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Von guten Mächten
Vom Verräter zum Märtyrer

Foto: sara – stock.adobe.com

Von guten Mächten: Das Gedicht Dietrich Bonhoeffers zählt gerade in der Vertonung durch Sieg-fried Fietz zu den bekanntesten Kirchenliedern. Zuerst veröffentlicht wurde der Text 1946 in der Thüringer Kirchenzeitung »Glaube und Heimat«.

Von Johann Schneider

Als die Kirchenzeitung »Glaube und Heimat« in ihrer zweiten Ausgabe des Jahres die bekanntesten Worte Dietrich Bonhoeffers erstmals veröffentlichte, schrieb sie Geschichte. Die Veröffentlichung erfolgte damit noch vor Eberhard Bethges Erstherausgabe von Bonhoeffer-Gedichten unter dem damaligen Titel »Auf dem Wege zur Freiheit« zu dessen Todestag am 9. April 1948.

Bonhoeffer schreibt zu Weihnachten 1944 »Von guten Mächten« als seinen letzten Brief an seine Verlobte Maria von Wedemeyer und deutet dort an, was man in einem anderen seiner zehn Ge-dichte aus der Haft, im September 1944 geschrieben, als »sein eigentliches Testament« (Bertold Klappert) lesen kann. In »Der Tod des Mose« (DBW 8, 590–598) schreibt Bonhoeffer: »Gott, – ich habe dieses Volk geliebt«. Dieser Satz ist in seiner Deutung in der Bonhoeffer-Forschung umstritten – welches Volk meint er? Das deutsche oder das jüdische? Er meinte wohl beide und sich dazwischen in der Zerrissenheit, die es für ihn bedeutete, sich gegen das deutsche und für Gottes Volk mit seiner Theologie und mit seinem Leben entscheiden zu müssen.

Dass Dietrich Bonhoeffer als »pro-testantischer Heiliger« bezeichnet und weltweit, nicht zuletzt ökumenisch, anerkannt wird, war überhaupt nicht selbstverständlich. Der Begriff geht zurück auf Stephen Haynes’ Darstellung in dessen Buch »The Bonhoeffer Phenomenon: Portraits of a Protestant Saint« (2004).

In der ersten Phase der deutschen Bonhoeffer-Rezeption – die etwa bis zum Mauerbau andauerte – war das Urteil über diesen zunächst vor allem aufgrund seiner Lebensführung als »vorbildlicher Christ« und »Blutzeuge der Bekennenden Kirche« bezeichneten entfernten Zeitgenossen eher zurückhaltend. Nicht so sehr seine »Ergebung«, sondern vor allem sein »Widerstand« als politischer Akt galten noch bis in die späten 1950er-Jahre (aus theologischen Gründen!) als befremdlich. Hanfried Müllers Dissertation »Von der Kirche zur Welt« (Berlin 1961) war die erste deutschsprachige Darstellung der Theologie Bonhoeffers – wobei gerade die Interpretation Müllers im atheistischen Kontext der DDR zu den umstrittensten Deutungen gehört.

Zu lange wurde sein Widerstand gegen das Nazi-Regime in Deutschland noch als Verrat diffamiert – und wird es aus üblen Kreisen unserer Gesellschaft auch heute noch. »Märtyrer« erschien lange Zeit als der reibungsärmste Begriff, um die Lebensleistung von Dietrich Bonhoeffer zu würdigen, ohne sich mit den politischen Hintergründen aufhalten zu müssen.

Unterdessen ist viel geschehen: Es gibt Spielfilme und Dokumentationen, Romane, Theaterstücke und Opern über Dietrich Bonhoeffer. Und er wurde und wird verewigt. Die weltweit bekannteste bildhauerische Darstellung Dietrich Bonhoeffers findet sich im Westchor der Westminster Abbey: Dort steht seine Statue zusammen mit neun anderen Märtyrern des 20. Jahrhunderts zwischen Oscar Romero und Esther John.

Weniger bekannt dürfte seine Darstellung in der Rumänisch-Orthodoxen Kirche in Nürnberg sein. Aber auch sie ist auf ihre Weise typisch und vielsagend inmitten von Edith Stein, Maximilian Kolbe und Zosim Oancea als Bekenner Christi im 20. Jahrhundert. Nun steht Dietrich Bonhoeffer an der Seite Mariens und ihres Kindes, neben Petrus, Mauritius, neben anderen Heiligen, neben Engeln und neuzeitlichen Stiftern und umgeben von Menschen jeder Hautfarbe und allen Alters. Er ist mit zwischenzeitlichen Umwegen seit Juli 2022 auf dem neuen Retabel des Marienaltars im Westchor des Naumburger Doms zu sehen. Der Künstler, Michael Triegel, schlägt die Brücke zwischen damals und heute, zwischen Mittelalter und Moderne. Die Fragen Luthers oder Cranachs, die Fragen Nachkriegsdeutschlands und der heutigen Generationen ähneln sich im Blick auf Bon-hoeffer. Und der schaut in Naumburg zurück, schaut den Betrachter mit klarem Blick an: mit aufgeknöpftem Hemd und in der linken Hand die Bibel. Und in dem Bewusstsein zu wissen, was Schuld ist, auch die ganz eigene.

Poetisch und vielleicht am tiefsten verdichtet greift er in seinem letzten Gedicht an seine Verlobte auf das zurück, was er in seinem Mose-Gedicht schon schrieb: »Deine Gnade rettet und erlöst, und Dein Zürnen züchtigt und verstößt. / Treuer Herr, Dein ungetreuer Knecht weiß es wohl: Du bist allzeit gerecht. / So vollstrecke heute Deine Strafe, nimm mich hin zum langen Todesschlafe.«

Und nur drei Monate später schreibt er: »Von guten Mächten wunderbar geborgen / erwarten wir getrost, was kommen mag. / Gott ist bei uns am Abend und am Morgen, / und ganz gewiß an jedem neuen Tag.«

Der Autor ist Regionalbischof im Sprengel Magdeburg in der EKM.

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Online-Redaktion

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