Blickwechsel
Aufarbeitung hat gerade erst begonnen
Das Konterfei von Adolf Lüderitz prangt nach wie vor auf einem Gedenkstein auf der Haifischinsel im nach ihm benannten Ort Lüderitz im südlichen Namibia. Und das, obwohl an diesem Ort im Zuge des deutschen Kolonialkrieges gegen die Herero und Nama ein Konzentrationslager eingerichtet wurde, in welchem etwa die Hälfte aller Insassen elendig umkam.
von Thorsten Wettich
Während an anderen Orten in Namibia im Zuge der Dekolonisierung bereits Denkmäler von deutschen Soldaten und Staatsmännern entfernt wurden, blieb jenes bestehen, und es scheiterte auch eine Initiative, den Ort umzubenennen.
Adolf Lüderitz war ein Kaufmann aus Bremen, der Ende des 19. Jahrhunderts Land im heutigen Namibia erwarb. Mit dem nach ihm benannten „Lüderitzland“ wurde der Grundstein zur späteren Kolonie „Deutsch-Südwestafrika“ gelegt.
In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts hatten die europäischen Großmächte den afrikanischen Kontinent bereits weitgehend unter sich aufgeteilt. Im Zuge der deutschen Kolonisierung kam es zur sukzessiven Entrechtung der einheimischen Bevölkerung, die um ihr Land und ihren Besitz gebracht wurde. Als Folge dessen erhoben sich im Jahr 1904 zunächst die Herero und dann die Nama gegen die deutsche Kolonialherrschaft. Es sollte zu einem dreijährigen Krieg kommen. Die deutschen Truppen wurden aufgestockt und gingen äußerst aggressiv gegen die Aufständischen vor mit dem Ziel, diese gänzlich zu vernichten. Der Völkermord der deutschen Kolonialtruppen kostete etwa 60 000 Herero und 10 000 Nama das Leben.
Der Bundesrepublik Deutschland ist es sehr schwer gefallen, ihre historische Verantwortung für die Gräueltaten des Genozids anzuerkennen. Nachdem der damalige Bundestagspräsident Norbert Lammert (CDU) 2015 erstmals von einem Völkermord gesprochen hatte, kam es in den vergangenen Jahren zu Verhandlungen über ein Abkommen zwischen der Bundesregierung und der namibischen Staatsführung, das Entschädigungszahlungen von 1,1 Milliarden Euro vorsieht. Das Abkommen wurde umgehend von Teilen der Herero abgelehnt, während andere den Vertrag grundsätzlich begrüßten, jedoch eine höhere Entschädigungssumme forderten.
Damit es mit einer Aufarbeitung der Ereignisse vorangeht, geht es nicht nur darum, finanzielle Entschädigungen zu leisten. Vielmehr ist es auch notwendig, sich auf die spezifischen Erinnerungskulturen der Herero- und Nama-Gesellschaften einzulassen. Diese finden ihre Manifestation unter anderem im Herero-Tag, der an die Überführung des Leichnams von Samuel Maherero, der den Aufstand seit 1904 anführte, in dessen Stammsitz Okahandja erinnert.
Die Aufarbeitung der kolonialen Vergangenheit hat in Deutschland indessen erst begonnen. Aufgrund der Dominanz der Thematisierung des Natio-nalsozialismus sowie einer tendenziellen Romantisierung und Apologetik gegenüber der eigenen kolonialen Vergangenheit attestiert der Historiker Jürgen Zimmerer Deutschland eine „koloniale Amnesie". Um diese zu überwinden, wäre es ein guter Anfang, den Nachkommen der Opfergruppen zuzuhören und ihren spezifischen Erinnerungskulturen Raum zu verschaffen.
Der Autor ist Religionswissenschaftler an der Universität Bremen.
Autor:Online-Redaktion |
Kommentare
Sie möchten kommentieren?
Sie möchten zur Diskussion beitragen? Melden Sie sich an, um Kommentare zu verfassen.