Entmachtung der Stasi vor 35 Jahren
Weißer Rauch bei der Stasi

Erfurt, 1989: Der 4. Dezember 1989 ist für die Friedliche Revolution in der DDR ein markantes Datum. Zum ersten Mal besetzten Bürgerrechtler eine Behörde der DDR-Staatssicherheit. Die Initiative ging von couragierten Frauen aus, die damit Geschichte machten.  | Foto:  epd-bild / Rolf Zöllner
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Gestürmt und gesichert: Im Januar 1990 hatten Tausende Protestierende vor der Stasi-Zentrale in Berlin-Lichtenberg das Ende der DDR-Geheimpolizei eingeläutet. Welche Rolle die Kirchen spielten und was bleibt.

Von Bettina Röder

„Diese Geschichte holt einen immer wieder ein“, sagt David Gill. Als Generalkonsul war er in den USA so manches Mal Gast an Gymnasien, Universitäten und Hochschulen. Das Interesse der jungen Leute an seinen Erfahrungen bei der Friedlichen Revolution in der DDR habe ihn immer wieder überrascht.

Sein zentrales Thema dabei war, wie man Demokratie mit friedlichen Mitteln erkämpfen kann und welch kostbares Gut sie ist. Nicht selten, sagt er, waren 300 junge Menschen im Saal. „Ich habe immer gespürt, wie sie diese Geschichte fasziniert und wie sie über ihren eigenen Zugang zu Politik und Gesellschaft nachgedacht haben“, so der Diplomat und Bürgerrechtler. Schmunzelnd fügt er hinzu: „Insofern lohnt sich das, selbst in den USA.“

Eine der folgenreichsten Entscheidungen in der Geschichte

In diesen Januartagen 2025 ist David Gill, der seit August Deutschlands Botschafter in Irland ist, an seine frühere Wirkungsstätte Berlin zurückgekehrt. Auf dem Campus Demokratie in der Normannenstraße wird an die Besetzung der Stasi-Zentrale am 15. Januar vor 35 Jahren erinnert. Er sitzt im Podium. Der Sohn des früheren Herrnhuter Bischofs Theodor Gill war damals 23 Jahre alt und Vorsitzender des Bürgerkomitees zur Auflösung der MfS-Zentrale in Berlin.

Einige tausend Demonstranten stürmten am 15. Januar 1990, vorbei an Volkspolizisten, in Richtung der Zentrale des Ministeriums für Staatssicherheit (Stasi) in der Normannenstraße in Berlin. | Foto:  epd-bild / Rolf Zöllner
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Am zentralen Runden Tisch der DDR tobte damals beim Thema Stasi-Auflösung ein erbitterter Kampf. Immer wieder versuchten die Vertreter von PDS/SED, die Stasi mit neuem Namen über die Zeit zu retten und ihre Hinterlassenschaft vor der Öffentlichkeit zu verbergen. Doch die Besetzung der Kreis- und Bezirksstellen, die zum Teil noch schwer bewaffnet waren, blieb friedlich. Ein in der europäischen Geschichte einmaliger Vorgang.

In Zeiten von Hass und Gewalt daran zu erinnern, dass selbst dann, wenn einem so viel Unrecht widerfahren ist, Gewaltlosigkeit siegen kann, sei etwas, das in die Zukunft weist, sagt David Gill „Die wollten uns ins Abseits stellen, entmachten, selbst vom Bürgerkrieg war die Rede“, sagt er und lässt keinen Zweifel daran, dass zu diesem Geist der Gewaltlosigkeit maßgeblich die Kirchen beigetragen haben. Wer die Geschichte der Stasi-Besetzungen studiert, wird an der besonderen Rolle ihrer engagierten Menschen nicht vorbeikommen.

Erfurt, 1989: Der 4. Dezember 1989 ist für die Friedliche Revolution in der DDR ein markantes Datum. Zum ersten Mal besetzten Bürgerrechtler eine Behörde der DDR-Staatssicherheit. Die Initiative ging von couragierten Frauen aus, die damit Geschichte machten.  | Foto:  epd-bild / Rolf Zöllner
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Zum Beispiel Jörn Mothes. Er ist heute Abteilungsleiter im Schweriner Umweltministerium. Der Umweltschutz und die Erinnerungsarbeit haben ihn nie losgelassen: „Weil sie so wichtig für die Zukunft sind.“ Nachdem er 1989 im Sommer sein Theologiestudium in Jena abgeschlossen hatte, kehrte er im September von einem Projekt in Nicaragua in die DDR zurück. „Ich wollte nicht abseitsstehen“, sagt er.

