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Trauer um Friedrich Schorlemmer
Ramelow: Ostdeutschland verliert einen Fürsprecher

Bodo Ramelow | Foto: epd-bild/Paul-Philipp Braun

Schwerter zu Pflugscharen: Mit Friedrich Schorlemmer ist am 9. September ein Großer von uns gegangen. Mit ihm verliert Ostdeutschland einen großen Fürsprecher. Unbequem und gerade, aber auch mutig und unbeugsam hat er mit scharfer Zunge wirkmächtig gesellschaftliche Verhältnisse analysiert und Ideen thematisiert, die uns in Richtung eines besseren Lebens führen können.

Von Bodo Ramelow

Auch mein eigenes Leben ist beeinflusst von Friedrich. Ohne die Zusammenarbeit mit ihm wäre mein eigener Weg bestimmt nicht so verlaufen, wie er sich schließlich entwickelte. Die Erfurter Erklärung, die im Winter 1996 entstand und im Frühjahr 1997 das Licht der Öffentlichkeit erblickte, entstand als gemeinsamer Text, an dem Friedrich und ich sehr intensiv zusammengearbeitet haben. Geschrieben im Erfurter Augustinerkloster und nächtelang debattiert auch im alten Erfurter Gewerkschaftshaus, war es das erste gesamtdeutsche Manifest, das die soziale Entwicklung in Deutschland und in Europa in den Mittelpunkt gestellt hat. „Eigentum verpflichtet“ – dieser Satz aus dem Grundgesetz wurde zur Überschrift.

"Wir wollten das Spaltende überwinden, zu einer Synthese gelangen, in der Menschen sich als zur Solidarität fähige und ihr gleichermaßen bedürfende Wesen begegneten"

Es ging im Kern darum, dass wir in einer Gesellschaft leben wollten, in der Reichtum – nicht nur materieller, sondern auch derjenige an Ideen -  als wichtige Ressource zur Erringung von Freiheit, Gerechtigkeit und Solidarität genutzt werden sollte. Nicht die Trennung zwischen Ost und West, Mann und Frau, Inländern und Ausländern, sondern die Fragen, die sich an Arm und Reich und Oben und Unten orientieren, standen im Mittelpunkt unserer Gedanken. Wir wollten das Spaltende überwinden, zu einer Synthese gelangen, in der Menschen sich als zur Solidarität fähige und ihr gleichermaßen bedürfende Wesen begegneten.

Friedrich Schorlemmer verstorben

Mich persönlich hat letztlich diese gemeinsame Arbeit in die Politik verschlagen, auch wenn gegenwärtig deutlich zu werden scheint, dass das Potenzial der Erfurter Erklärung nie erschöpfend genutzt wurde. Dass Solidarität keine Handelsware an der Börse ist, war uns damals klar und Maßstab unseres Handelns. Durch zunehmende Privatisierung ist allerdings immer mehr öffentliches Gut den privatisierten Händen des freien Marktes ausgeliefert worden – bezahlbarer Wohnraum, der auch an soziale Kriterien gekoppelt wird, ist dem Börsenprofit ebenso geopfert worden wie ein Gutteil der Krankenhausversorgung.  Die gesellschaftliche Sicherheit ist der Privatisierung zum Opfer gefallen. Wer hat, dem wird gegeben, und der Ellenbogen als das gesellschaftliche Gestaltungsorgan scheinen derzeit en vogue zu sein.

"Ohne seine Inspiration hätte ich 1983 im Bonner Hofgarten Propst Heino Falcke sicher nicht kennengelernt"

Vor all diesen Entwicklungen hat Friedrich Schorlemmer immer wieder gewarnt. Schon zu DDR-Zeiten war er als Studentenpfarrer in Merseburg und später als Dozent am Evangelischen Predigerseminar in Wittenberg tätig und begann sehr früh, sich mit der Militarisierung der DDR auseinanderzusetzen. 1968 beteiligte er sich an Aktionen gegen die neue Verfassung und gegen die Niederschlagung des Prager Frühlings. In den Siebzigern war er in der Friedens-, Menschenrechts- und Umweltbewegung und auch auf dem Kirchentag 1983 in Wittenberg aktiv und machte etwas sichtbar, was später zum Markenzeichen der DDR-Friedensbewegung wurde. Auf dem Lutherhof ließ er Schwerter zu Pflugscharen umschmieden und hat damit den Slogan „Schwerter zu Pflugscharen“ zum großen Hoffnungszeichen der DDR-Friedensbewegung gemacht. Der Schmied hieß Stefan Nau. Er musste daraufhin die DDR verlassen. Schorlemmer hat die Verantwortung für die Aktion übernommen.

Ohne seine Inspiration hätte ich 1983 im Bonner Hofgarten Propst Heino Falcke sicher nicht kennengelernt. Heino Falcke saß damals zwischen Willy Brandt und Petra Kelly und hat das Signet „Schwerter zu Pflugscharen“ vor sich gehalten. Dieses Zeichen, das von der Sowjetunion als Monument in New York vor die UN gestellt wurde. Dieses Signet war dann ein verhasstes Zeichen, das die SED und die DDR-Staatsführung zum Anlass nahm, jeden Jugendlichen zu attackieren, der so einen Aufnäher auf den Parka genäht trug. Dieses Signet ist untrennbar verbunden mit Friedrich Schorlemmer.

Kirche und Politik würdigen Schorlemmer

Wenn man verstehen will, warum die DDR-Friedensbewegung, die Umweltgruppen und die Gottesdienste an ihrem Ende mit einer Symbolik verbunden waren, die mich bis heute beeindruckt, muss man Friedrich Schorlemmers Handeln sehen und würdigen. Mit dem „Schwerter zu Pflugscharen“-Aufnäher auf der Jacke und der Kerze in der Hand traten die Menschen in der DDR auf die Straße und skandierten: „Keine Gewalt.“ Eine friedliebende Macht, die sich an den Menschen orientiert hat und die nicht gegen andere gerichtet war. Eine Macht, die Frieden stiften sollte und nicht Hass und Hetze ausgelöst hat. Wie weit sind wir doch heute von diesen Symbolen entfernt und wie sehr werden diese Symbole heute missbraucht, unter anderem auch als pro-Putin‘sche Kriegsverharmlosung.

"In unserer Gegenwart wärest du weiterhin ein wichtiger und wortgewaltiger Mahner, der aufrüttelt und an uns appelliert"

Friedrich Schorlemmer war ein im besten Wortsinne politischer Theologe, der Frieden gelebt und zur Ausstrahlung gebracht hat. Lieber Friedrich, möge die Erde Dir leicht sein, ich trauere um Dich!
 
In unserer Gegenwart wärest du weiterhin ein wichtiger und wortgewaltiger Mahner, der aufrüttelt und an uns appelliert, ein gesellschaftliches Klima zu schaffen, in dem Solidarität die Grundvoraussetzung für jeden weiteren Schritt nach vorne sein muss. Ich verneige mich vor dir.

Der Autor ist Ministerpräsident des Freistaates Thüringen.

Marathonläufer des Friedens

Autor:

Online-Redaktion

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