Bonhoeffer und seine Theologie
Licht sein im Zwielicht

- Gedenktafel für Dietrich Bonhoeffer an der St. Matthäuskirche im Berliner Stadtteil Tiergarten
- Foto: epd-bild / Marko Priske
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Dietrich Bonhoeffer (1906-1945) predigte die Gegenwart Christi in der Welt. Seine Theologie hat weit über die Grenzen der Kirche hinaus gewirkt, besonders durch seine Verbindung von christlichem Glauben und politischer Verantwortung.
Von Florian Höhne
Von guten Mächten treu und still umgeben, behütet und getröstet wunderbar«. Hinter diesem vielfach vertonten, vielfach gehörten und vielfach, gerade bei Beerdigungen, gesungenen Lied steht ein akademischer Theologe und Widerständler, der jüngst wieder in die Schlagzeilen kam: Dietrich Bonhoeffer. Im Widerspruch zu Bonhoeffers Werk vereinnahmten Christliche Nationalisten in den USA ihn im vergangenen Jahr für ihre Sache; in den amerikanischen Kinos erschien ein Film, dessen Plakat den christlichen Pazifisten Bonhoeffer mit einer Waffe in der Hand zeigte. Nun läuft der Film – ohne diese missbrauchende Werbekampagne – in deutschen Kinos. Eines spielte in der nationalistischen Vereinnahmung und auch in dem streitbaren Film kaum eine Rolle: die Theologie, die der in Berlin promovierte und habilitierte Theologe Bonhoeffer vertreten hat.
Was hat Bonhoeffer theologisch gedacht?
Die Antwort lässt sich nicht auf einen kurzen, einfachen Satz oder ein Motto bringen: Bonhoeffers Theologie ist vielschichtig. Gerade der junge Bonhoeffer hat sich mit der Philosophie seiner Zeit auseinandergesetzt, auf komplexe Weise. Das Werk des späten Bonhoeffer ist teilweise Fragment geblieben. Die Literatur zu Bonhoeffer, zu seinen Gedanken zur Soziologie der Kirche, zum Schriftverständnis, zur Friedens-, Verantwortungs- und Widerstandsethik und nicht zuletzt zu seiner Frage nach einem »religionslosen Christentum« füllt Bibliotheken. Und Bonhoeffers Theologie hat sich entwickelt: Er ist wesentlichen Gedanken treu geblieben, aber er hat sich auch von Lebenserfahrungen bewegen lassen. Um in aller Unabgeschlossenheit einen Einblick in Bonhoeffers Theologie zu geben, greife ich einige Gedanken heraus, die mir aus der Ethik kommend besonders wichtig scheinen.
Widerstand für Entrechtete
Nachdem die Nationalsozialisten 1933 in Deutschland die Herrschaft übernommen und begonnen hatten, sich alle Gesellschaftsbereiche zu unterwerfen und Jüdinnen und Juden zu entrechten, sprach Bonhoeffer sehr früh über Widerstand – und zwar nicht nur um der Kirche und ihrer Selbstständigkeit, sondern auch um der Entrechteten außerhalb der Kirche willen. Schon in dem Text »Die Kirche vor der Judenfrage« von 1933 wendet sich Bonhoeffer gegen Totalitarismus und antisemitische Maßnahmen des Staats. Der Text enthält einige hochproblematische Gedanken, etwa zur »Judenmission«. Gleichzeitig lässt er sich verstehen als klares und frühes Eintreten gegen die staatliche Entrechtung von Jüdinnen und Juden.
