Bei den Sorgen ganz weit oben
Was der Klimawandel mit der Seele macht
Wochenlang kaum Regen, gelbes Laub schon im August, vertrocknete Flussbetten. Aus Frankreich oder Italien häufen sich Schlagzeilen etwa zu rationiertem Wasser. In Deutschland brennen Wälder. Experten rechnen damit, dass Klima-Angst und Klima-Stress künftig eine wachsende psychische Belastung darstellen werden.
Von Paula Konersmann
In der aktuellen Studie "What Worries the World" des Marktforschungsinstituts Ipsos landete der Klimawandel bei den größten Sorgen der Deutschen auf Platz 4. Im Juli bezeichneten 33 Prozent der Befragten das Thema Umwelt/Klima/Energiewende laut der Plattform statista als das gegenwärtig zweitwichtigste Problem in Deutschland. Ein Viertel der Studenten, die wiederum an einer Studie des Psychosomatikers Christoph Nikendei teilgenommen haben, zeigen hohe Stresswerte im Bezug auf den Klimawandel.
Angesichts neuer Hitzerekorde oder der Flut im Ahrtal im vergangenen Sommer sieht Nikendei die Psychosomatik in einer Schlüsselposition: Dies betreffe einerseits die Bewältigung von Trauma-Folgeerscheinungen. Andererseits könne aktives Handeln vielen Menschen helfen, denen die Veränderungen des Klimas zu schaffen machen. Schon vor zwei Jahren stand das Thema auf der Tagesordnung des Deutschen Kongresses für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie. Die Klimakrise rufe negative Gefühle hervor, Angst und Verzweiflung, aber auch Schuld und Scham, erklärte Nikendei zu diesem Anlass.
Fachleute und Aktivisten beklagen, dass sowohl Regierungen und Institutionen als auch Einzelpersonen das Problem zwar erkennen, aber nicht angemessen handeln. Dabei gibt es zahlreiche vernünftige Begründungen für Umwelt-, Tier- und Naturschutz, wie der Kieler Philosoph Konrad Ott in seinem Buch "Umweltethik" darlegt. Dazu zählt er unter anderem die menschliche Gesundheit, die biblische Schöpfungslehre oder Verantwortung gegenüber künftigen Generationen. Momentan erlebe die Menschheit eine Übergangszeit, schreibt Ott. Es gebe durchaus Lernprozesse – die naturverbrauchenden Aktivitäten müssten aber vermindert werden.
Der Mensch sei selbst ein Teil der Natur, betont Nikendei im Interview des Magazins der "Süddeutschen Zeitung". Es sei ein Bedürfnis, "mit der Natur in Kontakt, eingebettet in sie zu sein". Nicht umsonst werden Naturerlebnisse häufig in Achtsamkeits-Ratgebern empfohlen, nennen Menschen sie immer wieder als jene Momente, in denen sie zur Ruhe kommen und sich glücklich fühlen. Umgekehrt zeigen Studien, dass Menschen bei extremer Hitze aggressiver reagieren, und es bei Temperatursprüngen zu mehr Suiziden kommt.
Warum ist eine gewisse "Nach mir die Sintflut"-Haltung dennoch so verbreitet? Aus psychologischer Sicht reagieren Menschen auf Gefahr, "wenn sie unmittelbar und konkret ist und direkte Auswirkungen auf uns hat", erklärt Nikendei. Die Klimaveränderungen verlaufen dagegen schleichend.
Der Wissenschaftler wirbt daher für eine veränderte Klimakommunikation. Schwierige Gefühle müssten offen angesprochen werden. Dabei seien Fachkräfte im Gesundheitswesen gefragt – auch deshalb, weil er damit rechnet, dass soziale Probleme und beispielsweise Angststörungen zunehmen werden. Zugleich könne jeder Einzelne von veränderten Werten auch profitieren, betont Nikendei: So habe Verzicht nicht nur etwas Asketisches, sondern schaffe Möglichkeiten. "Wenn jemand jeden Tag eine halbe Stunde meditiert, mag mancher sagen, das ist ja ganz schön viel Zeit. Aber diese Menschen erleben einen Mehrwert und fühlen sich besser. So ist es vielleicht auch, wenn ich das Leben einvernehmlicher führe innerhalb der planetaren Grenzen."
(kna)
Autor:Online-Redaktion |
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