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DDR Museum
Vom Trabi bis zur Gefängniszelle

Foto: epd-bild/Andreas Fischer

Viele Menschen kennen die DDR 35 Jahre nach dem Mauerfall nicht mehr aus eigenem Erleben. Im Berliner "DDR Museum" können sie mit Originalobjekten einen Eindruck vom alltäglichen Leben gewinnen.

Von Bettina Gabbe (epd)

Ein Junge sitzt an einem SED-Funktionärsschreibtisch aus Holz mit Glasplatte und spricht mit wichtigtuerischer Miene in ein altes Bürotelefon, hinter ihm an der Wand gerahmte Fotos von Friedrich Engels, Karl Marx und Wladimir Iljitsch Lenin. Die Eltern machen Fotos ihres Sohnes, der sich im Berliner „DDR Museum“ in die Rolle eines Parteikaders versetzt. Nebenan begeben sich zwei junge US-Touristinnen in einem Trabant P 601 auf eine virtuelle Tour durch Berlin. Wenn die Fahrerin auf das Gaspedal tritt, ertönen knatternde Motorgeräusche, auf der Frontscheibe erscheinen Gebäude und Straßen.

Die Besucher strömen trotz des sonnigen Herbstwetters in das Museum an der Spree-Promenade. Seit 2006 informiert die Einrichtung über die DDR. Im Vordergrund stehe der Alltag in der DDR, ohne die politischen Repressalien auszuklammern, sagt Direktor Gordon Freiherr von Godin vor dem 35. Jahrestag des Mauerfalls am 9. November. Ziel sei es, Menschen auf der emotionalen und auf der Sachebene anzusprechen.

Neben dem Eingang stehen Besucher vor einem Modell des Mauerstreifens mit drei Mauern, einem Wachturm und Stacheldraht. In ihren Gesichtern spiegeln sich Neugier und Grauen. In einer anderen Abteilung können sie die Hände in Kaffeebohnen versenken und zugleich über den Mangel an diesen lernen. Sie stehen nicht vor Vitrinen, sondern ziehen an Schränken Türen und Schubladen auf, in denen Alltagsgegenstände liegen. Deren Geschichte wird mit Texten erzählt. Dominic aus Birmingham ist begeistert. „Es gefällt uns, weil es hier um das Leben geht“, sagt der 32-Jährige.

Über einen Fahrstuhl, der bei geschlossenen Türen ohrenbetäubenden Lärm macht und in dem es auf der virtuellen Fahrt ruckelt und zeitweise dunkel wird, geht es in eine nachgebaute Plattenbauwohnung. Im Flur steht ein junges Mädchen und blickt auf die Deckenleuchte im Wohnzimmer: „So eine Lampe mit Fransen hat meine Großmutter heute noch.“ Im Schlafzimmer weist ein Mann auf die runden Plastikgriffe am Kleiderschrank hin: „Das kenne ich, das war damals so.“ Seine Begleiterinnen probieren Kleider aus dem Schrank vor dem virtuellen Spiegel.

Eine Gruppe aus den Rostocker Werkstätten des Deutschen Roten Kreuzes für Menschen mit Behinderungen schaut sich interessiert in den Räumen der Plattenbauwohnung um. Olaf Kaniecki, einer der Verantwortlichen, steht in der Küche und erklärt, dass Familien zu DDR-Zeiten für die Einrichtung 7.000 Mark als zinslosen Ehekredit bekommen hätten. Auch für Kinder habe es entsprechende Kredite gegeben, erinnert er sich.

Während sich das Publikum die Plattenbauwohnung anschaut, hält sich der Andrang anderswo in Grenzen: Nur einige Besucher und Besucherinnen bleiben an der halb geöffneten Tür der nachgebauten Gefängniszelle stehen, werfen einen Blick auf die karge Ausstattung mit einem schmalen Bett und einem Hocker und gehen weiter. Experten gehen von rund 200.000 politischen Gefangenen in der DDR aus, die Misshandlung von Gefangenen war weit verbreitet, wie die Bundeszentrale für politische Bildung schreibt.

Das privat geführte Museum beansprucht auf seiner Internetseite, Geschichte „lebendig, interaktiv und wissenschaftlich fundiert“ zu vermitteln. Besucher seien eingeladen, „Geschichte hautnah zu erleben“. Dabei gehe es um Themen wie Arbeit und Konsum oder Fragen nach dem, was sich die Menschen leisten konnten und was nicht oder wie sich der Mangel ausdrückte, erklärt der Direktor des Museums. Eine Rolle spielt auch der Umgang mit verbotener Westliteratur oder mit Spielen, die die Menschen unbedingt spielen wollten, die es aber nur im Westen gab wie Monopoly und Scrabble: „Da hat man Spiele nachgemacht, das sind Unikate, die das Leben in der DDR geschaffen hat.“

Das Thema Stasi-Überwachung und die Gefängniszelle kommen nur am Rand vor. Museumsleiter Godin spricht von einer „Gratwanderung“ zwischen Aufzeigen des Unrechtsstaats und Alltag, zwischen bunten Objekten und Erinnerung an Repression. Bunte Tapeten und das gemusterte Sofa in der Plattenbauwohnung geben ein heimeliges Gefühl - und sind dennoch von Informationen eingerahmt, die jeden Anschein von Gemütlichkeit vergehen lassen: Besucher erfahren dort etwa, wie westliche und somit verbotene Literatur im „Giftschrank“ des Bücherregals verschwand oder zumindest in die zweite Reihe rückte, um sie selbst vor Freunden zu verbergen - denn diese konnte Stasi-Mitarbeiter sein.

Die Dauer- und Sonderausstellungen des DDR Museums werden aus einer Sammlung mit rund 360.000 Objekten bestückt. Im Februar 2025 soll dafür ein neues Depot in Berlin-Marzahn eröffnet werden.

Autor:

Online-Redaktion

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