Predigt von Landesbischof Bilz
Weihnachtliche Vesper vor der Frauenkirche
Die Predigt des sächsischen Landesbischofs Tobias Bilz bei der Weihnachtlichen Vesper vor der Dresdner Frauenkirche. Die musikalische Veranstaltung am Tag vor Heilig Abend zieht jedes Jahr tausende Menschen an, die gemeinsam Advents- und Weihnachtslieder singen. Ministerpräsident Michael Kretschmer (CDU) wird zu einem Grußwort erwartet.
Musikalisch gestaltet wird die 32. Weihnachtliche Vesper auf dem Dresdner Neumarkt unter anderem von der Sächsischen Posaunenmission. Der MDR überträgt die Veranstaltung live im Fernsehen.
Die traditionsreiche Open-Air-Vesper am Tag vor Heiligabend gilt als größter regelmäßig unter freiem Himmel stattfindender Gottesdienst in Deutschland. Im vergangenen Jahr nahmen rund 13.000 Menschen daran teil.
Predigt von Landesbischof Tobias Bilz:
Text: Lukas 2, 13f
13 Und alsbald war da bei dem Engel die Menge der himmlischen Heerscharen, die lobten Gott und sprachen: 14 Ehre sei Gott in der Höhe und Friede auf Erden bei den Menschen seines Wohlgefallens.
Liebe Vespergemeinde auf dem Neumarkt und am Bildschirm,
mein Wort für die Predigt ist ein kleiner Ausschnitt aus der Weihnachtsgeschichte, die wir gerade als Lesung gehört haben. Nicht irgendeiner, sondern der Schlusspunkt. Wir zoomen gewissermaßen einen besonderen Augenblick heran und betrachten ihn etwas genauer.
Aus einem Verkündigungsengel sind viele geworden. Sie wenden sich nun nicht mehr vom Himmel den Hirten zu, sondern Gott selbst. Sie ändern die Blick- und Sprechrichtung. Aus der Botschaft an die Menschen wird das Lob Gottes in der Höhe!
Auf diese Weise werden sie zu „Brückenengeln“. Sie agieren zwischen den Welten. Brückenengel gibt es tatsächlich auf vielen Brücken der Welt.
Vielleicht ist der berühmteste Brückenengel „Custodio“ in Valencia, der „Hüter der Brücke“ über den alten Flusslauf des Turia. Es ist keine barocke Figur, sondern ein kraftvolles Flügelwesen, von dem Macht ausgeht.
Brückenengel haben die Aufgabe, über Menschen zu wachen, die die jeweiligen Brücken begehen und die Brücken selbst zu schützen. Denn wer sich auf einer Brücke befindet, begibt sich in Gefahr: Brücken können einstürzen. Wir sind uns dessen normalerweise nicht bewusst. Wenn aber eine Brücke einstürzt, ist das eine große Erschütterung. Was für eine Bewahrung, wenn dabei niemand zu Schaden kommt!
Heute, am Vortag des Heiligenabends möchte ich besonders betonen, dass Menschen, die Brücken bauen und diejenigen, die sich auf Brücken wagen, unter dem besonderen Schutz der Engel stehen.
Sie merken, ich rede schon nicht mehr von Flußüberquerungen im buchstäblichen Sinne, sondern von dem Mut derer, die sich auf anderes und andere einlassen. Es ist ein großer Trost für mich, dass Menschen nach so schrecklichen Ereignissen, wie auf dem Weihnachtsmarkt in Magdeburg ihre Scheu überwinden und helfen; Fremde sich in den Arm nehmen und gemeinsam weinen; einander Halt geben, wo die Fassung verloren geht. Wir sind Menschen und wollen leben. Das verbindet, egal, wer du bist oder woher du kommst. Aber braucht es wirklich erst solcher schrecklichen Ereignisse, ehe wir Brücken über unsere Verschiedenheit bauen? Ja, es ist so, und es wird morgen wieder genauso sein, wenn die Not uns nicht mehr zwingt:
Wer eine Brücke zu anderen Menschen bauen will, muss etwas riskieren. Der setzt sich einer Situation aus, die er nicht unter Kontrolle hat. Er exponiert sich vor dem anderen mit seiner Meinung und mit seinem Wesen. Er setzt sich dem anderen aus.
