Trinitatis
Die Einheit in der Dreiheit
Interview: Der Historiker Michael Wolffsohn sieht in der christlichen Lehre von der Dreifaltigkeit Gottes ein Bild von tiefer Symbolik. Er erläutert es im Gespräch mit Andreas Main.
Ausgerechnet mit einem jüdischen Denker über Trinität, die Dreifaltigkeit Gottes zu sprechen – mit Verlaub, das hat was Bizarres. Was können Sie als jüdischer Historiker zu diesem christlichen Thema beitragen?
Wolffsohn: Ich versuche ein denkender Mensch zu sein und zu fragen: Was bedeutet eigentlich die Trinität? Ist die Trinität nur eine rein christliche Vorstellung? Gibt es nichts Vergleichbares im Judentum? Und wie steht der Islam dazu? Man muss sich hineinversetzen in die Art von Literatur, welche sowohl das Alte Testament, die Hebräische Bibel, bietet – als auch das Neue Testament. Wir haben es weitgehend mit einer bildhaften Literatur zu tun. Das heißt, die Botschaft ist in Bildern zu suchen. Die Bilder müssen wir verstehen. Gleiches gilt auch für die Dreifaltigkeit, die Trinität.
Wie wird die christliche Rede von dem dreifaltigen Gott im Judentum wahrgenommen?
Wolffsohn: In diesem Fall gibt es sogar weitgehend ein einheitliches Judentum, das sich abgrenzt vom christlichen Verständnis. Vater, Sohn, Heiliger Geist – das ist eine Dreiheit, aber – so der Grundgedanke der Trinität – die Dreiheit ist eine Einheit. Dieses Bild ist von tiefer Symbolik. Damit wird gesagt – in aller Kürze und stark vereinfacht: Gott ist in allem, Gott ist alles, er ist Schöpfer der Welt, er ist allgegenwärtig. Das heißt, die Dreiheit als Einheit könnte im Grunde genommen auch eine Vierheit, Fünfheit sein.
Das ist symbolisch für alles – Vater, Sohn, Heiliger Geist. Das ist die Grundbotschaft. Hier unterscheiden sich dann Gläubige von Ungläubigen, aber nicht konfessionell gedacht Christen von Juden, Juden von Christen oder Muslimen. Wer das Bild versteht, wird es in dieser Botschaft verstehen – unter der Voraussetzung, dass er oder sie ein gläubiger Mensch ist. Das ist die trennende Perspektive.
Ist es für Sie reines Gedankenspiel, wenn wir hier über Trinität reden? Also, nichts gegen Gedankenspiele –
aber dennoch die Frage: Sehen Sie eine Relevanz dieser Frage?
Wolffsohn: Oh ja. Der Kosmos, die Menschheit besteht aus einer Vielheit. Zugleich gibt es den Menschen an sich mit seinen Ängsten, Bedürfnissen, Überlebenswillen, der Wunsch zu lieben, geliebt zu werden, ein gutes Leben zu führen. Das sind allgemein menschliche Eigenschaften, Wünsche, Hoffnungen.
Zugleich ist jeder Mensch in sich ein Individuum – mehrere Milliarden Menschen. Das heißt, wir haben zum einen die Individualität, zum anderen die Vielheit. Das wird ausgedrückt durch dieses Bild. Ich halte dieses Bild für ein ganz grandioses Bild.
Jetzt der Vergleich zum Judentum. Im Judentum haben wir im Grunde genommen das gleiche. Man muss nur mit offenem Herzen und offenem Verstand an die biblischen Texte herangehen.
Bevor wir weiter über Jüdisch-Christliches reden, möchte ich auf den Islam zu sprechen kommen. Es gibt Suren im Koran gegen Trinität. Es gibt islamistische Attacken gegen Polytheisten. Sind in diesem Punkt Muslime und Juden womöglich erstaunlich einig?
Wolffsohn: Scheinbar ja. Judentum und Islam sagen: Nein, Trinität – das ist letztlich zu Ende gedacht eine Vorform – oder der Islam ist da noch schärfer – eine Art von Polytheismus, also Vielgötterei. Im Koran kommt es wörtlich vor: Drei kann nicht eins sein. Daher also die strikte Ablehnung der Trinität.
Traditionell orthodox interpretiert: ja, Judentum und Islam haben eine gemeinsame Distanz, teilweise sogar Polemik gegen die christliche Vorstellung der Trinität. Tatsächlich aber gibt es eine durchaus nachweisbare Nähe zwischen der Vorstellung der Trinität im Christentum und jüdischen Texten.
Wie gefährlich das Auseinanderspielen von Monotheismus gegen Polytheismus sein kann, das belegen die Terroranschläge. Also Religion kann gefährlich sein.
Wolffsohn: Religion kann gefährlich sein, aber sie kann auch ungefährlich sein und Frieden stiftend. Das Grundsätzliche in Bezug auf die Distanz des Islam zur Trinität geht weit zurück in die Frühgeschichte des Islam – nämlich in seine Entstehungsgeschichte.
Hier gibt es eine interessante interdisziplinäre Forschergruppe namens Inârah, die – wie ich finde – empirisch wasserdicht nachweist, dass der frühe Islam bis ungefähr 800 unserer Zeitrechnung ein arianisches Christentum war. Ob das nun stimmt oder nicht, das sollen die Spezialisten entscheiden.
