Visionen für den Petersberg
Achava heißt Brüderlichkeit. Mit über 30 Konzerten, Workshops, Ausstellungen, Schülerprogrammen und einem Straßenfest bauen die Achava Festspiele Thüringen bereits zum vierten Mal vom 20. bis 30. September Brücken zwischen den Kulturen.
Im Gespräch mit »Glaube + Heimat« erläutert Intendant Martin Kranz inhaltliche Schwerpunkte des Festivals.
Von Michael von Hintzenstern
Im Fokus der Achava Festspiele Thüringen steht der interkulturelle und interreligiöse Dialog. Die Besucherzahlen sind von 8 000 auf 16 000 angestiegen. Was erwartet die Besucher diesmal?
Kranz: Zum einen geht es um 70 Jahre Staat Israel und die Situation im Nahen Osten und zum anderen soll diesmal die Geschichte Erfurts im 13. und
14. Jahrhundert beleuchtet werden. Unter dem Titel »Das Erfurter Blau« wird der Waidhandel im Mittelalter beschrieben. In diesem Zusammenhang beschäftigten sich Wissenschaftler in einem Forschungsauftrag mit der Frage, was der Waidhandel mit den Erfurter Juden zu tun hatte. Ein Ergebnis war, so viel kann ich schon verraten, dass die Waidhändler die Juden aus diesem ertragreichen Geschäft weitgehend herausgehalten haben.
Hatte das etwas mit Antisemitismus zu tun?
Kranz: Ich würde es nicht als Antisemitismus bezeichnen. Man hat im Grunde die Felder abgesteckt. Man hatte sich zwar jüdisches Geld geliehen, aber in den Handel durften Juden nicht mit einsteigen. Der Rückblick ist lohnend, weil man in der Entwicklung erkennen kann, wie später Antisemitismus und die Pogrome folgten. Das kam nicht von ungefähr. Die jüdische Gemeinde war im 12. und 13. Jahrhundert in Erfurt sehr stark. Die Idee, die hinter Achava steckt, ist natürlich auch, Zusammenhänge aufzuzeigen und darüber zu reden, was das mit uns heute noch zu tun hat.
Stichwort Chemnitz: Was ist derzeit los in unserer Gesellschaft?
Kranz: Ich bin erst mal erschüttert. Wir müssen in einer breiten gesellschaftlichen Debatte gemeinsam überlegen: Wie gehen wir damit um? Auch dafür steht Achava, dass wir über religiöse Grenzen hinweg gesellschaftliche Probleme und Herausforderungen diskutieren. Wir müssen dahin kommen, dass wir miteinander diskutieren und nicht gegeneinander kämpfen. Man sollte jetzt nicht Chemnitz und Sachsen stigmatisieren. Es geht vielmehr um eine Analyse, warum Pegida in Teilen Sachsens so stark ist.
Populismus, Antisemitismus und Menschenverachtung werden bei Achava in einem anderen Zusammenhang eine Rolle spielen. Was verbirgt sich hinter der Überschrift »Revolution der Seele«?
Kranz: In Thüringen gab es in den 1920er-Jahren einen charismatischen »Guru« aus der Reihe der sogenannten Inflationsheiligen, den Kunsthandwerker Friedrich Muck-Lamberty, der die »Neue Schar« gegründet hat. Eine Bewegung, die frei sein wollte. Das drückte sich unter anderem in der Nacktheit, der Freikörperkultur, aus. Zurück zur Natur. Die Befreiung aus dem Wilhelminismus, den bürgerlichen Schranken. Er sammelte sehr schnell die Massen um sich. Die Kirchen öffneten ihm die Türen. Er predigte beispielsweise in der Weimarer Stadtkirche vor 1 000 Menschen. Auf den Erfurter Domplatz kamen 15 000 zu »Erweckungsfeiern«.
Die Volkslieder aus dem Liederbuch der Neuen Schar sind heute noch erhältlich. Muck-Lamberty war ein Volksverführer und zeit seines Lebens Antisemit. Es ging ihm um das Thema: Der neue Mensch. Wie formen wir uns neu? Die Nazis haben übrigens später diese Ansätze und einige Elemente aus der Neuen Schar übernommen. Bei einer Veranstaltung wird der Enkel anwesend sein, Schauspieler Thomas Thieme liest Texte. Der Regisseur und Dramaturg Michael Dissmeier hat an diesem Programm ein Jahr lang gearbeitet und recherchiert. Er hat bislang unveröffentlichtes Material zusammengetragen. Darin wird deutlich, was wir heute auch wieder erleben: Das Verantwortlichmachen von Minderheiten für Fehler und Fehlentwicklungen.
Die Festspiele stehen auch für neue Veranstaltungsformate. Welche werden diesmal angeboten?
Kranz: Wir haben Angebote für Schüler entwickelt. Ein spontanes, musikalisches Frage- und Antwortspiel wird es in mehreren Thüringer Städten geben. Eine Gruppe Musiker spielt mit Schülern Gypsy Music, also Musik der Sinti und Roma. Die Schüler müssen ein Instrument spielen oder singen können. Wir musizieren aber nicht nach vorgegebenen Noten! Es geht um Improvisation.
Außerdem laden wir 300 Schüler in den Thüringer Landtag ein. Im Plenum sollen sie Demokratie erfahren. Am Ende wird gemeinsam im Innenhof des Landtags gefeiert und getanzt. Zudem werden wir, nach den positiven Erfahrungen des vergangenen Jahres, auf der Erfurter Krämerbrücke wieder ein Straßenfest feiern.
Die Peterskirche auf dem Erfurter Petersberg soll nun zur dauerhaften Hauptspielstätte werden. Welche Idee steckt dahinter?
Kranz: Die Peterskirche, die einst zu einem Benediktinerkloster gehörte, thront über der Stadt. Die Idee ist, daraus einen interkulturellen Begegnungsort zu machen. Bezugspunkte dafür gibt es ausreichend. Der Eigentümer, die Stiftung Thüringer Schlösser und Gärten, stellt in dieser Woche einen Plan zum Umbau des Gebäudes vor. Die Peterskirche soll wieder einen sakralen Charakter erhalten. Der Freistaat Thüringen hat dafür fünf Millionen Euro bereitgestellt. Denkbar ist, dass das Gelände um die Peterskirche herum zur Landesgartenschau 2021 eine inhaltliche Komponente zur Gebäudekonzeption erfährt. Ich finde, dass es an der Zeit ist, den Petersberg in diesem Zusammenhang mit der Stadt und den Menschen zu verbinden. Das wäre ein nachhaltiges Vorhaben, eng verbunden mit der Intention von Achava.
Autor:Online-Redaktion |
Kommentare
Sie möchten kommentieren?
Sie möchten zur Diskussion beitragen? Melden Sie sich an, um Kommentare zu verfassen.