Da war es für ihn naheliegend, dass er sich für die Stasi-Auflösung engagierte. Mit seinem Freund Michael Beleites, den er bei dessen Recherchen zum Uranabbau in der DDR begleitet hatte, hatte er so manche Stasi-Repressalie erlebt. „Wir wollten da rein, um das alles über unsere Geschichte und unser Leben festzuhalten.“

Angestellt war er damals bei der evangelischen Martin-Niemöller-Gemeinde in Jena. „Das war eine politische Gemeinde, die Stasi-Auflösung war für sie wichtig.“ Über den Pfarrkonvent bekam er den Auftrag, im 18-köpfigen Bürgerkomitee bei der Entmachtung der Bezirksstelle Gera mitzuarbeiten. Neben dem Geraer Pfarrer Roland Geipel und Michael Beleites von der kirchlichen Umweltbewegung sowie Vertretern der neuen Parteien und Initiativen saßen dort die alten Kader.

Keine Gnade: Die Transparente der Demonstranten waren mit eindeutigen Botschaften versehen. Ein Schild lehnt an der Hauswand der Stasi-Zentrale. Es ist mit einem Galgen und der Aufschrift "Für Erich H. und M." versehen. Gemeint waren damit wohl der Staatsratsvorsitzende Erich Honecker und der Stasi-Chef Erich Mielke. | Foto:  epd-bild / Rolf Zöllner
  • Keine Gnade: Die Transparente der Demonstranten waren mit eindeutigen Botschaften versehen. Ein Schild lehnt an der Hauswand der Stasi-Zentrale. Es ist mit einem Galgen und der Aufschrift "Für Erich H. und M." versehen. Gemeint waren damit wohl der Staatsratsvorsitzende Erich Honecker und der Stasi-Chef Erich Mielke.
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Jörn Mothes erinnert sich an die 1 500 Räume der Stasi-Mitarbeiter im DDR-Neubaublock der Geraer Stasi-Bezirksverwaltung. Unvergessen sind ihm die 1 500 kleinen Kaffeemaschinen, die alle gleich aussahen in gelb, rosa, weiß, erzählt er lachend. Beim Thema Waffen wird er erst. Jeder Stasi-Mitarbeiter habe damals noch drei Waffen gehabt. „Es war eine Zeit höchster seelischer Anspannung“, sagt er.

Dann lenkt er den Blick auf Entscheidendes: „Wir wollten verstehen, was sie getrieben hat.“ Michael Beleites hatte ihn darin bestärkt: Mit dem Gegenüber, auch dem Feind im Gespräch bleiben. Das habe er aus dem Theologiestudium mitgenommen. 1986 sei er bewusst nach Jena gegangen – zu Professor Klaus-Peter Hertzsch, dem Praktischen Theologen. Dort habe er viel über Gesprächstherapie und über Konflikt-Gespräche erfahren. „Da haben wir das Gespräch mit Andersdenkenden, auch mit Feinden, gelernt.“ Bis heute ist das für ihn ein hohes Gut, das zur Versöhnung führt. Mit anderen, aber auch mit sich selbst.

Am 5. Dezember 1989 besetzten tausende Demonstranten friedlich die Stasi-Zentralen in Erfurt, Dresden und Leipzig. Am gleichen Tag zog eine kleine Gruppe in Eberswalde zur Stasi-Kreisdienststelle. „Es war noch nicht dunkel“, erinnert sich Matthias Gürtler, „wir sahen, dass aus dem Schornstein Rauch aufstieg, und sagten uns, wir müssen jetzt loslegen, die verbrennen Akten“, so der damals 36-jährige Theologe, der maßgeblich an der Besetzung einer der ersten der DDR-weit über hundert Stasi-Dienststellen beteiligt war.

Das Leben der Anderen: Auf seinem Transparent zeigt einer der Demonstranten, was er im Januar 1989 in seinem Wohnzimmer hinter einer Holzverkleidung fand - eine Stasi-Wanze, bestehend aus Antenne, Sender, Mikro und 30-Volt-Gleichrichter. | Foto:  epd-bild / Rolf Zöllner
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Mit seinem Wartburg blockierte er die Ausfahrt, schnell fanden sich Mitstreiter. Die meisten kamen aus der evangelischen Gemeinde, andere von den Baptisten. Geduldig und hartnäckig forderten sie Zugang. Acht Mutige betraten schließlich die gefürchteten Räume, andere blieben zum Schutz draußen am Zaun - darunter auch Leopold Esselbach, damals Superintendent von Eberswalde.

Das Bild drinnen: leere Regale, leere Schreibtische. Ganz anders dagegen in der Waffenkammer: jede Menge Pistolen, Sturm- und Maschinengewehre Marke Kalaschnikow. „Ich kenne euch“, war der erste Gedanke des Pfarrerssohns, der nach seiner Schulzeit völlig unvorbereitet für 18 Monate zur Bereitschaftspolizei eingezogen worden war. Da hat er bei so mancher Übung erlebt, wie brutal der SED-Staat mit Demonstranten umgehen würde.

