Folge 7 – 1934 und 1935
Verblendung und Widerstand
Eine "neue Zeit", ein "neuer Staat", ein von Gott geschenkter "Retter, der es (Deutschland, Anmk. d. R.) vom Grabesrand noch einmal zurückriß, den Mann, zu dem wir jetzt als Führer aufschauen" – große Worte finden die Kirchenführer und die Autoren der Kirchenzeitung für den nationalsozialistischen Staat und dessen Kanzler.
Von Dietlind Steinhöfel
Auch wenn die Theologen immer wieder auf Jesus Christus als den eigentlichen Führer der Christen verweisen, so scheint die Verehrung des weltlichen Führers kein Widerspruch zu sein.
Die demokratischen Strukturen der Kirche werden zunehmend aufgeweicht, indem zum Beispiel durch ein Ermächtigungsgesetz dem Landeskirchenrat und dem Landesbischof mehr Entscheidungsgewalt übertragen wird. Die Entwicklung in Deutschland scheint diesem "neuen Staat" Recht zu geben: Die Arbeitslosenzahlen sinken rapide (um mehr als drei Millionen im Jahr 1935), zahlreiche Menschen treten wieder in die Kirche ein.
Die sogenannten Deutschen Christen (DC) gewinnen in allen Landeskirchen die Oberhand. In Thüringen wird im Januar 1934 ein neuer Landesbischof gewählt, weil Wilhelm Reichardt aus gesundheitlichen Gründen zurücktritt. Mit knapper Mehrheit gewinnt Martin Sasse, der ebenfalls den DC angehört.
Die Thüringer Kirche überträgt im Mai 1934 ihre Gesetzgebung an die Reichskirche, was jedoch scheitert und 1935 wieder zurückgenommen wird. Doch Widerstand formiert sich. Im Bericht vom 4. Thüringer Landeskirchentag (Synode) wird in der Kirchenzeitung der Konflikt zwischen der Thüringer Kirchenleitung und der Bekenntnisgemeinde dargestellt.
Der Abgeordnete Friedrich von Eichel-Streiber, Jurist, der zunächst auf Seiten der "neuen Kirche" gestanden hatte und unter anderem das Ermächtigungsgesetz mit auf den Weg gebracht hatte, wechselt 1934 auf die Seite der "Lutherischen Bekenntnisgemeinschaft", einem Zweig der Bekennenden Kirche. Er spricht auf der Synode davon, dass die Ideen der DC nicht vereinbar mit Bibel und Bekenntnis seien. Die Kirchenleitung beklagt, dass sich manche Pfarrer den neuen Vorschriften widersetzten.
Auf dieser Synode wird zudem ein Ausschuss eingesetzt, der Beschlüsse vorbereiten soll, welche der "Lösung der Judenfrage in der Kirche" dienen. "Die Tagung schloss mit einem Heilgruß an den Führer und Kanzler des Reiches." Auch wenn über die inhaltlichen Argumente der Bekennenden Kirche nur wenig berichtet wird, werden die Probleme der Spaltung benannt. Die DC warnen vor den Folgen für die Stellung der Kirche im Staat.
Eines der Themen, das die Zeitung über einige Monate beschäftigte, war die Zukunft des Saargebietes. Das französisch besetzte Land sollte 1935 abstimmen, zu welchem Staat (Frankreich oder Deutschland) es zukünftig gehören wolle. Mit großer Mehrheit wurde für den Wiederanschluss an Deutschland gestimmt, was mit dem 1. März 1935 vollzogen wurde.
Fundstücke
Flaggen: Die "Nationalsynode" beschließt mit einem Gesetz, Kirchen- und Gemeindegebäude nur noch mit Flaggen des Reiches oder Bundeslandes zu schmücken. Die Kirchenfahne (weißer Grund, lila Kreuz) wird verboten.
Zu Gast: 1935 wird die Eisenacher Kurrende nach Berlin zum Auftritt anlässlich der Jahrfeier der Mitteldeutschen Industrie eingeladen. In einem langen Bericht wird über diese Reise euphorisch berichtet, und vor allem über einen Auftritt vor Adolf Hitler.
Martin Luther: Die Kirchenzeitung begrüßt, dass Walter Linden "Luthers Kampfschrift gegen das Judentum" 1935 veröffentlicht und kommentiert hat. Das Werk enthält einen vollständigen Abdruck von Luthers Schrift "Von den Juden und ihren Lügen" von 1543.
Testen Sie Ihr Wissen zur Geschichte der G + H im Online-Quiz:
100jahre-quiz.de
Autor:Online-Redaktion |
Kommentare
Sie möchten kommentieren?
Sie möchten zur Diskussion beitragen? Melden Sie sich an, um Kommentare zu verfassen.