University in Jerusalem und dem Minerva Institute for German History an der Universität von Tel Aviv. Sie forscht zur Geschichte der deutsch-israelischen Wissenschaftsbeziehungen.

Silja Behre | Foto: epd-bild/Silja Behre

Im Juli erschien ihr Buch «Ephraim Kishon - Ein Leben für den Humor». Behre, Silja: Ephraim Kishon - Ein Leben für den Humor, Langen Müller Verlag, Juli 2024. 25,00 Euro

Wie also wurde Kishon in Deutschland so erfolgreich?
Behre:
Es gab mehrere Gründe. Er selbst würde sagen, es war Glück und Zufall. Ich würde sagen, ja, es sind manchmal witzige Zufälle gewesen, aber es ist auch viel Wille zum Erfolg. Kishon hat nach seiner Einwanderung nach Israel zuerst noch für ungarischsprachige Zeitungen in Israel geschrieben. Aber er wollte ein größeres Publikum, denn er hatte schon in Budapest eine Karriere und wollte weiter schreiben. Das ging in Israel nur auf Hebräisch. Also hat er Hebräisch gelernt.

Wie kamen seine Bücher nach Deutschland?
Behre:
Er hatte eine berühmte Kolumne in der Abendzeitung «Ma ariv» mit täglichen Alltagssatiren. Diese wurden ab Mitte der 1950er Jahre für die «Jerusalem Post» ins Englische übersetzt. So wurde das internationale Publikum aus Diplomaten, Politikern und Journalisten auf ihn aufmerksam. Es folgte dann die Übersetzung des Satirenbandes «Look Back, Mrs. Lot» ins Englische, der in Israel erschien. Der aus Wien stammende Kabarettist Gerhard Bronner, dessen Familie im Holocaust ermordet wurde, war Ende der 1950er Jahre zu Besuch in Israel und las das Buch. Er kam aus dem Lachen nicht mehr heraus.
Zurück in Wien erzählte er seinem Freund Friedrich Torberg davon, der es schließlich übersetzte. 1961 erschien «Drehn Sie sich um, Frau Lot!». Torberg, der selbst kein Hebräisch sprach, wurde zu Kishons kongenialem Übersetzer, 20 Jahre lang. Durch seine Art der literarischen Übertragung aus englischen Übersetzungen hat er zu dessen Erfolg sehr beigetragen.

Wie ging es weiter?
Behre:
Zum Erfolg hat der westdeutsche Buchmarkt mit neuen Marketingmethoden und dem Aufbauen von einzelnen Autoren als Flaggschiff beigetragen. Das hat den Langen Müller Verlag vor allem unter Herbert Fleissner ab 1967 stark gemacht. Kishon gab es auch als Taschenbuch, es gab eine Massenlesekultur in der alten Bundesrepublik, für die auch Kishon symptomatisch war. Das Buch war trotz Radio und Fernsehen noch ein Leitmedium, und davon hat auch Kishon profitiert. Es gab natürlich Kabarett, Satire und andere humoristische deutsche Autoren. Doch Kishons kurze Satiren, genial übersetzt von Torberg, haben eine Lücke gefüllt.

War dem breiten Publikum bewusst, dass Kishon nur knapp der Schoah entkommen ist?
Behre:
Nein. Es ist nicht ganz so, dass Kishon darüber komplett geschwiegen hat. Seitens des Verlags und des Übersetzers kann man sagen, es sollte nicht in den Vordergrund gerückt werden. Es sollten israelische Satiren vermarktet werden. Es sollte ein positives Bild Israels gezeichnet werden, ohne die deutschen Leser zu sehr zu belasten. Kishon hat das Thema NS-Zeit in Andeutungen immer einfließen lassen, sei es im Klappentext, sei es in einzelnen Texten, die auch früh auf Deutsch erschienen sind. Man konnte sie als Auseinandersetzung mit den nationalsozialistischen Verbrechen lesen.