Bonhoeffer bejaht darin den »Staat als Erhaltungsordnung Gottes«. Gerade das beinhaltet bei ihm aber, dass die Kirche um die Aufgabe des Staats weiß, an deren Erfüllung sie ihn erinnern soll, nämlich: »Recht und Ordnung« zu schaffen – und zwar weder zu viel noch zu wenig davon: Zu viel Recht schafft der Staat, wo er totalitär in die kirchliche Verkündigung hineinregiert, zu wenig, wo er einer Gruppe grundlegende Rechte nimmt, wie es damals und in der Folgezeit mit Jüdinnen, Juden und anderen Gruppen geschah. Deutlich formuliert er, dass die Kirche nicht nur für ihre eigenen Mitglieder verantwortlich ist: »Die Kirche ist den Opfern jeder Gesellschaftsordnung in unbedingter Weise verpflichtet, auch wenn sie nicht der christlichen Gemeinde zugehören.«
Neben dieser Verpflichtung zur Sorge deutet Bonhoeffer schon 1933 in diesem Text die Möglichkeit des aktiven Widerstands an. Die Kirche habe nicht nur den Staat verantwortlich zu machen und »Dienst an den Opfern« zu leisten, sie könne auch »dem Rad selbst in die Speichen fallen«, wenn der Staat seine Aufgabe partout nicht erfüllt.
Frieden
Zu diesem Einsatz für Entrechtete kommt eine Orientierung an dem, was Frieden schafft. Zwar hat Bonhoeffer noch als Vikar eine hochproblematische Ordnungstheologie vertreten, in deren Logik es liegt, auch das Töten im Krieg theologisch zu bejahen. Er hat sich dann aber bald und bleibend für den Frieden ausgesprochen und in der Ökumene engagiert. Frieden sieht er nun als Gebot Gottes.
Besonders deutlich formuliert er diesen Gedanken, als die nationalsozialistische Herrschaft in Deutschland erstarkt und er die Kriegsgefahr wieder näher rücken sieht. In einem Beitrag zu einer ökumenischen Weltkonferenz im dänischen Fanø im August 1934 heißt es: »Friede soll sein, weil Christus in der Welt ist.« In der Kirche Christi sind Bonhoeffer zufolge die Zugehörigkeiten von Menschen zu unterschiedlichen Völkern und Nationen zwar »nicht gleichgültige, aber vor Christus auch nicht endgültige Bindungen«. In Christus ist danach das überwunden, was Nationen gegeneinander aufbringt – deshalb versteht Bonhoeffer Christus als Gebot zum Frieden. In der konkreten Situation 1934 ruft Bonhoeffer die Versammelten in Fanø auf, sich als ökumenisches Konzil zu verstehen und unüberhörbar zum Frieden zu rufen. Der Ruf blieb unbeantwortet.
Auch wenn es danach klingen mag: Bonhoeffer war mit diesen Äußerungen kein prinzipieller oder radikaler Pazifist, wie der Theologe Wolfgang Huber zurecht betont hat: Bonhoeffer lehnte Gewalt nicht um jeden Preis ab, gerade nicht um den Preis, dass ein Unrechtstäter siegen könnte; ihm ging es um den »Vorrang der Gewaltfreiheit«.
Teure Gnade
Spätestens seit 1932 spielte die Bergpredigt eine wichtige Rolle für Bonhoeffer. Während Bonhoeffer zwischen 1935 und 1937 auf dem Zingsthof und in Finkenwalde künftige Pfarrer für die Bekennende Kirche ausbildet, arbeitet er an Auslegungen, die er 1937 in dem Buch »Nachfolge« veröffentlicht. Durch seine Auslegungen zieht sich die Bemühung, den Ruf Jesu, die Gebote und Orientierungen der Bergpredigt ernst zu nehmen und nicht abzuschwächen.
Dabei nimmt er auch eine Unterscheidung vor, die immer wieder als Schlagwort verwendet wird: die Unterscheidung von teurer und billiger Gnade. Unter billiger Gnade versteht er »Vergebung ohne Buße«, »ohne Nachfolge«, also ohne Veränderung des eigenen Lebens, der eigenen Gewohnheiten und Handlungsweisen: »Billige Gnade heißt Rechtfertigung der Sünde und nicht des Sünders.« Dagegen setzt er die teure Gnade als eigentliche christliche Botschaft, auch als eigentliche Botschaft Martin Luthers.