Das geschieht auch, wenn wir etwas aussprechen, was nach menschlichem Ermessen nicht nur Begeisterung auslöst. Bei mir stellt sich dann ein Herzklopfen ein, ganz weit oben, fast im Hals. Meine Gedanken schießen hin und her: Soll ich oder soll ich nicht? Zugleich weiß ich, dass das ein untrügliches Zeichen dafür ist, dass es jetzt gilt: der Raum der Sicherheit muss verlassen werden!
Liebe Vespergemeinde,
die Christgeburt will uns ermutigen, unseren ganz persönlichen „Raum der Sicherheit“ zu verlassen. Gott verlässt den Himmel und exponiert sich in diesem kleinen Kind. Er setzt sich maximal den Menschen aus, wird hilflos und abhängig. Er erobert nicht aufgerüstet diese Welt, sondern will sie in Gestalt eines Babys für sich einnehmen.
Darüber staunen selbst die Engel und preisen Gott voller Ehrfurcht. Zugleich sehen sie darin ein Bekenntnis zum Frieden.
Ich traf letzte Woche einen führenden Theologen unserer Landeskirche, der jetzt ein Greis ist. Wir unterhielten uns nur wenige Sätze. Er sagte unter anderem: „Unabhängig davon, wie es gelingen kann, dass in der Ukraine Frieden geschlossen wird – ich weiß es auch nicht – ist das doch der Kern der Weihnachtsbotschaft, dass durch ein kleines Kind der Frieden auf die Erde kommt.“
Sind wir nicht genau aus diesem Grund heute hier auf dem Neumarkt in Dresden? Viele suchen den Frieden. Vielleicht mit Gott, der uns in diesen heiligen Tagen besonders nahe ist. Vielleicht mit anderen, mit denen wir in letzter Zeit unversehens in Streit geraten sind. Vielleicht auch mit uns selbst, wenn uns innere Konflikte zerreißen. Frieden schließen, das ist möglich, wenn wir uns herauswagen.
Für einige wird es heute Überwindung gekostet haben, auf den Neumarkt zu kommen. Könnten wir auch hier in Dresden in Gefahr geraten, wenn wir uns in einer großen Menschenmenge zusammenfinden? Aber sie sind gekommen! Dann lasst uns auch einander ein Zeichen des Friedens und der Zusammengehörigkeit geben.
Gott will, dass wir Menschen des Friedens sind und werden. Deshalb hat er mit dem Christkind ein Friedensangebot gemacht, dass wir nicht ausschlagen können, oder? Es ist schon so, dass er uns damit für sich einnehmen will. Er geht ein hohes Risiko und wir wissen, dass er auch nicht zurückgezogen hat, als er dreißig Jahre nach dieser besonderen Geburt selbst zum Opfer wurde. Dafür verehren wir Christen Gott und vertrauen ihm. Daraus schöpfen wir Mut zum Frieden stiften. „Ehre sei Gott in der Höhe und Friede auf Erden, bei den Menschen seines Wohlgefallens.“
Menschen seines Wohlgefallens. Darf ich mich dazu zählen? Sind das die mit einem besonders tiefen Glauben? Oder jene, die sich mit guten Taten auszeichnen? Ich vertraue darauf, dass es die sind, die sich Gottes Brückenschlag zu uns in einem Kind gefallen lassen, seine Friedensinitiative annehmen. An ihnen hat Gott Freude.
Das meint „Wohlgefallen“ wörtlich: zufriedene Freude an jemandem haben.
Und ich halte mich an die Brückenengel. Aus ihrem Gesang lese ich zwei Dinge heraus: Gott verehren und Frieden schließen – das macht Menschen zu Gotteskindern. Das hat Jesus in der Bergpredigt bestätigt. Daran erkennt man die Geschwister des Christkindes. Ihnen gehört ebenso die zufriedene Freude Gottes.
Wollen wir uns auf diesen Weg begeben? Uns hinauswagen, mit klopfendem Herzen, unsicher ob die Brücken tragen werden? Es ist ein Weg, der über dem Gehen entsteht, eine innere Absicht und tastende Schritte, die daraus folgen.
Es kann aber eine Bewegung des Gottvertrauens und Friedens werden, wenn viele sich uns anschließen.
Eins ist gewiss: Die Engel Gottes werden über uns wachen.
Amen.
Autor:Willi Wild |
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