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Dorothee Sölle
«Theologinnen wie Sölle brauchen wir heute»

Evangelischer Kirchentag unter dem Motto "Brücken bauen" in Rostock vom 16. bis 19.06.1988. Bibelarbeit mit Dorothee Sölle in der Johanniskirche.
 
 | Foto: epd-bild / Bernd Bohm
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  • Evangelischer Kirchentag unter dem Motto "Brücken bauen" in Rostock vom 16. bis 19.06.1988. Bibelarbeit mit Dorothee Sölle in der Johanniskirche.

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Die feministische Theologin Dorothee Sölle (1929-2003) gilt manchen bis heute als Reizfigur. Für viele hat die evangelische Denkerin mit ihrem Einsatz für Umwelt, Abrüstung und eine gerechtere Welt neue Maßstäbe für das christliche Leben gesetzt. Doch ihr Programm «Atheistisch an Gott glauben» stößt noch immer auf Kritik. Aus Anlass des 20. Todestags würdigt die Hildesheimer Theologieprofessorin Maren Bienert Sölle als eine Theologin, die viele Menschen erreicht habe und deren «Kampf gegen eine patriarchale und bevormundende Theologie» längst überfällig gewesen sei. Aber auch wo sie Schwächen in Sölles Denken sieht, erläutert Bienert im Gespräch mit Urs Mundt vom Evangelischen Pressedienst (epd).

epd: Sie lehren in Hildesheim Systematische Theologie, also evangelische Ethik und Dogmatik. Als junge Professorin trennen Sie gut zwei Generationen von Dorothee Sölle. Was sind Sölles bleibende Verdienste?
Maren Bienert: Sölle hat seit den 1960er Jahren mit klarem Blick und in pointierter Sprache die Situation unterprivilegierter Menschen in den Fokus gerückt, etwa von Frauen, Kindern, Geflüchteten, Schwarzen oder von den Armen im globalen Süden. Dabei hat sie nicht über, sondern mit ihnen geredet. Neu war auch ihre Frage, wie Ungerechtigkeit und Schuld konkret in den sozialen und politischen Kontexten vor Ort eingebettet sind. Zudem hat sie die deutsche Theologie gelehrt, sich wie die Befreiungstheologien aus Ländern des globalen Südens selbst auch als «kontextuelle Theologie» an einem bestimmten historischen und sozialen Ort zu begreifen - mit allen damit verbundenen Privilegien und mit der daraus erwachsenden Verantwortung.

Was hat Sölle in feministischer Hinsicht geleistet?
Eine Vielzahl feministischer Gerechtigkeitsfragen, etwa zu Care-Arbeit, hat Sölle überhaupt erst aufs Tableau gebracht. Dabei hat sie eine große Öffentlichkeit erreicht und inspiriert.
Theologische Reflexion und christliches Leben in dieser Weise zusammenzubringen, allein das ist eine große Leistung. Dabei hat Sölle sich der damals vorherrschenden Theologie widersetzt, die sie als überwiegend patriarchal und bevormundend erlebt hat, man könnte sagen: als eine Theologie dominanter weißer Männer. Dabei hat sie Allianzen gebildet und viele andere Menschen zu ganz eigenen theologischen und persönlichen Befreiungskämpfen inspiriert.

Wo sehen Sie Schwachstellen?
Sölle neigte zu einem antiakademischen und antibürgerlichen Affekt. Zugleich steckte sie tiefer in der bürgerlichen Welt, als sie sich womöglich selbst eingestehen mochte. Beispielsweise hat sie vom bürgerlichen Salon-Marxismus eine gehörige Portion Konsum- und Kulturkritik übernommen. Ihre Außenseiterrolle innerhalb der akademischen Theologie war zudem nicht frei von Selbststilisierung.
Immerhin war sie viele Jahre ihrer Karriere Professorin am renommierten Union Theological Seminary in New York. Auch Sölles differenzbetontes Frauen- und Männerbild ist wohl überholt. Als spezifisch weibliche Form der Sünde hat Sölle die Passivität verstanden. Damit sind viele kluge sozialstrukturelle Einsichten verbunden. Die Geschlechterforschung vermeidet es heute aber aus guten Gründen, die Menschen auf solche vermeintlich natürlichen Unterschiede zwischen Männern und Frauen festzulegen.

Auch Sölles Programm einer «Theologie nach dem Tode Gottes» oder eines atheistischen Glaubens ruft bis heute Widerspruch hervor. Was hat es damit auf sich?

