Kirchen
Wo früher der Beichtstuhl stand
Schützenhaus, Gaststätte, Kirche - das markante Gebäude an der Ortsdurchfahrt im sächsischen Stolpen wurde schon vielseitig genutzt. Jetzt kommt eine ganz andere hinzu.
Von Katharina Rögner (epd)
Seit 2008 ist Berit Rasche Hausärztin im sächsischen Stolpen. Damals hat sie die Praxis ihrer Eltern übernommen. Inzwischen betreut sie zusammen mit zwei weiteren Allgemeinmedizinern und ihrem Team täglich bis zu 150 Menschen. Die 48-jährige Rasche bezeichnet sich als Landärztin, viele ihrer Patientinnen und Patienten kommen aus den umliegenden Dörfern.
Schon seit einiger Zeit wollte die Ärztin ihre Praxis vergrößern. Jetzt hat sie in der früheren katholischen Kirche in Stolpen ihr neues Domizil eingerichtet. Nach zweijähriger Bauzeit behandelt sie dort am Montag die ersten Patientinnen und Patienten. Im Erdgeschoss wird zudem ein ambulanter Pflegedienst einziehen.
An so ein großes Objekt habe sie nie gedacht, erzählt Rasche. Noch dazu war es für sie unvorstellbar, in der Kirche ihrer Kindheit zu praktizieren - statt zu beten. Aber auch in Stolpen, etwa 30 Kilometer von Dresden entfernt, werden - wie überall in Deutschland - die Kirchgemeinden deutlich kleiner. Kirchliche Räume müssen zum Teil abgegeben werden.
15 Kirchen und 27 Kapellen wurden laut Bistumssprecher Michael Baudisch in den vergangenen gut 20 Jahren im Bistum Dresden-Meißen entwidmet. Für einige gebe es Ersatzbauten. Die geschlossenen Gotteshäuser werden als Wohnraum genutzt oder für soziale Zwecke, andere wurden abgerissen.
Im Oktober 2021 war auch die Stolpener Kirche nach Jahrzehnten der Nutzung entweiht worden. Die katholische Gemeinde hatte die frühere Gaststätte Anfang der 1950er Jahre erworben. Erbaut wurde das Gebäude 1882 als Schützenhaus. Einen klassischen Kirchturm mit Glocken gibt es nicht. Baudisch bestätigt, dass in Sachsen katholische Kirchen und Kapellen - vor allem nach dem Zweiten Weltkrieg - häufig in bestehende Funktionsbauten integriert oder Gebäude für die kirchliche Nutzung verändert wurden.
Berit Rasche erwarb die unter Denkmalschutz stehende Kirche für 50.000 Euro. Zunächst wollte sie dort ein stationäres Demenz-Zentrum einrichten und ihre neue Praxis daneben bauen. Doch laut einer Machbarkeitsstudie hätte sie dafür sechs Millionen Euro benötigt. Also musste sie umdenken.
Ihr Architekt sei dann auf die Idee gekommen, die Arztpraxis im ersten Stockwerk, direkt in der ehemaligen Kirche einzurichten, berichtet sie. Rasche, die als Kind zu der Kirchgemeinde gehörte, musste schlucken, erklärte sich aber einverstanden. Anstelle von Kirchenbänken und Altar wurden Wände eingezogen, moderne Behandlungs- und Funktionsräume entstanden. Rasches Schreibtisch steht nun seit ein paar Tagen nur wenige Meter von dem Platz entfernt, wo früher der Beichtstuhl stand.
Die katholische Ortsgemeinde bekommt im Erdgeschoss ihren Platz. Der Ärztin war es wichtig, dass die Gläubigen auch künftig einen Treffpunkt haben. Der Versammlungsraum soll aber auch für andere Veranstaltungen genutzt und wird daher nicht geweiht.
Die Kirchenbänke stehen inzwischen in einer katholischen Kirche in Polen. Teile der früheren Kirchenfenster will Rasche in eine Trennwand zum Wartezimmer integrieren. In der früheren Pfarrerwohnung soll die Kantine entstehen, später vielleicht ein kleines Bistro. Im Dachgeschoss vermietet die Ärztin drei Wohnungen - bei günstigem Wetter mit Sicht bis nach Dresden.
Rund 3,5 Millionen Euro hat Rasche in ihr Projekt investiert. Fördermittel erhält sie unter anderem von der EU. Auch die Stadt Stolpen unterstützt ihr Vorhaben. Aus dem Rathaus gibt es viel Anerkennung für das Engagement der Ärztin.
Doch offenbar gibt es auch Menschen, die das Projekt ablehnen. Erst vor wenigen Tagen hat Rasche an der frisch gestrichenen Hauswand rechtsextreme Symbole entdeckt, großflächig war unter anderem ein Hakenkreuz aufgesprüht worden und der Schriftzug «AfD». Die Stadt reagierte prompt: «Das geht gar nicht», hieß es aus dem Rathaus. Und in Richtung der Ärztin: «Lassen Sie sich bitte nicht entmutigen!».
Autor:Katja Schmidtke |
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