DDR-Kirchenverluste # 3
Die Nikolaikirche Chemnitz
In der DDR wurden bis 1988 rund 60 Kirchen auf staatlichen Druck gesprengt. Die wohl bekannteste von ihnen war die Paulinerkirche Leipzig – auch Universitätskirche St. Pauli genannt – im Jahr 1968. Die Serie ruft verlorengegangene Sakralbauten in Mitteldeutschland und darüber hinaus in Erinnerung.
Die Nikolaikirche war eine der ältesten Kirchen in Chemnitz. Sie wurde bei dem britischen Luftangriff am 5./6. März 1945 schwer beschädigt, die Ruine bis 1948 – also noch in der Zeit der Sowjetischen Besatzungszone – gesprengt.
Vorgeschichte
In der Mitte des 12. Jahrhunderts siedelten Fernhändler in der Nähe der Chemnitzfurt und errichteten ihrem Schutzpatron Nikolaus zu Ehren eine hölzerne Kapelle. Am Fuße des Kapellenberges entwickelte sich dann gleichzeitig mit dem Fernmarkt ein Nahmarkt. 1331 wird in einer Urkunde der Nikolaikirch-Innenhof bezeugt, der Versammlungsort für die Landgemeinden war.
Die 1486 neu erbaute Nikolaikirche brannte 1532 ab und wurde 1550 erneut wieder aufgebaut. Die Kirche wurde im Jahr 1789 letztmals erneuert. Da sie sich bis zum 1. April 1844 – der Eingemeindung der Niklasgasse als Nikolaivorstadt nach Chemnitz – vor den Mauern der Stadt befand, war sie kriegerischen Auseinandersetzungen schutzlos ausgesetzt. Mit der Eingemeindung 1844 wurde St. Nikolai zur städtischen Kirchgemeinde.
Die Notwendigkeit eines neuen und größeren Kirchgebäudes war bekannt, da die alte Kirche nicht nur zu klein, sondern auch baufällig war. Doch überraschenderweise wurde die Kirche am 20. Januar 1882 baupolizeilich gesperrt – weder ein Abschiedsgottesdienst noch ein letztes Geläut waren möglich. Die Nikolaigemeinde nutzte gastweise die nahegelegene Paulikirche. Ab 24. November 1884 bis Jahresende 1884 wurde die alte Kirche abgerissen.
Geschichte
An historisch gleicher Stelle begann im Herbst 1885 mit der Fundamentierung des neuen Kirchgebäudes, am 28. April 1886 war Grundsteinlegung. Die Glockenweihe fand am 12. September 1887 statt, die Kirchweihe am 7. März 1888.
Mit 750 Plätzen bot sie 250 Plätze mehr als ihr Vorgängerbau. Das Gotteshaus wurde vom Architekten Christian Gottfried Schramm aus Dresden als neugotische Hallenkirche entworfen – und diente ihm von da an als Referenzobjekt für weitere Kirchenbauten.
Zwei Jahre nach ihrer Vollendung erhielt die Nikolaikirche 1890 ihren schönsten äußeren Schmuck: fünf Statuen über dem Portal. Die Darstellungen von Christus und den vier Evangelisten waren ein Geschenk des Königlich-Sächsischen Ministeriums des Inneren aus den Mitteln des Kunstfonds. Die Ausführung der Statuen schufen im Auftrag des Akademischen Rat in Dresden den dortigen Bildhauern Rudolph Hölbe und Eppler.
Den Innenraum der Kirche schmückten die figürlichen Farbverglasungen, die nach Entwürfen des Dresdner Historienmalers Anton Dietrich von E. Beck in Herrnhut entworfen und von dem Dresdner Glasmaler Bruno Urban (1851–1910) ausgeführt wurden. Das Altarrelief mit dem Motiv des heiligen Abendmahls stammt von dem Dresdner Bildhauer Oskar Rassau, geschnitzt wurde es von A. Trache in Dresden.
Die neu erbaute Kirche diente – ebenso wie ihre Vorgängerin – Generationen regelmäßig zum Gottesdienst sowie zu Ostern, Pfingsten und Weihnachten als Stätte festlicher Begegnung. Sie war vertrauter, heimatlicher Ort für Taufe und Konfirmation, für Trauung und Heimgang Hunderter Bürger von Chemnitz. Sie war steinerne Stätte der Gemeinsamkeit, für Hoffnung und Zuversicht, für Freude und Leid.
Zweiter Weltkrieg und danach
Fast 57 Jahre nach ihrer Weihe wurde sie bei den angloamerikanischen Luftangriffen vom 5. März 1945 getroffen und schwer beschädigt. Wie wohl jede andere Kirchgemeinde mit selbem Schicksal wünschten sich die Christen in Chemnitz das Wiedererstehen ihrer Kirche.
Doch es blieb ein frommer Wunsch. Offenbar gab es bei der Entscheidung zum Abriss politischen Druck: Laut Informationen zu Chemnitz auf der Internetseite kirchensprengung.de „sprengten die Verantwortlichen der SED vier Kirchenbauten, die die verheerenden Bombardements teilbeschädigt überstanden hatten.“ Nach der Sprengung des Kirchturms 1948 wurde die letzten Bauwerksreste beseitigt und der Standort eingeebnet.
Gegenwart
Das frühere Kirchgelände gehört heute zu einem benachbarten Pflegeheim, das zuvor ein Hotel war. Informationstafeln erinnern an die Kirche, deren Fläche nicht öffentlich zugänglich ist. Heute nutzt die Kirchgemeinde St.-Nikolai-Thomas auf dem Nikolaifriedhof in Chemnitz-Altendorf die als Kirche geweihte, einstige Kapelle.
Koordinaten: 50° 49′ 41,8″ N, 12° 54′ 57,2″ O
Nächste Folge: Kollegienkirche Jena
Quelle:
(dort auch Verzeichnis der Autoren; Textnutzung entsprechend Creative Commons CC BY-SA 4.0)
Abbildung:
Nikolaikirche Chemnitz um 1900, gemeinfrei, CC-BY-SA 4.0, https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Chemnitz,_Sachsen_-_Nikolaikirche_(Zeno_Ansichtskarten).jpg
Autor:Holger Zürch |
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