Museum Schifflersgrund
"Jeder hätte erschossen werden können"
An der Grenze zwischen Hessen und Thüringen hält das Museum Schifflersgrund seit 1991 die Erinnerung an das DDR-Grenzregime wach. Die Ausstellung wurde vollständig überarbeitet und ist ab 9. November, dem 35. Jahrestag des Mauerfalls, neu zu sehen.
Von Helga Kristina Kothe (epd)
Die farbige Landkarte zeigt das Grenzgebiet im nordhessischen Werratal zur DDR im Jahr 1961: Schwarze Kreuze markieren die Orte, an denen der damals 17-jährige Thüringer Karl-Heinz Wehr sieben Menschen aus der DDR in die Freiheit verhalf. Nachdem er aufgeflogen war, musste Wehr selbst in den Westen fliehen. Seine Fluchtkarte hat er dem Grenzmuseum Schifflersgrund für dessen neugestaltete Dauerausstellung überlassen.
Seit dem 3. Oktober 1991 erinnert die Gedenkstätte Schifflersgrund an der hessisch-thüringischen Grenze - zwischen Bad Sooden-Allendorf im hessischen Werratal und Asbach-Sickenberg im thüringischen Eichsfeld - an die Schicksale von Menschen, die an der Grenze lebten und arbeiteten. Mit der Neugestaltung hat das Grenzmuseum einen beeindruckenden Neubau aus Glas erhalten, der ein langjähriges Provisorium ablöst: Bisher wurden die umfangreichen Bestände in Containern präsentiert.
Die Ausstellung „Der Schifflersgrund und die innerdeutsche Grenze“ erstreckt sich über 400 Quadratmeter: 260 Bilder, 110 Dokumente, 98 Objekte und zehn Medienstationen mit über 150 Zeitzeugenvideos beleuchten Ursachen und Auswirkungen der deutschen Teilung. Das Museum nimmt den Ausbau der DDR-Sperranlagen in den Blick, gibt Einblicke in das Leben auf beiden Seiten der Grenze.
Leiter Christian Stöber bezeichnet das Museum als „Gedächtnis der Region“: „Wir erzählen ihre Geschichte und setzen dabei ganz bewusst auf die Lebensgeschichten von Menschen aus dem Werra-Meißner-Kreis und dem Eichsfeldkreis“, sagt der Historiker.
Zeitzeugen teilen in Videos ihre Erinnerungen an das Leben an der innerdeutschen Grenze: Auch der heute 80-jährige Fluchthelfer Karl-Heinz Wehr aus Bad Sooden-Allendorf kommt zu Wort: „Jeder hätte erschossen werden können. Ich und die Personen, die ich gerade 'rüberbrachte.“
Das bekannteste Exponat des Grenzmuseums ist ein Radlader, der am 29. März 1982 dem 34-jährigen Arbeiter Heinz-Josef Große aus dem Thalwenden zur Überwindung des Grenzzauns verhalf. Auf westliches Gebiet schaffte er es jedoch nicht: DDR-Grenzsoldaten schossen ihm in den Rücken. Er verblutete am Hang. Unter den Zeitzeugenberichten im Museum sind auch Erzählungen von Bundesgrenzschutzbeamten, die mit ansehen mussten, wie er starb.
Seit 1983 erinnert ein Steinkreuz an Heinz-Josef Große, der heute 77 Jahre alt wäre. Er war der letzte von sechs Menschen, die zwischen 1949 und 1982 an der Grenze des Eichsfeldes zur Bundesrepublik ums Leben kamen. Seine Schwägerin Mechthild Große spricht als Zeitzeugin über die schwere Zeit danach: „Man wusste nicht, wem man trauen konnte. Wenn wir uns über den Vorfall unterhalten haben, dann nur im Freien.“
Dass Heinz-Josef Große, der an den Grenzsicherungsanlagen arbeitete, seine Flucht geplant hatte, belegt ein neues Dokument, das seine Familie mit einem bislang unveröffentlichten Foto zur Verfügung gestellt hat: eine in einen Schrank eingeklebte Schenkungsurkunde für seinen Skoda an seinen Bruder Walter. Heute gibt die gläserne Fassade des Museumsneubaus einen freien Blick auf die Gedenkstätte, die an Große erinnert.
„Nahezu alle Exponate stammen aus der Region“, erläutert Christian Stöber. „Jedes hat eine Geschichte, einen Namen, einen Ort.“ Dazu zählen ein Tagebuch eines DDR-Grenzaufklärers mit Eintragungen aus den 1970er-Jahren oder Putztücher, die Ursel Lange im thüringischen Asbach verwendete, um mit den geflüchteten Verwandten in Bad Sooden-Allendorf zu kommunizieren, die oft nur wenige Meter entfernt am Grenzzaun standen.
Präsentiert wird auch eine Schreibmaschine mit kyrillischer Tastatur, die das Museum 2023 erhielt. Auf ihr wurde die russische Fassung des Wanfrieder Abkommens verfasst, das am 17. September 1945 den Gebietsaustausch zwischen der US-amerikanischen und der sowjetischen Besatzungszone regelte. Auch das einst hessische Dorf Asbach wurde damals der sowjetischen Zone zugeschlagen.
Das Besondere am Museumsneubau: Von überall hat man nun freie Sicht auf den namensgebenden Schifflersgrund. Knapp ein Kilometer Grenzzaun mit Kontrollstreifen und Kolonnenweg sind im Originalzustand erhalten, ebenso wie der elf Meter hohe Beobachtungsturm BT-9. Zu sehen sind auch 1.000-Watt-Suchscheinwerfer und Rekonstruktionen des Grenzzauns. Die Öffnungen im Streckmetall sind so klein, dass kaum ein Finger hindurchpasst, und die nachgebauten Selbstschussanlagen wirken unscheinbar. Diese Exponate werden in Zukunft auf die Museumsterrasse umziehen. Denn mit der Eröffnung am 9. November beginnt auch der Rückbau des Außengeländes: Die Situation von 1989 soll als historischer Ort wiederhergestellt werden.
Autor:Online-Redaktion |
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