Demenz
Seelsorge zwischen Erinnern und Vergessen

Foto: Markus Braun – stock.adobe.com
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Die Anzahl der Menschen, die mit einer demenziellen Veränderung leben, wächst stetig. Seelsorgerinnen und Seelsorger, die in Pflegeheimen tätig sind, treffen dort bei 75 Prozent der Bewohner auf eine Person mit Demenz. Doch die meisten Betroffenen werden zu Hause gepflegt und versorgt.

Von Maria Kotulek

Ein kleines Rechenbeispiel: In einer Pfarrgemeinde mit etwa 8000 Menschen leben 140 von ihnen mit einer Demenz. Zählt man die An- und Zugehörigen mit dazu, ergeben sich für diesen Fall mehr als 700 von Demenz „Betroffene“. Das Thema Demenz ist also für die Seelsorge, ob nun in einer Kirchengemeinde oder in stationären Pflegeinrichtungen, nicht mehr wegzudenken.

Helen Scott, die viele Jahre im St. Christopher Hospiz in London in der Palliativpflege tätig war, wies im britischen Fachmagazin "Nursing Standard" darauf hin, dass demenziell veränderte Menschen die gleichen spirituellen und religiösen Bedürfnisse haben, wie andere Menschen auch. Diese Erkenntnis ist für die Begleitung enorm wichtig: Demenz-Erkrankte sind nicht so anders. Sie haben die gleichen Bedürfnisse wie gesunde Menschen. Der Unterschied: Um eben diesen Bedürfnissen nachzukommen, sind sie auf die Unterstützung andere Menschen angewiesen.

Fest steht: Auch Menschen mit Demenz möchten in ihrem Leben Sinn finden und die eigene Spiritualität durch ihre Religion gestärkt wissen. Die Erfahrung zeigt, dass demenziell veränderte Menschen noch lange die gewohnten Gebete, wie zum Beispiel das Vaterunser, mitbeten oder bei bekannten Kirchenliedern wie "Großer Gott wir loben dich" mitsingen können. Auch Gottesdienste oder andere liturgische Angebote können noch länger mitgefeiert werden. Da die Aufmerksamkeitsspanne im Verlauf der Erkrankung jedoch abnimmt, müssen diese Feiern der jeweiligen Demenzphase angepasst werden.

Dabei ist, wie auch bei der Begleitung ganz allgemein, zu beachten: Menschen mit Demenz sind keine Kinder! Sie verfügen über einen entscheidenden Schatz: den ihrer eigenen Biographie und Erfahrung. Daher müssen sie als Erwachsene wertgeschätzt und behandelt werden. Somit verbietet sich auch die unreflektierte Verwendung von Kindergottesdienstmodellen.

Des Weiteren kann seelsorgliche Begleitung bedeutsame Beziehungen von demenziell veränderten Menschen unterstützen. Bei ehemals kirchlich engagierten Betroffenen sollte zum Beispiel versucht werden, das Mitsingen im Kirchenchor oder die Beteiligung an Seniorennachmittagen so lange als möglich aufrechtzuerhalten. Bei Betroffenen, die in einem Pflegeheim leben, kann es helfen, die für den Menschen bedeutsamen Beziehungen ausfindig zu machen und deren Aufrechterhalten zu fördern.

Daneben können auch Natur und Kunst die Spiritualität von Menschen stärken. So können zum Beispiel bekannte Gedichte oder, wenn es passend erscheint, Sprichwörter gemeinsam rezitiert werden. Auch das gemeinsame Singen von geläufigen und liebgewonnenen Liedern kann den Betroffenen das Gefühl vermitteln, dass sie zu einer Gemeinschaft gehören und etwas beitragen können. Die Sinne zu schärfen in der Natur, Sonne oder Wind zu spüren oder frischer Erde in den Händen zu fühlen, kann den demenziell veränderten Menschen das eigene Lebendigsein erfahrbar werden lassen.

Bei all dem ist entscheidend, dass die Begleiter wissen, dass Spiritualität und Religiosität bei Menschen mit Demenz sehr unterschiedlich ausgeprägt sind. Individuelle seelsorgliche Begleitung kann dem Leben Sinn geben, Ängste reduzieren und Sicherheit vermitteln. Menschen mit Demenz haben ein sehr feines Gespür dafür, ob andere wirklich Zeit für sie haben. Sie wollen nicht zur Last fallen und sind sehr sensibel dafür, ob den Begleitern Spiritualität und Religiosität auch selbst ernsthafte Anliegen sind.

Die wichtigste Aufgabe in der Begleitung bleibt daher, die jeweilige persönliche Spiritualität zu identifizieren und darauf angepasste Formen der Begleitung zu entwickeln. Je weiter die Demenz voranschreitet, desto individueller muss Seelsorge gestaltet sein.

Die Autorin ist promovierte Theologin und als Fachreferentin für Demenz im Erzbischöflichen Ordinariat der Katholischen Kirche in München tätig.

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Maria Kotulek | Foto: Foto: Erzbistum München
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