Kolonialismus
Schmerzhafte Transparenz
Deutsche Museen beherbergen zuhauf menschliche Überreste aus der Kolonialzeit. Der Umgang damit ist oft schwierig und mangelhaft. Das Grassi Museum in Leipzig geht neue Wege.
Von Katharina Rögner (epd)
Sie sind Teil eines belasteten Erbes: In deutschen Museen lagern bis heute Schädel, Haare, Mumien, Zähne und Knochen aus kolonialem Kontext. Es handelt sich um sogenannte menschliche Überreste beziehungsweise Human Remains. Nur bei etwa der Hälfte der Objekte ist überhaupt bekannt, woher sie stammen.
Laut der je zur Hälfte von Bund und Ländern finanzierten Kontaktstelle für Sammlungsgut aus kolonialem Kontext existieren in den Depots schätzungsweise rund 17.000 menschliche Überreste. Die Forscherin und stellvertretende Leiterin der 2020 in Berlin eröffneten Kontaktstelle, Maria Leonor Perez Ramirez, hat bisher Angaben von 33 Einrichtungen erhalten. «Die meisten Objekte stammen aus Afrika und Ozeanien», sagt sie: «Wie sie in den jeweiligen Sammlungen gelagert werden, wissen wir aber nicht.»
Der Kontaktstellenleiter und Generalsekretär der Kulturstiftung der Länder, Markus Hilgert, betont: «Ein großes Problem ist tatsächlich, dass menschliche Überreste genauso aufbewahrt werden wie andere Sammlungsbestände.» Das sei dem ethischen Anspruch der Human Remains nicht angemessen.
«Der Weg ist noch sehr weit, weil wir noch weit davon entfernt sind, die menschlichen Überreste als solche zu behandeln und zu rehumanisieren», sagt Hilgert. Zum Beispiel würden immer noch Mumien aus Ägypten ausgestellt, obwohl dies menschliche Überreste sind.
«Das Bewusstsein, dass man solche Objekte nicht hinter Glas legen und anstarren sollte, muss sich erst noch als selbstverständlich herausbilden», sagt Hilgert. Koloniale Sammlungen seien außerdem zum Teil aus rassistischen Interessen erstellt worden, etwa um eine vermeintliche körperliche Überlegenheit «weißer» Menschen zu beweisen.
Im Leipziger Grassi Museum für Völkerkunde bringt Direktorin Léontine Meijer-van Mensch das Thema «Objekte aus kolonialem Kontext» engagiert und couragiert an die Öffentlichkeit. Die im Depot gelagerten menschlichen Überreste hat sie aus dem Keller «nach oben geholt», wie sie sagt. Sie liegen jetzt - für die Öffentlichkeit weiter verborgen - in einem Extraraum des Museums.
Für einen würdevollen Umgang hat die gebürtige Niederländerin auch einen «Raum der Erinnerung» eingerichtet. Er ist schlicht und feierlich zugleich und dient unter anderem für Zeremonien bei Rückgaben an Herkunftsgemeinschaften. Das ist bisher einmalig in deutschen Museen.
«Ich wollte einen Raum, der zeigt, dass Rückgaben und vor allem die Rückgabe von Vorfahren aus unseren Sammlungen an ihre Herkunftsgemeinschaften, das Wichtigste sind, was uns ethisch beschäftigt», sagt Meijer-van Mensch. Wegen ihres Engagements stoße sie auch auf Kritik, aber es gebe keine Alternative.
Die Museumschefin will Transparenz schaffen: «Wir verstecken die schmerzhafte Geschichte nicht im Depot», sagt sie. Damit werde auch gezeigt: «Wir sind involviert, es gehört zu unserer europäischen Geschichte.»
Auch einen Aufenthaltsraum für die Communities hat die Direktorin einrichten lassen und einen Bereich, wo die Nachfahren pathologische Untersuchungen vornehmen können. Manchmal werde sie gefragt, ob dies nicht eher einem Beerdigungsinstitut ähnelt. «Ja, es hat etwas damit zu tun», sagt sie: «Aber es sind Ahnen, es sind Menschen, die muss man mit Respekt behandeln.»
Es gehe um Haltung, um eine ethische Verantwortung, sagt Meijer-van Mensch, die aus der Gedenkstättenarbeit kommt. Sie nennt es «Empathische Erinnerungsarbeit». Leipzig könnte die Blaupause für andere ethnologische Museen in Deutschland werden.
Die Kontaktstelle in Berlin ist der zentrale Anlaufpunkt sowohl für Museen als auch für Herkunftsgemeinschaften. «Wir bekommen Anfragen von allen Kontinenten», sagt Perez. Nachfahren wollten vor allem Informationen, wo sich Objekte befinden. Leiter Hilgert betont: «Wir müssen die »Vorfahren den Nachfahren zurückgeben«.
Allein die Vorstellung, »dass unsere Großmütter und Großväter in Teilen in Museen liegen würden«, verdeutliche diesen schmerzhaften Prozess. Es sei aber dennoch »eine idealistische Zielsetzung, alle Gebeine zuordnen zu können«. »Dass wir alle Vorfahren an die Nachfahren zurückgeben können, davon sind wir noch weit entfernt."
Auch im Grassi Museum wird die Aufarbeitung Zeit brauchen. Laut Meijer-van Mensch wurden bisher nur etwa 200 der fast 3.000 menschliche Überreste zurückgegeben. Das sei viel im bundesweiten Vergleich, aber wenig insgesamt, sagt sie. Im März würden drei Ahnen aus Palau zurückgegeben. Die Zeremonie findet in Göttingen statt, weil die dortige Universität ebenfalls Ahnen an die Nachfahren übergibt.
Autor:Online-Redaktion |
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