Corona-Virus in New York
Hoffnungszeichen setzen
Auf die Trauer wird die Freude folgen, das ist die Oster-Botschaft unserer Autorin, Pfarrerin der Deutschen Evangelisch-Lutherischen St. Pauls Kirche in New York.
Von Miriam Groß
Die flinken Hände meiner elfjährigen Tochter falteten routiniert die frisch gelieferten Palmzweige. Mit jeder Bewegung formte sich langsam ein kleines Palmkreuz zwischen ihren Händen. Leise summte sie dazu mit einem verträumten Gesichtsausdruck den Kanon „Meine Hoffnung und meine Freude“, der an Jes 12,2 angelehnt ist und in unserer deutschsprachigen New Yorker Gemeinde ein wichtiges liturgisches Element in der Kar- und Osterwoche darstellt.
Plötzlich hielt sie mitten in der Bewegung inne. „Mama, dieses Jahr können wir nicht mit anderen gemeinsam Ostern feiern.“ Ihr Gesicht fiel merklich zusammen. Ich verstand ihren Schmerz. Am Palmsonntag war ihr in den letzten Jahren die Aufgabe zugefallen, unseren Gemeindegliedern während der Kaffeestunde beim Falten der kleinen Palmkreuze zu helfen und damit die Karwoche einzuläuten. Mit einem Schlag war ihr diese so liebgewonnene Tätigkeit genommen worden.
Ob Jung oder Alt – die Pandemie hat unser gewohntes Leben wie in allen Ländern dieser Welt komplett auf den Kopf gestellt. Doch in New York kommt nun wie in China, Italien und Spanien eine bedrohliche Komponente hinzu: Die Megametropole hat sich in den letzten Tagen rasant zu einem der größten Krisengebiete entwickelt und mit ihr ist auch unsere kleine Gemeinde Chelsea stark betroffen.
Nachdem viele unserer Mitglieder weit verstreut über die drei Bundesstaaten New York, New Jersey und Connecticut verteilt wohnen, sind wir schon längere Zeit gezwungen, digitale Wege zu gehen: Für Vorbereitungen von Taufen und Trauungen wird schon länger eine digitale Meeting-Plattform genutzt. Auch die Kirchenratssitzungen sind aufgrund der weit voneinander entfernt lebenden Mitglieder oftmals digital. Die Diaspora-Situation unserer deutschsprachigen Gemeinde hat uns weiterhin zum Angebot eines digital stattfindenden Konfirmandenunterrichtes ermutigt. Daher traf uns die doch recht abrupte Umstellung auf eine komplett digitalisierte Gemeindearbeit nicht ganz so hart und führte zu einer Erweiterung um das Angebot eines Online-Gottesdienstes sowie regelmäßiger Abendandachten.
Mit dem Rückzug des gesellschaftlichen Lebens in den digitalen Raum geht eine fast gespenstische Verwandlung der Megametropole einher. Als ich vor fast sechs Jahren an den Big Apple zog, hätte ich mir nicht vorstellen können, dass die Stadt, die angeblich niemals schläft, fast zum Ruhen kommt. Es ist ein wenig, als ob New York der Lebenspuls fast genommen wurde, denn diese Stadt lebt von dem bunten und vielfältigen Treiben. Das Virus zwingt nicht nur zu einem fast unnatürlichen Innehalten, sondern bringt mit der exponentiell steigenden Anzahl an Erkrankungen und Todesfällen eine noch nie dagewesene Verunsicherung mit sich. Viele Gemeindeglieder äußern inzwischen, dass die Pandemie in ihren Auswirkungen schlimmer sei als der Terroranschlag vom 11. September. Man habe es hier nicht nur mit einem unsichtbaren Feind, sondern auch mit massiven finanziellen Auswirkungen zu tun. Diese betreffen vor allem die Ärmsten der Armen, wie illegale Immigranten, die am unteren Ende der kapitalistischen Pyramide umgehend ihre Arbeitsstelle verloren haben und nun um die bloße Existenz bangen. Aber mit der fortschreitenden Zeit breitet sich diese Sorge inzwischen auf die Mittelschicht aus. Laut New York Times (Stand 2. April) haben sich 6,6 Millionen Amerikaner arbeitslos gemeldet. Diese Zahl übersteigt den Rekord von 695 000 von 1982 um ein Vielfaches.
Alle in den USA sind von den Auswirkungen der Pandemie betroffen, deren Härte durch das vorherrschende kapitalistische System ohne soziale Sicherungssysteme noch verstärkt wird. Noch kann ich nicht genau abschätzen, wie sich der Big Apple von dieser Katastrophe erholen wird. Doch wenn der New Yorker eine Stärke hat, dann ist es die Resilienz, das Zusammenstehen in der Not und das Festhalten an der Hoffnung auf bessere Tage.
Ein solches Hoffnungszeichen setze ich nun mit meiner Tochter, während wir kleine Palmkreuze basteln und für unsere Senioren versandfertig machen. Sie werden dieses Symbol in der Kar- und Osterwoche verstehen. So wie Jesus durch das Tal des Kummers und Todes musste, so müssen wir New Yorker durch dieses dunkle Tal der Pandemie und ihrer Auswirkungen.
Meine Tochter strahlt mich an und hält das letzte kleine Kreuz hoch, während wir den Taizé-Kanon zu Ende singen. Die Kar- und Osterwoche zeigt uns deutlich, dass auf Trauer Freude und Jubel folgen wird. Möge dies uns Trost und Hoffnung zugleich sein.
Autor:Online-Redaktion |
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