Schief und doch im Lot
Pisa liegt in Thüringen
Der Turm der Oberkirche in Bad Frankenhausen hat sich aufgrund seiner Neigung zum Besuchermagneten entwickelt. Bis Ende 2023 soll die Kirchenruine zu einem Veranstaltungs- und Informationszentrum ausgebaut werden.
Von Heinz Noack
Am 25. April 1382 wurde in Bad Frankenhausen die Kirche „Unserer Lieben Frauen am Berg“, auch Oberkirche genannt, fertiggestellt. Zwei Inschriften an der Südseite nennen unter anderem auch den Baumeister Friedrich Halle. „Es war eine Ständekirche der Pfänner“, erklärt Bärbel Köllen, Vorsitzende des Fördervereins. „Auch der Gottesacker blieb anfangs der Brüderschaft ›Corporis Christi‹ und nach der Reformation der Pfännerschaft vorbehalten.“
Der heute 56 Meter hohe Turm ist noch älter, er stammt von einem Vorgängerbau. Bedingt durch besondere geologische Verhältnisse am Standort und eine intensive Solegewinnung in Bad Frankenhausen für die Salzproduktion begann sich der Turm im Laufe der Jahrhunderte zu neigen und weicht heute an der Spitze 4,6 Meter vom Lot ab. „Damit ist er der höchste schiefe Kirchturm der Welt“, erklärt Frau Köllen. „Die Besucher kommen nahezu aus der ganzen Welt.“
Die Kirche und das umliegende Grundstück sind seit Dezember 2011 Eigentum der Kurstadt. Der Wechsel von der Kirchengemeinde in städtischen Besitz vollzog sich für einen symbolischen Euro. Die Kosten für die Sicherung des schiefen Turmes und der Ruine des Schiffes waren für den Eigentümer nicht mehr zu stemmen. Bereits 1962 musste das Kirchendach abgenommen werden. Wiederholt wurde die Kirche baupolizeilich gesperrt. Um 2010 drohte aus Sicherheitsgründen der Abriss des Turmes.
„In den 1950er-Jahren wurde die Kirche entwidmet“, berichtet Frau Köllen. Gottesdienste fanden bis in die Nachwendezeit nur mit langen Unterbrechungen in den Sommermonaten unter freiem Himmel statt. In dieser Situation gründeten die Kirchengemeinde und engagierte Bürger im Mai 1992 den Förderverein Oberkirche Bad Frankenhausen. Sein Ziel ist die Erhaltung und Sanierung der Kirche. Seit 2002 ist Bärbel Köllen die Vorsitzende. Dieses Amt führt sie mit hohem Engagement aus.
Ab 2012 begannen wieder die Stabilisierungsarbeiten am Turm. In den Jahren 2015 und 2016 erfolgte für rund eine Million Euro der Einbau einer sichtbaren stählernen Stützkonstruktion. Damit wurde der Turm dauerhaft stabilisiert. 2019 fanden die Arbeiten am Turm mit der Sanierung der barocken Turmhaube ihr vorläufiges Ende.
Das große Ziel der Stadt ist nun die Sanierung des Kirchenschiffes. Dazu wurde Ende 2018 ein Architekturwettbewerb ausgerufen und aus 23 Bewerbern ging das Architekturbüro "Formation A" aus Berlin als Sieger hervor. Ziel ist, die Ruine als Veranstaltungs- und Informationsort auszubauen, mit Einbeziehung des Grünraumes im Umfeld. Das ehemalige Kirchenschiff wird unter Erhalt der historischen Bausubstanz von einer auf Stützen stehenden Holzkonstruktion überdacht und kann sowohl als ein großer Raum wie auch durch variable Wände in Teilen für Veranstaltungen und Feste genutzt werden. Das Seitenschiff wird um ein Stockwerk erhöht und enthält das Foyer, Repräsentations- und Funktionsräume. Von hier aus erfolgt der Zugang zum Turm. Die geplanten Gesamtkosten betragen rund 7,3 Millionen Euro. Ende 2023 soll alles fertiggestellt sein.
Gefeiert wurde der 25. April von der Gemeinde nie, dafür aber jährlich ein Johannisfeuer angezündet. Pandemiebedingt fand es 2020 nicht statt und wird wohl auch in diesem Jahr erneut ausfallen müssen.
Autor:Online-Redaktion |
Kommentare
Sie möchten kommentieren?
Sie möchten zur Diskussion beitragen? Melden Sie sich an, um Kommentare zu verfassen.