Beim Anblick der Waffen stand für ihn fest: „Die haben noch die Macht. Wenn einer hier durchdreht, wird es furchtbar.“ Da war aber auch noch diese Gewissheit: Ich kann mit meinem christlichen Verständnis etwas bewirken. Gewaltlosigkeit gehört dazu wie Hartnäckigkeit und ein offenes Zugehen auf den Feind. Die friedlich besetzten Räume wurden schließlich von der Generalstaatsanwaltschaft in Frankfurt/Oder versiegelt.

Ab Januar war die DDR-Bezirksstadt für ihn ein ständiges Ziel. Wie auch das von Justus Werdin, den jungen Pfarrer in Greiffenberg. Beide waren von ihrem Superintendenten gebeten worden, beim Bürgerkomitee zur Stasi-Auflösung mitzuarbeiten. So saßen sie in einem 30-köpfigen Gremium und erlebten, wie die alten Kader mit Drohungen und fragwürdigen Zusagen die Stasi-Auflösung so lange wie möglich zu verhindern suchten.

Als es Akten "regnete": Unter dem Druck der Protestanten öffneten sich die Tore der Stasi-Zentrale in Berlin. In Folge kam es zur erstmaligen umfassenden Öffnung von Akten. | Foto: epd-bild / Rolf Zöllner
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Justus Werdin hatte gemeinsam mit seiner Frau, der Architektin und späteren Bürgermeisterin Inken Werdin, die Besetzung der Stasi-Kreisdienststelle in Angermünde gewaltlos erstritten. Dazu hatten sie sich zunächst allein in Begleitung eines Polizisten Zutritt zu den Räumen verschafft. Bald waren es hunderte, die sich beteiligten: mit Kerzen und Mahnwachen, viele aus dem Kirchenchor dabei. Die Stasi setzt auch hier auf Zeitgewinn und Zermürbung. Alte Angst kommt hoch. Doch mit uckermärkischer Geduld bleiben sie dran. „Die Offenheit der sonst verschlossenen Menschen auf der Straße, das war das Schönste, vielleicht ein Erfolg“, notiert Justus Werdin. Dann die Begehung mit dem Staatsanwalt. „Sehr zivilisiert zieht die Schlange durchs Haus“, erinnert er sich. Die Aktenordner sind leer, nur die Waffenkammer nicht.

„Fürchte Dich nicht!“ - sein Motto der revolutionären Tage aus dem Jesaja-Brief - hat Justus Werdin seinen Töchtern mit auf den Lebensweg gegeben. Bis heute engagiert er sich für deutsch-polnische Versöhnung. Als exzellenter Kenner des Nachbarlandes weiß er, welche Verwerfungen es dort gab, weil die Akten des Geheimdienstes in Polen nie gesichert wurden.

Erfurt, 1989: Der 4. Dezember 1989 ist für die Friedliche Revolution in der DDR ein markantes Datum. Zum ersten Mal besetzten Bürgerrechtler eine Behörde der DDR-Staatssicherheit. Die Initiative ging von couragierten Frauen aus, die damit Geschichte machten.  | Foto:  epd-bild / Rolf Zöllner
Einige tausend Demonstranten stürmten am 15. Januar 1990, vorbei an Volkspolizisten, in Richtung der Zentrale des Ministeriums für Staatssicherheit (Stasi) in der Normannenstraße in Berlin. | Foto:  epd-bild / Rolf Zöllner
Als es Akten "regnete": Unter dem Druck der Protestanten öffneten sich die Tore der Stasi-Zentrale in Berlin. In Folge kam es zur erstmaligen umfassenden Öffnung von Akten. | Foto: epd-bild / Rolf Zöllner
Das Leben der Anderen: Auf seinem Transparent zeigt einer der Demonstranten, was er im Januar 1989 in seinem Wohnzimmer hinter einer Holzverkleidung fand - eine Stasi-Wanze, bestehend aus Antenne, Sender, Mikro und 30-Volt-Gleichrichter. | Foto:  epd-bild / Rolf Zöllner
Keine Gnade: Die Transparente der Demonstranten waren mit eindeutigen Botschaften versehen. Ein Schild lehnt an der Hauswand der Stasi-Zentrale. Es ist mit einem Galgen und der Aufschrift "Für Erich H. und M." versehen. Gemeint waren damit wohl der Staatsratsvorsitzende Erich Honecker und der Stasi-Chef Erich Mielke. | Foto:  epd-bild / Rolf Zöllner
Kerzen und Chaos: Im Gebäude des MfS bot sich den Demonstranten ein Bild der Verwüstung - aufgebrochene und wüstete Räume, eingeschlagene Fenster, versprühte Feuerlöscher und zerrissene Akten. | Foto:  epd-bild / Rolf Zöllner
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