Schmähplastik inzwischen verhüllt
Der Streit um NP 2
Die „Judensau“ an der St. Stephani- Kirche in Calbe ist frisch renoviert und steht wieder an ihrem Platz.
Die Gemeindeleitung war dagegen und hat die Plastik nun verhüllt. Doch damit ist der Streit, der auch die Gemeinde spaltet, noch lange nicht vorbei.
Von Stephan Kosch
Die Chimäre, die aussieht wie ein Wasserspeier, aber keiner ist, hängt als zweite an der Nordfassade der im Mittelalter entstandenen St.-Stephani-Kirche in Calbe. Eine genauere Beschreibung soll hier unterbleiben, es handelt sich schließlich um eine Schmähplastik, eine sogenannte Judensau, wie sie in vielen kirchlichen Bauwerken angebracht wurde, um die angebliche Überlegenheit der eigenen Religion gegenüber dem Judentum zu verdeutlichen. Zudem ist die Figur zwar frisch restauriert, aber derzeit mit einem Netz und einem Seil verhüllt. Doch das ändert nichts daran, dass in der knapp 8500 Einwohner zählenden Stadt im Kirchenkreis Egeln heftig über die Plastik und den Umgang mit ihr gestritten wird.
So auch an diesem Abend auf einer öffentlichen Informationsveranstaltung, zu der rund dreißig Besucher gekommen sind, die sich in den Kirchenbänken verteilen. Die meisten von ihnen kritisieren den Umgang mit der Figur, die Gemeindepfarrer Jürgen Kohtz und die Mehrheit des Gemeindekirchenrats nach der Renovierung – und dem Anschlag auf die Jüdische Gemeinde zu Halle vor gut einem Jahr – am liebsten gar nicht mehr auf die Kirche gestellt hätten. Der Denkmalschutz hat jedoch darauf bestanden, dass nach der Renovierung wieder alles an seinen Platz kommt, billigt aber die Verhüllung, bis Klarheit über das weitere Vorgehen herrscht.
Doch noch sind die Fronten sehr verhärtet, weshalb die Evangelische Akademie Sachsen-Anhalt die Moderation des Prozesses übernommen hat, der bis zu zwei Jahre dauern könnte. Drei Schulen sind mit einbezogen, die sich in Projekten dem jüdischen Leben in der Region widmen wollen. An diesem Abend soll aber erst einmal zugehört werden, betont Akademie-Direktor Christoph Maier. Nach einführenden Statements der Antisemitismusbeauftragten des Landes Sachsen-Anhalt und der EKD, Wolfgang Schneiß und Christian Staffa, geht es los. Der Pfarrer, dem an diesem Abend vorgeworfen wird, dass er viel mit den Medien rede und zu wenig mit den Gemeindemitgliedern, bleibt heute Abend still. Er hält das Mikrofon denjenigen hin, die sprechen wollen. Alle Statements werden aufgeschrieben. Es hagelt mächtig Kritik: Einer fühlte sich beschämt, weil Antisemitismusbeauftragte zugegen seien. „Ich bin doch kein Antisemit!“ Er sei dafür, dass das Schmährelief oben bleibe und erklärt wird.
Applaus aus dem Publikum. Unterstützung kommt aus dem Heimatverein. „Der Figurenkranz ist eine Menagerie von Gemeinheiten, wenn wir jetzt die Judensau herunternehmen, dann würden auch bald andere kommen, die sagen, wir müssen das abnehmen.“ Das Gesamtensemble solle bleiben und dann unten auf einer Tafel erklärt werden. Die Vorsitzende des Kirchbauvereins, der Geld für die Renovierungsarbeiten der Kirche sammelt und mit dem Gemeindekirchenrat zerstritten ist, spricht sich ebenfalls für einen Verbleib der Figur an der Kirche an der angestammten Stelle aus. Die Figur sei ein Teil der Geschichte der Kirche und der Stadt und könne nicht einfach abgenommen werden. Vom Stachel im Fleisch der eigenen Geschichte ist die Rede, den man nicht herausziehen kann. Und es fällt auch der Begriff, der so häufig in der Diskussion auftaucht: „Wir begeben uns in eine moderne Bilderstürmerei!“
Auch der Artikel in der Lokalzeitung zwei Tage später greift das Argument auf. „›Bilderstürmerei‹ hilft nicht weiter“, lautet die Überschrift. Pfarrer Jürgen Kohtz will das nicht unkommentiert lassen und reagiert mit einem Leserbrief. „Kirchen, auch die Stadtkirche St. Stephani in Calbe, dokumentieren eine häufige bauliche Veränderung über die Jahrhunderte hinweg“, heißt es darin. Der Grund dafür sei mitnichten „Bilderstürmerei“, sondern meist das Selbstverständnis der jeweiligen Zeit und des Glaubens. „In diesem Zusammenhang ist auch die Chimäre ›Judensau‹ an der Kirche St. Stephani zu sehen. Deren zeitgeschichtliches Zeugnis wollen wir weder leugnen noch beseitigen. Wir wollen aber anders damit umgehen, da ihre Botschaft nicht unsere Botschaft ist und sein soll.“
Eine Diffamierung des jüdischen Glaubens und jüdischer Kultur verbiete sich in jeder Hinsicht. „Die Botschaft dieser Schandfigur ist eben nicht nur eine aus vergangenen Zeiten. Dort, nun doch wieder am alten Ort, präsentiert diese Figur ihre diffamierende Botschaft auch heute in aller Öffentlichkeit. Es ist gut, dass sie wenigstens verhüllt ist, bis es eine optimale Lösung für Stadt und Kirche gibt.“ Wie diese aussehen könnte, ist allerdings noch völlig unklar.
Der Beitrag von Stephan Kosch erschien in der Dezember-Ausgabe des Magazins "Zeitzeichen".
Autor:Online-Redaktion |
18 Kommentare
Sie möchten kommentieren?
Sie möchten zur Diskussion beitragen? Melden Sie sich an, um Kommentare zu verfassen.