Was hat Kishon in der NS-Zeit erlebt?
Behre:
Todesangst und die ständige Bedrohung, ermordet zu werden.
Dass er als Survivor, als Holocaust-Überlebender spricht, öffentlich, das kam erst in den 1990er Jahren. Aber bereits seit den 80er Jahren fing er an, sich auch als Überlebender zu verstehen. Das hat auch damit zu tun, dass er kein Überlebender eines Konzentrationslagers war, denn es gab verschiedene Kategorien von Überlebenden. Als sein ungarischer Retter von der Gedenkstätte Yad Vashem als Gerechter unter den Völkern anerkannt worden ist, fing Kishon an, auch als Überlebender zu sprechen und als Zeitzeuge aufzutreten.

Ist Ephraim Kishon ein Brückenbauer zwischen Israelis und Deutschen?
Behre:
Die Deutschen hatten ihm diese Funktion zugeschrieben. Sie hatten diesen Wunsch nach Versöhnung. Kishon selbst hat sich überhaupt nicht als Versöhner oder Mittler verstanden. Seine Satiren waren ja auch nicht für ein deutsches Publikum geschrieben. Sein Erfolg bei den deutschen Lesern war ihm eine Genugtuung. Aber es war nicht sein Ziel gewesen. Es war auch nicht sein Ziel, anzunähern und zu versöhnen. Das war ein Nebeneffekt seines Erfolgs, der von den Deutschen auch konstruiert, gewünscht, ja herbeigeredet worden ist.
Er sprach von seinem Erfolg im Land der Täter, dass die Enkel seiner Henker seine Bücher lesen. Das war für ihn eine Ironie der Geschichte.

Trotz seines kommerziellen Erfolgs wurde Kishon von der Literaturkritik lange Zeit als Trivialautor abgetan. Wie hat er darauf reagiert?
Behre:
Dass er als Humorist bezeichnet worden ist, hat er immer als Reduzierung und literarische Nichtanerkennung wahrgenommen. Er hat sich selbst als Schriftsteller verstanden. Er kämpfte auch mit Depressionen. Seine Arbeit und sein Erfolg haben ihn sozusagen aufrecht gehalten.

Welchen Einfluss hatte Max Brod (1884-1968), der literarische Nachlassverwalter Franz Kafkas, auf die Karriere von Kishon?
Behre:
Max Brod wurde zu Beginn der 1950er Jahre auf Kishon aufmerksam, am Habima Theater in Tel Aviv. Er hat Kishons erstes hebräisches Theaterstück ins Deutsche übersetzt. Diese Übersetzung von Brod wurde an den Fischer Theaterverlag verkauft, so gab es sein erstes Theaterstück auf Deutsch bereits 1955 in Braunschweig. Da hatte man Kishon als Theaterautor schon im Blick. Aber das war natürlich nicht der große Durchbruch. Der große Erfolg und die große Bekanntheit beim breiten Publikum kam erst mit der Torberg-Übersetzung von «Drehn Sie sich um, Frau Lot!» von 1961. Mit Torberg und Brod hatte er zwei Förderer, Mentoren, Übersetzer und Netzwerker, die dazu beigetragen haben, ihn beim deutschen Publikum bekannt zu machen. Sie haben die Satiren und Stücke aus einer literarischen Tradition heraus übertragen, die aus der Donaumonarchie stammen.

Das heißt, Kishon war kein typischer Vertreter des israelischen Humors?
Behre:
Die Satiren wurden als israelische Satiren vermarktet und nach außen als israelischer Humor wahrgenommen. In Israel selbst nicht. Was er geschrieben hat, das hat er schon in Budapest geschrieben. Er ist ein Vertreter dieser literarischen Tradition der Donaumonarchie mit urbanem Kabarett und Satire aus einem städtischen Milieu, einem Angestelltenmilieu aus dem assimilierten jüdischen Bürgertum. In Israel selbst war Kishons Humor eine Art Diasporahumor, nicht genuin israelisch.

(epd)

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Silja Behre | Foto: epd-bild/Silja Behre
Autor:

Online-Redaktion

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