Teuer ist die Gnade zunächst, »weil sie Gott teuer gewesen ist, weil sie Gott das Leben seines Sohnes gekostet hat«; teuer ist sie dann, weil für Christen eben nicht »alles beim Alten« bleibt. Bonhoeffer betont damit, dass sich das Leben von Christen von der Welt, in der sie leben, unterscheiden kann und wird. Worin soll dieser Unterschied bestehen? Bonhoeffers erste Antwort liegt in der Nachfolge selbst, in seiner Auslegung der Bergpredigt, die den Ruf Jesu in dieser Predigt ernst nehmen will: den Ruf, Christus nachzufolgen.
Eine Christuswirklichkeit
Diese Orientierung an Jesus Christus zieht sich weiter, als Bonhoeffer 1940 beginnt, an einer »Ethik« zu arbeiten – eine Arbeit, die er nicht abschließen konnte, weil er 1943 verhaftet wurde. Die Fragmente zur Ethik sind damit in anderen Zeiten entstanden als die »Nachfolge«: Hitler hatte den Krieg begonnen, der zum Zweiten Weltkrieg wurde. Bonhoeffer arbeitet nicht mehr im Predigerseminar, sondern hat reichsweit Redeverbot; er geht in den konspirativen Widerstand, hilft in der Militärischen Abwehr dem Widerstand.
Vor diesem Hintergrund entstehen die Ethikfragmente. Darin soll die »Christuswirklichkeit« im Mittelpunkt stehen, nicht Normen, Prinzipien oder Werte, sondern Gottes Offenbarung in Jesus Christus. In Christus habe Gott die Welt mit sich versöhnt, sagt er. Mit dieser Christuswirklichkeit zu rechnen, ihr zu entsprechen, an ihr Anteil zu haben – darum soll es gehen. Diese Zentralisierung von Christus zog sich schon vorher wie ein roter Faden durch Bonhoeffers theologisches Denken.
Das klingt abstrakt, hat aber sehr konkrete Konsequenzen für die Ethik, die Bonhoeffer selbst zieht. Mit diesen Gedanken widerspricht er nämlich einem Denken in zwei Räumen, das den vermeintlich heiligen, sakralen Raum der Verkündigung unterscheidet von dem Raum der profanen, rauen Welt – nach dem Motto: Für die christliche Liebe gibt es einen eigenen Raum (innerer) Frömmigkeit, und in der Welt tue ich unberührt davon meine Pflicht, auch wenn sie grausam ist. Dagegen stellt Bonhoeffer, dass Gott in Christus gerade die Welt angenommen, gerichtet und versöhnt hat, sodass man nicht anders Christ sein kann als in dieser Welt – aber es eben auch in dieser Welt ist und nicht im frömmelnden Rückzug aus ihr: »Ganz Christus angehörend steht er zugleich ganz in der Welt.«
Verantwortung
Noch klarer und konkreter wird das, wenn Bonhoeffer in der Ethik von Verantwortung spricht. Verantwortung ist für Bonhoeffer einerseits Antwort auf die Christuswirklichkeit – ein Gedanke, den er von dem Schweizer Theologen Karl Barth übernommen hat. Es ist eine Antwort, die man nicht ein bisschen oder teilweise gibt, sondern mit dem ganzen Leben. Andererseits betont der Verantwortungsbegriff bei ihm, dass der Einzelne nicht als Isolierter handelt, sondern immer schon in Beziehungsnetzen lebt, in denen Einzelne für andere verantwortlich sind. Von dem, was jemand tut, sind immer auch seine Verwandten und Freunde betroffen – deshalb ist man nie nur für sich verantwortlich. Verantwortlich handeln heißt dann nicht, blind Gesetzen zu gehorchen oder allgemeine Prinzipien anzuwenden, sondern aus Verantwortung für den »konkreten Nächsten, wie er mir von Gott gegeben ist«, zu handeln.