Aber interessant ist, dass das arianische Christentum seiner Zeit vehement gegen die Trinität argumentierte. Es wurde für die Trinität bekanntlich 325 nach Christus auf dem Konzil von Nicäa entschieden. Das heißt, Konstantin, der sogenannte Große, entschied sich für die Trinität, also gegen das arianische Christentum. Aber das arianische Christentum bestand im vorderasiatischen Raum weiter. Im Grunde genommen handelt es sich hier – ob jetzt unter der Überschrift Islam oder nicht – um die traditionell innerchristliche Auseinandersetzung über die Trinität.
Ich beziehe jetzt mal eine strenge jüdische Position und sage: Gott kann keinen Sohn haben, Gott kann nicht mehrere sein. Ist das aus Ihrer Sicht eine zu strenge jüdische Deutung?
Wolffsohn: Das ist eine gängige Interpretation und entspricht der traditionellen jüdischen Vorstellung. Aber es stimmt nicht, wenn wir die jüdischen Texte zugrunde legen. Sie haben richtig zitiert, Vater und Sohn können nicht identisch sein. Aber die Vorstellung von Gott als Vater und wir als Kinder ist eins zu eins im Judentum: Awinu Malkhenu – unser Vater, unser König, das ist Gott. Wir sind als einzelne Menschen Kinder Gottes.
Jesus war also in dem Anspruch, Sohn Gottes zu sein, ein Kind Gottes – ein Kind Gottes wie alle Kinder Gottes, wie alle Menschen Kinder Gottes sind. Insofern ist das jesuanische Verständnis, Sohn Gottes zu sein, durchaus deckungsgleich mit jüdischen Vorstellungen, dass jeder Mensch ein Kind Gottes ist.
Zweiter Punkt der Trinität – Gott, Vater – ist unbestritten, auch im Vergleich zum Islam.
Und jetzt kommen wir zum Schwierigsten, zum Heiligen Geist. Sie kennen natürlich Genesis 1, den 2. Satz: »Ruach Elohim merachefet al pnei hamajim.« Der »Geist Gottes« ist die wörtliche Übersetzung. Und Elohim ist eine plurale Form. Was sagt uns das? Dass wir uns Gott als Singular vorstellen müssen und zugleich als Plural. Also haben wir ein identisches Wortbild. Die Aussage dieses Wortbildes Elohim, die Pluralform für Gott, ist im Grunde genommen nichts anderes als diese Vorstellung von der Trinität. In diesem Falle ist der Plural ja nicht begrenzt auf zwei oder drei, jedenfalls mehr als eins. Und Ruach Elohim – der Geist Gottes. An anderen Stellen heißt es in der hebräischen Bibel ruach ha kodesh, der Heilige Geist. Jetzt frage ich Sie: Wo besteht dann der Unterschied der Vorstellung zwischen dem Heiligen Geist als ruach ha kordesh und dem Heiligen Geist im Christentum? Es gibt ihn nicht.
Wir haben nicht nur die Pluralform des männlichen Gottes in hebräischen, biblischen Urtexten, sondern wir haben auch die Schechina, ein weiblicher Singular, der zu verstehen ist als Gott selber. Die Schechina ist beispielsweise, so die traditionell jüdische Vorstellung, über dem Tempel in Jerusalem gewesen – also die weibliche Form Gottes. Es gibt viele Belege dafür.
Wir sehen hier die Pluralität der Begriffe, die ist eben kein Zufall, sondern – und wir kommen auf die Trinität zurück – der Grundgedanke ist: Gott ist vieles und zugleich einer. Und er ist eben sowohl männlich als auch weiblich. Wir kommen hier an die Grenzen der Gendertheologie. Es ist völlig irrelevant zu fragen: Ist Gott männlich oder weiblich? Er ist alles. Er ist sowohl männlich als auch weiblich. Er ist Singular und Plural. Das ist der Grundgedanke dieser Trinität. Und diesen Grundgedanken finden wir auch im Judentum.
Was heißt das politisch für uns? Die Abgrenzung zwischen Judentum und Christentum ist sehr viel geringer, wenn man mit offenem Herzen und offenem Verstand aufeinander zugeht, sich wechselseitig verstehen will.
Ich bin durchaus bereit, wenn es notwendig ist, Abgrenzungen zu erkennen. Aber die Gemeinsamkeiten sind sehr viel stärker. Das heißt, wir müssen nicht das übliche Bla-bla über christlich-jüdische Gemeinschaftlichkeit formulieren, sondern wir haben tatsächlich einen dramatisch breiten Grundstock der Gemeinsamkeiten, die ethisch sind und theologisch.
Die Relevanz des Themas besteht nicht in der Glasperlenspielerei, sondern es ist der Versuch, der ungeheuren Vielfalt des Menschen in seiner Singularität und in seiner Pluralität nahe zu kommen und der Schöpfung ganz allgemein und unserem Planeten Erde, dem Kosmos.
Denn jeder stellt sich doch irgendwann einmal die Frage: Was ist mein Platz in der jeweiligen Gemeinschaft, in meiner Nation, Region, auf der Erde, im Kosmos? Was bedeutet mein kürzeres oder längeres Leben? Das sind doch elementare Seinsfragen.
Und dieses dramatische Bild, die Einheit der Dreiheit, das heißt, die Einheit der Vielheit kennzeichnet das Sein ganz allgemein. Ich finde dieses Bild grandios.
Das Interview wurde im Deutschlandfunk in der Sendung »Tag für Tag. Aus Religion und Gesellschaft« ausgestrahlt.
Autor:Online-Redaktion |
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