Predigttext
Den Weg weitergehen

- hochgeladen von Mirjam Petermann
Denn sooft ich rede, muss ich schreien.Jeremia 20, Vers 8a
Am Sonntag Okuli (lat. für „Augen“) schulen wir das Hinschauen. Auch wenn es schmerzhaft ist. Auch wenn man sich dadurch keine Freunde macht.
Von Bernd S. Prigge
Der Prophet Jeremia schaut hin und muss schreien: „Gewalt!“ Er erlebt Verwüstung und Zerstörung in seiner Umgebung. Er versucht, darüber zu schweigen, doch es gelingt ihm nicht. Gottes Wort öffnet ihm die Augen. Er kann nicht wegsehen.
Hinsehen dort, wo der Schmerz ist. Wer nimmt sich heute Zeit, der Lebensgeschichte eines betagten Menschen zu lauschen? Wer interessiert sich für Frauen, die in der Ehe Gewalt erleiden?
Jeremia schreibt, dass er zum Spott und Gelächter geworden ist. Er warnt davor, dass die Lieblosigkeit der Menschen schlimme Folgen für Jerusalem haben wird. Doch seine Prophezeiungen will niemand hören. Wer macht sich schon gerne unbeliebt, indem er die Finger in die Wunde legt und mit schlechten Nachrichten daherkommt?! Aber Jeremias kann nicht anders, als seine Sache weiterzuführen.
Bewundernswert: Hier geht also jemand seinen Weg weiter trotz Anfeindungen. Das erlebt auch die Kirche, wenn sie nicht sofort in das Konzert der Hyper-Aufrüstung einstimmt, ein Herz für Geflüchtete zeigt oder sich für ein Tempolimit einsetzt.
Dem Weg folgen, den man für richtig hält, trotz Widerstand. Eine schwere Aufgabe. Ich bin mir nicht sicher, ob ich das könnte. Zu sehr will ich doch akzeptiert sein von den anderen. Man stelle sich die Einsamkeit des Propheten vor. Dann aber ein Vers, der wie eine Selbstvergewisserung Jeremias klingt: „Der Herr ist bei mir wie ein starker Held“. Man hat den Eindruck, Jeremia spricht sich hier selbst Mut zu: Gott möge ihm Kraft geben, das alles durchzustehen. Doch diese Flamme des Kampfgeistes hält nicht auf Dauer. Schon kurze Zeit später verflucht er den Tag seiner Geburt, so verzweifelt zeigt er sich wieder.
Wir sehen hier einen Kreislauf, den wir vielleicht auch persönlich kennen: Selbstzweifel, dann zu seiner Überzeugung stehen und Mut fassen. Dann geht es wieder von vorne los. Nie sollen wir bei der Verzweiflung stehenbleiben. Jeremia zeigt, dass es da noch die anderen beiden Phasen gibt: Widerstand, zu eigenen Überzeugungen stehen, und Gottvertrauen, das uns „heldenhafte“ Entschlossenheit gibt.
Der Autor ist Augustinerpfarrer in Erfurt.


Autor:Online-Redaktion |
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