Lesbos
"Es ist weit schlimmer als erwartet"
Uwe Heimowski ist Beauftragter der Deutschen Evangelischen Allianz im Bundestag. In der vergangenen Woche besuchte er die griechische Insel Lesbos und ihre Flüchtlingslager.
Welche Beweggründe gab es für Ihre Reise nach Lesbos?
Uwe Heimowski: Wir sind auf Einladung von Andrea Wegener nach Lesbos gereist, um uns ein Bild vor Ort zu machen. Sie ist die organisatorische Leiterin von Euro-Relief, zuständig für die Erstausstattung und Unterbringung der neu ankommenden Flüchtlinge. Sie hat über ihre Arbeit und die Zustände auf Lesbos das Buch „Wo die Welt schreit“ geschrieben.
Welche Situation fanden Sie dort vor?
Obwohl ich das Buch kannte, waren die Zustände doch noch weit schlimmer als erwartet. Im Camp Moria, nahe der Hauptstadt Mytilini, gibt es Platz für 3 000 Menschen - doch es sind 21 000, die hier Schutz suchen. Den Helfern bleibt nichts anderes übrig, als den Flüchtlingen ein dünnes Zelt in die Hand zu drücken, damit sie sich einen Platz auf den Olivenhainen suchen, die das eigentliche Camp umgeben. Es ist quasi ein Slum entstanden, ohne Strom und sanitäre Versorgung. Nachts, wenn der Wind vom Meer hereinweht, wird es bitterkalt.
Wie geht es den Menschen, die dort leben müssen?
Die Lage der Flüchtlinge ist verzweifelt. Sie stecken auf Lesbos in einer Sackgasse, die Verfahren ziehen sich in die Länge, die Behörden sind überfordert, es gibt zu wenig Dolmetscher oder auch Anwälte.
Besonders gefährdet sind Schwangere und Minderjährige. Nach geltendem Recht stünde ihnen eine gesonderte Unterbringung zu – doch es gibt keine Kapazitäten. Viele Minderjährige werden sexuell missbraucht oder als Drogenkuriere eingesetzt. Die Versorgung klappt einigermaßen, weil auf der Insel 90 Nichtregierungsorganisationen (NGO) tätig sind, die die völlig überforderten Behörden unterstützen.
Wie nahmen Sie die Lage der örtlichen Bevölkerung wahr, die in der vergangenen Woche aus Unmut streikte?
Die Insulaner haben die ersten Flüchtlinge noch sehr freundlich aufgenommen, ihnen nach alter griechischer Sitte Brot und Salz gereicht. Mittlerweile ist die Stimmung gekippt. Mytilini hat 27 000 Einwohner – und in der Nachbarschaft ist ein Slum mit 21 000 Flüchtlingen entstanden, ohne dass es eine entsprechende Infrastruktur gibt – weder Polizei noch Feuerwehr oder Ärzte wurden aufgestockt. Wie soll der Ort das verkraften? Allein die Olivenhaine werden Jahrzehnte brauchen, bis sie wieder aufgeforstet sind.
Der Generalstreik richtete sich gegen die Regierung. Bei einer Kundgebung von 6 000 Menschen vor dem Theater haben die Redner gefordert, die Flüchtlinge auf das Festland zu bringen. Nur: Auch dort gibt es zu wenig Unterbringungsmöglichkeiten.
Wie engagieren sich Christen auf der Insel für die Flüchtlinge?
Euro-Relief hat beispielsweise viele christliche Partnerorganisationen, wie das Hilfswerk GAIN aus Deutschland. Im vergangenen Jahr sind 11.000 Freiwillige nach Lesbos gekommen, um die Arbeit zu unterstützen. Sie verteilen Kleider, sammeln Müll ein, helfen, wo immer eine Hand gebraucht wird. Im Camp ist es verboten zu missionieren, sie leben ihren Glauben durch die praktische Tat. Das lässt aber viele Muslime ins Nachdenken kommen, sie interessieren sich für den Gott dieser Christen, die ihnen in der Not helfen. In einem Nachbarort gibt es das Begegnungszentrum Oasis, dort werden neben Sprachunterricht und Kinderbetreuung auch Bibelstunden und Gottesdienst angeboten. Hier haben wir einige Konvertiten getroffen, Ex-Muslime, die Christen geworden sind. Die Geschichte einer Iranerin hat mich besonders bewegt. Im Iran habe sie gehört, Frauen hätten nur ein „halbes Gehirn“ und dürften keine Fragen stellen, jetzt als Christin fühlt sich zum ersten Mal als vollwertiger Mensch.
Bringen Sie konkrete Forderungen von Ihrer Reise mit?
Die Europäische Union muss sich dringend auf einen Verteilungsschlüssel einigen und Flüchtlinge von Lesbos aufnehmen, insbesondere unbegleitete Minderjährige. Bis dahin ist es nötig, nicht nur Geld, sondern vor allem Fachleute auf die Insel zu schicken, die die griechische Campverwaltung unterstützen. Das eigentliche Camp muss vergrößert werden, damit wenigstens die am meisten verletzlichen Gruppen in Sicherheit untergebracht werden können. Die EU muss darauf dringen, dass die Zustände der türkischen Lager verbessert werden, damit die Menschen nicht den gefährlichen Weg über das Meer suchen. Doch der größte Appell: Die internationale Staatengemeinschaft muss alles tun, um in den Bürgerkriegsländern Afghanistan, Syrien oder Somalia Frieden zu schaffen und damit die Fluchtursache zu bekämpfen – fast 90 Prozent der Flüchtlinge stammen aus diesen Regionen.
Autor:Mirjam Petermann |
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