Ausstellung »Mehrheiten«: Der Künstler Clemens von Wedemeyer überträgt die Montagsdemos via Computer ins Heute
Wer erinnert sich woran und wie?
Wie schließen sich Menschen zusammen? Und welche Dynamiken können innerhalb von Menschenmengen entstehen? Es sind große Fragen, die der Künstler Clemens von Wedemeyer in seiner Ausstellung »Mehrheiten« in der Galerie für zeitgenössische Kunst in Leipzig stellt.
In die Laufzeit der Ausstellung fällt das 30. Jubiläum der Montagsdemonstrationen – 70 000 Menschen waren am 9. Oktober 1989 auf der Straße. Von Wedemeyer überträgt dieses Ereignis in den digitalen Raum: Junge Menschen laufen aus der Nikolaikirche durch das Leipzig von heute, durchbrechen Polizeiketten. Das Gebäude der Stasi-Zentrale fällt in sich zusammen. Nach 17 Minuten ist die Stadt so voll, dass die Menschenmenge sich selbst gegenübersteht. Das Dokumentarische wird eindeutig aufgelöst, auch weil die Tonspur von historischen Aufnahmen in digitales Rauschen übergeht.
Doch der Transfer in Computerspielästhetik bleibt blutleer. Denn die Montagsdemos waren mehr als eine interessante Massenveranstaltung. Sie waren geprägt von Angst, von Gewalt, von Verhaftungen. Es ist das Ausstellungsdisplay, das dieser Komplexität gerecht wird: Auf stilisierten Holzpodesten, die an ein Parlament oder eine Tribüne erinnern, nimmt man unterschiedliche Perspektiven auf das Video ein. Über Kopfhörer kann man Gesprächen des Künstlers mit Zeitzeugen lauschen. Sie werden unabhängig von der Videospur in Klangschleifen abgespielt und unterstreichen die Tatsache, dass ein Bild nie die Erfahrung jedes Einzelnen transportieren kann.
Diese Anordnung stellt die wichtigen und aktuellen Fragen: Wer erinnert sich woran und wie? Und wer nutzt historische Ereignisse zu seinem Zweck? Die AfD hatte in diesem Frühjahr in Leipzig Plakate mit einer Aufnahme der Demo vom 16. Oktober 1989 aufgestellt. Der Enkel des Fotografen ist dagegen vorgegangen. Das Landgericht hat die Nutzung des Bildes inzwischen untersagt.
Sarah Alberti
Ausstellung von Clemens von Wedemeyer »Mehrheiten«, Galerie für zeitgenössische Kunst, Leipzig, 13. Juli bis 17. November 2019.
Autor:Online-Redaktion |
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