Sie wollte nicht einem banalen Atheismus das Wort reden, sondern mit der Vorstellung eines bestimmten theistischen Gottesbildes aufräumen. Dahinter steht die schon mehr als 200 Jahre alte religionskritische Einsicht, dass Gottesbilder Ausdruck historisch bedingter Selbstdeutungen sind. Sölles Leistung besteht darin, dass sie breitenwirksam das patriarchale Bild eines allmächtigen «Papa-wird-es-schon-richten-Gottes» kritisiert hat. Eine solche Vorstellung entmündigt die Menschen und macht sie apathisch.
Demgegenüber hat Sölle darauf bestanden, dass der christliche Glaube Menschen dazu ermutigen soll, sich als schuldfähige und verantwortliche Wesen zu begreifen, die solidarisch miteinander sind und die Welt zum Besseren verändern. Darin sehe ich ein Hauptverdienst ihrer theologischen Arbeit.

Viele werfen Sölle vor, dass sie Religion auf Politik und Moral reduziert, und damit die Menschen überfordert.
Ja, zugespitzt gesagt, fallen bei Sölle alle Gehalte des christlichen Glaubens hinten herunter, die nicht politisierbar sind.
So hat sie sich gegen die christliche Auferstehungshoffnung gewandt.
Auch dass Menschen Trost und Erlösung auch unabhängig und jenseits von politischer Befreiung erleben oder erhoffen können, kommt in Sölles Texten kaum vor. Ihr scheint alles verdächtig zu sein, was entlastet oder was leichtfällt. Sölle kann den Glauben offenbar nur als permanente Selbstherausforderung denken. Und tatsächlich ist er ja eine Ressource zur Weltveränderung. Dieses Verständnis des Christentums halte ich für legitim und durchaus zukunftsfähig, man darf es aber nicht verabsolutieren. Auch Frömmigkeiten, die Glaube und Politik stärker unterscheiden, haben ihr Recht.

Was halten Sie von Sölle als Mystikerin?
Die Naturmystik, wie Sölle sie in ihrem Spätwerk entwickelt, ist ambivalent. Sölle sah in der staunenden Naturbetrachtung eine große Ressource für den Glauben. Sie versprach sich davon eine Art Gotteserkenntnis aus Erfahrung. Darin steckt der für Sölle wichtige Appell, die Umwelt zu schützen und den Menschen vor der Entfremdung durch die Technik zu bewahren. Ich halte es aber für hochproblematisch, wie Sölle die Natur, den Tod und vermeintliche Natürlichkeiten romantisiert. Sölle will in der Schöpfung eine letztlich harmonische und lebensfreundliche Ganzheit erkennen. Damit verdeckt sie die Tatsache, dass die Natur auch lebensfeindlich sein kann. Zudem verstellt ihre pauschale Technikkritik den Blick für unsere kulturellen Konstruktionen von «Natürlichkeit», etwa im Ernährungsbereich oder in der Reproduktionsmedizin.

Was können wir von Sölle lernen?
Sölle hat schon sehr früh Themen wie Frieden, soziale Gerechtigkeit und Umweltschutz miteinander vernetzt und ein politisches Bewusstsein für globale Zusammenhänge geschaffen.
Politisch hat sie sich dabei weit links positioniert - woran sich viele Protestanten bis heute stören. Doch diesen energischen Willen, die Mega-Probleme der Zeit zu verstehen und zu lösen, brauchen wir auch heute, zum Beispiel im Hinblick auf Klimagerechtigkeit. Vorbild ist Sölle für mich auch darin, dass sie Theologie und Gesellschaft, Theorie und Praxis in ein großes Wechselgespräch gebracht hat.
Theologinnen und Theologen, die so viele Bürger erreichen, wünsche ich mir auch für unsere Zeit.

Evangelischer Kirchentag unter dem Motto "Brücken bauen" in Rostock vom 16. bis 19.06.1988. Bibelarbeit mit Dorothee Sölle in der Johanniskirche.
 
 | Foto: epd-bild / Bernd Bohm
Aus Anlass des zwanzigsten Todestags würdigt die Hildesheimer Theologieprofessorin Maren Bienert (Foto) Dorothee Sölle als eine Theologin, die viele Menschen erreicht hat, und deren "Kampf gegen eine patriarchale und bevormundende Theologie" längst überfällig war. | Foto: Universität Hildesheim
Autor:

Katja Schmidtke

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