Verantwortlich handeln heißt dann zwischen unvollkommenen Handlungsoptionen abzuwägen und die Entscheidung für die relativ bessere zu wagen – aus Verantwortung für den Nächsten; es heißt im »Zwielicht« dieser Welt wirklichkeitsgemäß handeln – und nicht das absolut Gute umzusetzen. Gerade das abwägende Handeln im Dienste des (schwächeren) Nächsten erscheint für Bonhoeffer so als Antwort auf die Christuswirklichkeit. Das zeigt sich besonders an dessen Extremfall, der für den Widerständler hochrelevant gewesen sein muss, der Fall der Schuldübernahme.
Schuldübernahme
Auch der Widerstandskämpfer Bonhoeffer der 1940er-Jahre bleibt am Frieden orientiert. Wenn er in den Ethik-Fragmenten darüber nachdenkt, dass angesichts der Bedrohung von Leben der Einsatz von Gewalt ausnahmsweise nötig sein kann, dann betont er im gleichen Atemzug, dass diese Gewalt nicht zum neuen Prinzip werden dürfe, also nicht prinzipiell gerechtfertigt sei. Wer sich wie er und seine Freunde im militärischen Widerstand an einer Mordverschwörung gegen den Tyrannen Hitler beteiligt, lädt trotzdem Schuld auf sich. Auch damit dämmt er Gewalt ein, dass er selbst diesen Fall als Schuld sieht, auch als Schuld vor Gott als einzigem Richter. Zur Schuld betont Bonhoeffer dann, dass die »Bereitschaft zur Schuldübernahme« zum verantwortlichen Leben gehöre.
Weil Jesus Christus für die menschliche Schuld »eingetreten« sei, deshalb könne Verantwortung auch bedeuten, aus Liebe zum Nächsten schuldig zu werden. Es geht – in anderen Worten gesagt – beim verantwortlichen Handeln nicht darum, mit weißer Weste aus diesem Leben zu kommen, sondern darum, dass gerade die aus Verantwortung übernommene Schuld von Christus getragen ist. Es passiert, dass verantwortlich Handelnde aus Liebe Schuld auf sich laden – so Bonhoeffers Gedanke –, und gerade dabei hoffen sie auf Gottes Gnade.
Christus
Über all diese theologisch(-ethischen) Gedanken hinaus haben schon früh die Briefe und Gedichte bewegt, die Bonhoeffer aus dem Gefängnis geschrieben hat, etwa das berühmte Gedicht »Von guten Mächten«. Hier denkt er auch über die religionslose Zeit und die Zukunft der Kirche nach. Dabei formuliert er eine Frage, die sich als roter Faden seiner Theologie sehen lässt; eine Frage, die bei aller Strittigkeit auch heute eine anregende Relevanz hat. In einem Brief an seinen Freund Eberhard Bethge schreibt Bonhoeffer: »Was mich unablässig bewegt, ist die Frage, was das Christentum oder auch wer Christus heute für uns eigentlich ist.« Nicht, wie weit man gehen darf, wie die Christlichen Nationalisten fragten. Nicht, welche religiösen Bedürfnisse Kirche erfüllen könnte. Nicht, wie man das private Glück absichert gegen alles Fremde, Neue oder Überraschende.
Sondern diese Frage: Wer ist Christus für uns heute eigentlich? Christus ist der Ruf zum Frieden, sagte Bonhoeffer, der Ruf zum Leben in Nachfolge, zur Verantwortung für den konkreten Nächsten, zu einer Verantwortung, die auch die Möglichkeit beinhaltet, aus Liebe Schuld auf sich zu laden. Christus ist die Versöhnung Gottes mit der Welt. Wer ist Christus für uns heute eigentlich?
Der Autor ist Professor für Medienkommunikation, Medienethik und Digitale Theologie an der FAU Erlangen und Vorsitzender der deutschsprachigen Sektion der Internationalen Bonhoeffer-Gesellschaft.
Autor:Online-Redaktion |
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