Blickwechsel
Ukraine: Die Rolle der Muslime im Krieg

Die Kul-Scharif-Moschee in der russischen Teilrepublik Tatarstan. | Foto: epd-bild/Karsten Packeiser
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Der Islamwissenschaftler Andreas Jacobs ist stellvertretender Leiter der Hauptabteilung Analyse und Beratung in der Konrad-Adenauer-Stiftung in Berlin. Nun hat er sich für eine Aufsatzsammlung mit der Rolle des Islam in Russland auseinandergesetzt.

Von Thomas Klatt

Für ihn ist überraschend, dass Russland nicht einfach nur russisch-orthodox ist. „Es wird immer gesagt, das orthodoxe Christentum sei massiv prägend für die russische Kultur und Geschichte. Tatsache aber ist, dass die Präsenz von Muslimen auf dem Gebiet des heutigen Russlands älter ist als die Präsenz von Christen“, sagt Jacobs.

90 Prozent der rund 15 bis 20 Millionen Muslime in Russland gelten als sunnitisch, zehn Prozent zählen zur schiitischen Minderheit. Schon das Zarenreich versuchte, die Muslime eng an sich zu binden. Katharina die Große hatte per Dekret schon 1788 die Orenburger muslimische geistliche Versammlung einberufen, womit sie Kontakte zu den islamischen Institutionen und Strukturen im Land im Sinne der Zentralregierung herstellen konnte.

„Das war der Nukleus der russischen Islampolitik bis heute: Zentralisierung, Loyalisierung, aber gleichzeitig auch eine gewisse Privilegierung und die Einräumung von begrenzten Religionsfreiheitsrechten“, erklärt Jacobs.

Ähnlich wie die Kirche wurde auch der Islam zu Sowjetzeiten drangsaliert. Das problematische Verhältnis zum russischen Zentralstaat zeigte sich dann in den Tschetschenienkriegen der 1990er Jahre. Mit dem zweiten Tschetschenienkrieg konnte sich der damalige russische Premierminister Wladimir Putin als Retter Russlands inszenieren.

Von den Muslimen erwartet Putin inzwischen vor allem Loyalität. Dafür will er nicht nur einen Islam in Russland, sondern einen auf seine Politik hin ausgerichteten „russischen Islam“. „Putin hat gesagt, es handele sich um eine spezifische Form des Islam, nämlich den russischen Islam, der sich unterscheide von dem, was in den Kernländern des muslimischen Raumes so gelehrt und gelebt wird“, sagt Islamwissenschaftler Jacobs.
Mit einigem Erfolg. So rief der oberste Geistliche Scheich-al-Islam Taddschuddin, Vorsitzender und Oberster Mufti der Zentralen geistlichen Verwaltung der Muslime Russlands, schon 2014 zum Heiligen Dschihad gegen die Ukraine auf. Es gab andere Rechtsgelehrte, die die muslimischen Gefallenen in der Ukraine zu Märtyrern erklärten. Dabei gebe es Gemeinsamkeiten mit der Russisch-Orthodoxen Kirche. Andreas Jacobs nennt das Brückennarrative.

Eine Sonderrolle kommt dabei dem Präsidenten der tschetschenischen Teilrepublik Ramsan Kadyrov zu, weiß Jacobs: „Kadyrow will im innertschetschenischen Machtkampf im Nordkaukasus die Oberhand behalten. Auf der anderen Seite ist Kadyrow für Putin und das Regime sehr wichtig, weil er als muslimischer Vorzeigepräsident Legitimation generiert, aber eben auch für Ruhe im Kaukasus sorgt.“ Für Putin sei Kadyrow die ideale Figur, um einerseits die muslimischen Gruppen in der Kaukasusregion zu kontrollieren und andererseits im In- und Ausland die Fiktion eines „islamfreundlichen“ Russlands zu konstruieren. Er ist somit eine Figur der russischen Kriegspropaganda.

Also ist der Islam, genauer der staatlich geförderte „russische Islam“, ein wichtiger Machtfaktor der putinschen Innen- und Außenpolitik. Doch mit einem gewissen Bumerangeffekt: Längst nicht alle Muftis in Russland rufen zum Heiligen Dschihad gegen den Westen und gegen die Ukraine auf. Oppositionelle Zentralasiaten, Tartaren, Flüchtlinge aus den turksprachigen Republiken Russlands, ehemalige Syrien-Kämpfer und Dschihadisten kämpfen auf ukrainischer Seite. Gegner Kadyrows haben sich in zwei Bataillonen auf ukrainischer Seite zusammengeschlossen. Der Krieg gegen die Ukraine ist somit auch eine Art Religionskrieg.

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