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Themenwoche
Rechtsruck in Deutschland

Foto: Screenshot kirche-und-leben.de

Von Karin Wollschläger (KNA)

Das Münstersche Online-Portal kirche-und-leben.de hat eine Themenwoche zu "Rechtsruck in Deutschland - Was unsere Gesellschaft jetzt braucht" initiiert. Die Interviews geben vielfältige Einblicke zu einem brandaktuellen Thema und haben eine neue Debatte ausgelöst - vor allem zum Umgang der Kirche mit dem Ganzen.

Den Impuls für die Themenwoche gab ein Interview des Verfassungsschutzpräsidenten Thomas Haldenwang in den "Tagesthemen" (7. August) nach dem Europa-Parteitag der AfD. Darin warnte er erneut vor verfassungsfeindlichen Bestrebungen der Partei und sagte: "Wir sehen eine erhebliche Anzahl von Protagonisten in dieser Partei, die immer wieder Hass und Hetze verbreiten gegen Minderheiten aller Art." Da gehe es gegen Menschen mit Migrationshintergrund, gegen Muslime und gegen Menschen mit nicht-heterosexueller Sexualität, auch Strömungen von Antisemitismus gebe es. Und zwar in einem Maße, dass dadurch die Menschenwürde dieser Personenkreise verletzt werde und es verfassungsfeindlich sei, so Haldenwang.

"Wenn jemandem die Menschenwürde abgesprochen wird, da müssen wir hellhörig werden als kirchliches Medium. Und so haben wir uns gefragt: Was ist dran, wie gefährlich ist die Situation eigentlich, wie konnte es dazu kommen?", erklärt "Kirche + Leben"-Chefredakteur Markus Nolte die Genese der Themenwoche "Rechtsruck in Deutschland - Was unsere Gesellschaft jetzt braucht". Das katholische Online-Portal interviewte insgesamt sechs Fachleute verschiedener Profession und zeigte so unterschiedliche Blickwinkel auf. Mit dabei auch immer die Frage: Wie mit den Entwicklungen umgehen - auch als Kirche?

Der Hamburger Historiker Thomas Großbölting schätzt die Situation als bedenklich ein, geht deswegen aber nicht von einer grundsätzlichen Gefährdung des politischen Systems aus: "Ich halte unsere Gesellschaft für widerstandsfähiger und intakter, als sie medial momentan dargestellt wird." Der katholische Essener Bischof Franz-Josef Overbeck indes sagte mit Blick auf das Erstarken der AfD, die in Umfragen stabil bei rund 21 Prozent liegt: "Unsere Demokratie steht in diesen Zeiten massiv unter Druck." Ihm zufolge zeigt sich in den neuen Rechtsparteien eine aggressive und gefährliche Version von Rückwärtsgewandtheit. Sie verfolgten das Ziel eines starken und souveränen Nationalstaats mit einer möglichst homogenen Bevölkerung.

Mit Sorge betrachte er auch einen Rechtsruck in der katholischen Kirche: "Ich würde hier allerdings nicht den Begriff konservativ nutzen, denn es geht um religiös-reaktionäre Bewegungen." Diese seien eher dem rechtsextremen und völkisch orientiertem identitären Umfeld zuzuordnen. "In dieser Dimension sind das recht neue Phänomene, die andere religiöse Deutungen als 'Häresien' abqualifizieren und sich im Besitz der einen absoluten Wahrheit wähnen. In gewisser Weise sind sie in der Tat das religiöse Äquivalent zur neuen politischen Rechten mit nicht selten direkten Verbindungen."

Auch die Sozialethikerin Marianne Heimbach-Steins sieht Überschneidungen zwischen manchen sehr konservativ-katholischen Milieus und AfD-Positionen - "vor allem da, wo im Namen eines vermeintlich konservativen Profils Ausgrenzung von allem, was 'anders' ist, verfochten wird". Das betreffe den Umgang mit Zuwanderung, Arbeitsmigrantinnen, Geflüchteten, geschlechtlicher und sexueller Vielfalt sowie die Haltung zu Judentum und Islam. "Eine pauschal ablehnende Haltung gegenüber Menschen, die als anders oder fremd wahrgenommen werden, ist weder konservativ noch katholisch. Den christlichen Glauben für solche Positionen zu beanspruchen, ist eine krasse Verzerrung der Botschaft Jesu."

Der Theologe und Philosoph Elmar Salmann verweist auf eine Überforderung vieler angesichts einer zunehmend komplexeren Welt. Und: Es gebe derzeit nichts mehr, worauf eine Gesellschaft gemeinsam stolz sein könne. Früher habe es mehr Zugehörigkeit etwa zur Partei, Herkunft, Familie und Kirche gegeben. "Das ist völlig weggebrochen."

Parteien wie die AfD widersprächen einem "katholischen Stilgefühl", urteilte er zugleich. "Ein gelassener, empfänglicher, freigiebiger Umgang mit einer jeden Meinung, einem jeden Menschen - das gehört eigentlich in die DNA eines katholischen Kulturverhaltens." Christen hätten einen Horizont, der über das Endliche hinausreiche. "Parteien, die sich als die Lösung, als Endlösung präsentieren, haben da wenig Chancen." Auch die Juristin und Publizistin Liane Bednarz, die sich seit Langem mit der AfD beschäftigt, hält "gut katholische" Milieus für weniger anfällig für rechte Tendenzen: "Das Völkische und Ausgrenzende ist Katholiken fremd."

Dennoch gibt es auch unter den Katholiken AfD-Mitglieder, teils sogar in Pole-Position wie der AfD-Spitzenkandidat für die Wahl zum Europaparlament, Maximilian Krah aus Sachsen, der auch schon als Justiziar für die traditionalistische Piusbruderschaft tätig war (vgl. ID-Ausgabe 31). Aber auch schon eine ganze Reihe Pfarrgemeinderäte sahen sich damit konfrontiert, plötzlich Mitglieder einer Partei in ihren Reihen zu haben, die mittlerweile vom Bundesamt für Verfassungsschutz als rechtsextremer "Verdachtsfall" eingestuft wird.

Die Präsidentin des Zentralkomitees der deutschen Katholiken (ZdK), Irme Stetter-Karp, zog im kirche-und-leben.de-Interview eine rote Linie: Ihrer Ansicht nach sollten AfD-Mitglieder keine kirchlichen Ämter innehaben. Es sei "eindeutig, dass antisemitische, rassistische, menschenverachtende Haltungen und Äußerungen keinen Platz in einer katholischen Organisation haben."

Rechtlich entscheidend seien allerdings die jeweiligen Satzungen und Wahlordnungen - die solch einen Ausschluss bislang in der Regel nicht vorsehen. Das ZdK selbst, das derzeit seine Statuten und sein Leitbild überarbeitet, hat dabei diese Problematik bereits im Blick, hieß es aus internen Kreisen.

Kritik an Stetter-Karps Vorschlag eines Gremienausschlusses kommt von Thomas Arnold, dem Direktor der Katholischen Akademie Dresden-Meißen. Zwar sei es ist richtig, schon früh vor Parteien zu warnen, "die mit bürgerlicher Maskierung demagogische, verfassungsfeindliche Politik betreiben", schreibt er in einem Beitrag für die "Verlagsgruppe Bistumspresse". "Aber zu fordern, AfD-Mitglieder von katholischen Laienämtern auszuschließen, wird zum Bärendienst für die Gesellschaft."

Wer ihnen die Partizipation in Gemeinden und Verbänden verwehrt, verhinderet damit noch nicht, dass sie die Demokratie des Landes weiter aushöhlen. "Vielmehr bietet man ihnen damit noch die Möglichkeit, sich als Märtyrer zu stilisieren und damit weitere Wähler aus dem kirchlichen Milieu an sich zu binden." Vielmehr müsse, wer sich um ein kirchliches Laienamt bewirbt, "in den Streit um das beste Argument gebracht werden". Dies sie mühsam, teils schwer auszuhalten, aber "es vertraut auf die demokratische Form der Meinungsbildung - die uns am wertvollsten ist".

Erwartungsgemäß kam Kritik am Ämterausschluss auch vom Vorsitzenden der "Christen in der AfD", dem Europa-Abgeordneten Joachim Kuhs. Im Interview des evangelikalen Informationsdienstes Idea warf er solchen Forderungen "Unkenntnis der Programmatik und der aktuellen politischen Arbeit der AfD" vor; zudem verwies er auf das Engagement der AfD für den Lebensschutz.

Die inhaltliche Nähe bei solchen Themen ist in der Tat ein Dilemma für die Kirche. Darauf verwies Steffen Zimmermann noch einmal in einem Beitrag für katholisch.de: "In der laufenden Legislaturperiode des Bundestags zeigen sich die inhaltlichen Schnittmengen zwischen AfD und Kirche einmal mehr vor allem bei ethischen Fragen, allen voran bei den Themen Abtreibung und Suizidbeihilfe. Immer wieder vertritt die Partei hier Positionen, die teilweise bis in die Mitte der Kirche hinein anschlussfähig sind."

Zugleich fällt etwas anderes auf: Von Anfang an war die Kirche kritisch gegenüber der AfD. Im Zuge des Flüchtlingszuzugs 2015 waren kirchliche Positionierungen gegenüber der Fremdenfeindlichkeit der Partei klar und unüberhörbar. Inzwischen ist es still geworden vonseiten kirchlicher Spitzenvertreter - und dies, obwohl sich die AfD immer weiter radikalisiert hat. Grund könnten eine Hilf- und Sprachlosigkeit sowie das Beschäftigtsein mit der eigenen Krise sein. Nur: Wo klare Kante und Abgrenzung fehlt, dräut die Gefahr, selbst in eine bedenkliche Ecke gestellt zu werden.

Im kommenden Mai findet in Erfurt der Katholikentag statt - in einem politisch heiklen Setting: Wenige Monate später sind Landtagswahlen in Thüringen. In den jüngsten Umfragen im Juli lag die AfD im Freistaat bei 32 Prozent, gefolgt von der Linken mit 22 Prozent. Schon vor mehr als zwei Jahren wurde der AfD-Landesverband vom Landesverfassungsschutz als "gesichert rechtsextremistisch" eingestuft.

Die Katholikentagsleitung hat bereits einen Beschluss gefasst, ohne die AfD direkt beim Namen zu nennen: Wer rassistische oder antisemitische Überzeugungen vertrete oder Äußerungen gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit oder eine ideologische Distanz zur freiheitlich-demokratischen Rechtsordnung habe, wird nicht zu Podien in Erfurt eingeladen. Gespannt darf man sein, wie die inhaltliche Debatte bei der katholischen Großveranstaltung sein wird. Und zu wie viel auch selbstkritischer Auseinandersetzung die Teilnehmer bereit sein werden.

Die Themenwoche der Münsteraner wurde unterdessen bundesweit wahrgenommen und rezipiert, in konfessionellen wie säkularen Medien. Es ist selten, dass ein kirchliches Medium solch eine Debatte anstößt. Chefredakteur Nolte sagt, die Redaktion habe viel Dank und Respekt für die Beiträge bekommen, aber natürlich auch einige abschätzige Äußerungen aus dem eher rechtskonservativen Spektrum. Kampagnen-Journalismus lautete einer der Vorwürfe, was Nolte als unberechtigt zurückweist.

Autor:

Katja Schmidtke

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